Dienstag, Juni 30, 2009

KONKURRENZFORManalyse

Abschnitt VII: FORMANALYSE DER KONKURRENZ



a (§§ 1 -11) Freiheit, Gleichheit, Einkommen


§1 Die Wertformen sind in den Abschnitten I—V entwickelt
worden und ihr Begriffsumfang ist in Abschnitt VI so
erweitert worden, dass die Revenueformen des Neuwerts und der
Unternehmergewinn nicht nur auf das industrielle, sondern
auch auf das kommerzielle Kapital und das Bankkapital
bezogen sind. Die Konkurrenzformanalyse nimmt von der
Individuierung der Kapitale und folglich der (sie personifizierenden) fungierenden Kapitalisten ihren Ausgang.



§2 Der Übergang vom Kapital im Allgemeinen zur Konkurrenz
der Kapitale entwickelt die Charaktermaske des fungieren-
den Kapitalisten weiter zum Unternehmer als Konkurrenz—
subjekt. Die Verwertungsbewegung des Einzelkapitals wird
als willentliches Streben nach Unternehmergewinn vollzogen.



§3 Der Wille des unternehmerischen Konkurrenzsubjekts
- bestimmt die Inhalte der Funktion des durch den Unter-
nehmer personifizierten Kapitals. Die Freiheit des Willens
— ist erstens auf Mittelwahl (bei vorgegebenem Zweck) be—
schränkt, zweitens erweist die Anerkennung oder Nicht-
anerkennung auf dem Waren— oder Geldmarkt (zu einem Preis,
der Unternehmergewinn ermöglicht) die Unternehmerfrei-
heit als Freiheit auf Widerruf. Die Kehrseite der Frei-
heit in der Konkurrenz ist somit das Ausgeliefertsein an
den “Fetischismus der Waren“. Es ist eine nicht hinter—
gehbare (und nicht herstellbare) Eigenschaft einer Ware,
verkäuflich zu sein.



§4 Der gesellschaftliche Stoffwechsel hat in der kapi-
talistischen Epoche die Form der Verschlingung der Kreis-
läufe der Einzelkapitale zum ReProduktionsprozess des Ge—
samtkapitals. Den fungierenden Kapitalisten kommt daher
die Sonderrolle zu, dass sie in Kontakt zu anderen fun-
gierenden Kapitalisten und in Kontakt zu Haltern von
Revenuequellen stehen. Der Bezug der Halter von Revenue—
quellen auf die abstrakt—gesellschaftliche Arbeit, die
Substanz ihrer Revenuen, ist durch die Beziehung der
Kapitale aufeinander vermittelt.

In der Form des Unternehmergewinns ist der Zweck des
Prototyps des Konkurrenzsubjekts, des Unternehmers, fest-
gelegt. Die Quantität des Unternehmergewinns liegt nicht
fest. Um sie geht es den Konkurrierenden. Die Unternehmer
konkurrieren gegeneinander auch beim Eingehen von Leih—
verhältnissen mit den Haltern der Revenuequellen. Die
Revenueformen sind vorgegeben, aber hinsichtlich der
Quantität der Revenue besteht Bewegungsraum. Im Eingehen
auf die Nachfrage der konkurrierenden Unternehmer werden
die Halter von Revenuequellen ihrerseits in die Bewegung
der Konkurrenz hineingerissen. Sie verwandeln sich, ziehen
wir dies in Betracht, nun ihrerseits aus bloßen Charakter-
masken (Personifikationen derjenigen Wertteile, die die
Substanz ihrer Revenue ausmachen) in Konkurrenzsubjekte.
Als solche verfolgen sie ihr Geldeinkommen als willent—
liches Ziel.

Es ist hiermit insofern die “Oberfläche“ der kapitalistischen
Gesellschaft erreicht, als durchgängig Freiheit und inso-
weit- Gleichheit die Beteiligten "personae dramatis" kennzeichnen.





§5 Die Freiheit der Konkurrenzsubjekte hat Einkommen
zum Ziel und Eigentum zum Mittel. In Falle der Halter
von Revenuequellen ist dieses Eigentum die Revenue—
quelle. Im Falle der Unternehmer ist dieses Eigentum -
die FIRMA . So wie alle an kapitalistischer Produktion
Beteiligten freie Subjekte (Konkurrenzsubjekte) sind, -
sind auch alle Eigentümer und insoweit qualitativ gleich.
Alle Konkurrenzsubjekte haben die freie, andere Subjekte
ausschließende Verfügung über ihr Privateigentum.


§6 Die qualitative Gleichheit schließt Differenzen ein.
Klassen von Konkurrenzsubjekten mögen in mancher
Hinsicht gleich, in anderer ungleich sein. Qualitative
Gleichheit mag gerade auch quantitative Ungleichheit
vermitteln.




§7 Angewiesenheit der Eigentümer aufeinander

Die aus der Kapitalanalyse entwickelten
„Eigentümer“ schaffen sich ihr Einkommen nicht, indem
sie allein mit ihm umgehen. Sie können ihren Willen nach
Einkommen nur verfolgen, wenn sie das Mittel der Bildung
eines mit anderen Eigentümern übereinstimmenden Willens
anwenden. Der Vertrag ist dieses wechselseitig eingesetzte (gleiche) Mittel zur Erreichung der je eigenen (entgegengesetzten) Ziele. Die Eigen-
tümer verfolgen ihre je eigenen Einkommensziele, aber sie
können sie nur als Mitglieder der kapitalistischen Ge-
sellschaft (vgl. §2) erreichen. Neben Freiheit und (quali-
tative) Gleichheit tritt daher nicht Unabhängigkeit,
sondern der (kapitalistische) Zusammenhang,
die soziale Bestimmtheit des Eigentums.


§8 faktische und potentielle Gesellschaftsmitglieder

In der Kapitalanalyse wurde die Gesellschaftlichkeit
als das bestimmt, was sich in den ökonomischen Formen,
in der Wertform manifestiert. Gesellschaft gibt es für
die Kapitalanalyse somit immer nur als Resultat.

Die Konkurrenzanalyse aber betrachtet den Prozess, der
teils dies Resultat hat, teils keine gesellschaftliche
Anerkennung in der Wertform findet. Zugespitzt formuliert:

es gibt Mitglieder der Konkurrenz (also Eigentümer), die
nicht Mitglieder der kapitalistischen Gesellschaft (also
Einkommensbezieher) sind. Die kapitalistische Gesellschaft
umfasst nur die erfolgreich Konkurrierenden.

Die Mitglieder der kapitalistischen Gesellschaft personi-
fizieren somit Werte, Teile der abstrakt gesellschaft-
lichen Arbeit. Diesen faktischen Mitgliedern der kapi—
talistischen Gesellschaft können die nicht—erfolgreich
Konkurrierenden als bloß „potentielle Mitglieder“ gegenübergestellt werden.
Ihr Eigentum hat keine Früchte getragen

Ein Volk aber hat auch Mitglieder, die nicht, nicht mehr
oder noch nicht an der Konkurrenz teilnehmen. Diese Mit—
glieder des Volkes sind Nicht—Eigentümer. Kapitalistische
Gesellschaft, Gesellschaft der konkurrierenden bürgerlichen
Eigentümer und Gesellschaft im Sinne von Bevölkerung sind
- ihren Umfang nach wie drei konzentrische Kreise:
Die kapitalistische Gesellschaft ist die Grundlage der
Gesellschaft im weiteren Sinne. Die Mitglieder der kapitalistischen Gesellschaft haben einen direkten Bezug auf die gesellschaftliche Arbeit. Die restlichen Gesellschaftsmitglieder müssen vermittelt über sie (vgl. VIII
und IX) auf die gesellschaftliche Arbeit bezugnehmen.

§ 9 Umgang von Gleichen miteinander: Vertrag

Mit Bezug auf den Willen nach Einkommen sind Verleih—
verträge und Verkaufsverträge zu betrachten. Die Verleihver—
träge machen den Verleihenden zum “bloßen Eigentümer“, den
Leihenden zum Besitzer. Bei Verkaufsverträgen wechselt das
Eigentum selbst die Hände. Der Leihpreis wie der Verkaufs-
preis soll vertragsgemäß den Eigentümern zufallen.

Es entsteht so ein Geflecht von Ansprüchen der Eigentümer
aneinander. Zugleich ist deutlich, dass die Fähigkeit der
Unternehmer, die in den Leihverträgen gegenüber den Re—
venuequelleneigentümern eingegangenen Zahlungsverpflich-
tungen zu erfüllen, abhängig davon ist, dass die Unternehmer
ihrerseits in der Lage sind, zu hinreichenden Preisen zu ver—
kaufen. Können sie es nicht, tritt der Widerspruch des
Privateigentums, das nur im gesellschaftlichen Zusammenhang
Früchte trägt, ans Licht.




§ 10 Unterschied zwischen den Eigentümern

Ein auffälliger Unterschied zwischen den Eigentümern
von Revenuequellen und den Eigentümern von Firmen besteht
sicher darin, dass die Freiheit der Revenuequelleneigner
auf die Zirkulationssphäre beschränkt ist (Aushandeln
der Verleihbedingumgen). Die Firmeneigner treten in
der Zirkulationssphäre in gleicher Weise als frei Kon—
kurrierende auf. In der eigentlichen Funktionssphäre
(bei industriellen Kapitalen: die Produktionssphäre)
besteht jedoch nicht Gleichheit, sondern da es sich hier
um das Privateigentum des Firmeneigners handelt, gilt
der Wille des fungierenden Kapitalisten. Er betätigt ja
seinen freien Unternehmerwillen gerade dadurch, dass er
(im Rahmen der Verleihbedingungen) frei mit fremden Eige-
tum umgeht.

VII b Konkurrenz der fungierenden Kapitalisten untereinander (§§ 11-17)


§11 Es wird in diesem zweiten Unterabschnitt der Konkurrenz—
analyse das Verhältnis der fungierenden Kapitalisten zuein-
ander behandelt. (Dabei gelten Kommerzielles und Bankkapi—
tal, siehe VI §§ 8—1O, nur als besondere Anlagesphären von
Kapital, neben den verschiedenen Sektoren des industriellen
Kapitals.)


Das im Konkurrenzkampf verfolgte Ziel der fungierenden Ka-
pitalisten ist, Unternehmergewinn zu machen. Das Erreichen
dieses Ziels hängt ab vom Kostenanteil im Verkaufspreis und -
dem Marktanteil des Kapitals in der Sphäre sowie vom Anteil
dieser Sphäre am gesellschaftlichen Gesamtkapital.


Betrachten wir die Kosten näher, so enthalten sie Posten,
die auf die Konkurrenz mit anderen Kapitalen verweisen,
und Posten, die auf die Konkurrenz mit den Revenuequelleneigentumern
hinweisen. Kapitale können gegeneinander konkurrieren, selbst wenn hinsichtlich ihrer
Abschlüsse mit Revenuequelleneigentümern keine Unterschie-
de bestehen. Die Konkurrenz der Kapitale in diesem engeren
Sinne soll vorab in VIIb dargestellt werden, bevor dann in
c,d und e die Erweiterung um die Konkurrenz der Kapitalisten
mit den Revenuequelleneigentümern und die Konkurrenz der
Revenuequelleneigentümer untereinander, welche notwendig
durch Konkurrenz mit Kapitalisten vermittelt ist, erfolgt.

§12 Das Kapitalverhältnis ist primär etwas Qualitatives
und hinsichtlich des quantitativen Umfangs gleichgültig
(solange er nur überhaupt gegeben ist). Die “Selbstrei—
nigungskräfte“ des Kapitals bestehen eben darin, Quanti-
tät abzulegen und dadurch das Kapitalverhältnis durch Kri-
sen hindurch, wenn auch auf Kosten einzelner Kapitale, zu
erhalten.
Das Kapitalverhältnis kann freilich nur als Resultat der
interessengeleiteten Handlungen der Konkurrenzsubjekte be—
stehen, zugleich bilden aber die kapitalistischen Verhältnis-
se den gesellschaftlich objektiven Rahmen und die Manifestationsformen für das subjektive Handeln.

Indem die fungierenden Kapitalisten ihr eigenes Ziel, Un—
ternehmergewinn zu machen, verfolgen, treiben sie die Ver—
wertungsbewegung voran. Für den erfolgreichen Unternehmer
ist sein Gewinn die (residuale) Erscheinungsform der Ka—
pitalverwertung, die Einkommen der beteiligten anderen
Konkurrenzsubjekte fallen ihm hingegen unter die Erscheinungsform von Kosten. Die Kapitalbewegung hat die oberflächliche Form des Überschusses des Erlöses (Verkaufspreis) der Firmenoperationen über ihre Kosten (geliehene “Hauptsumme“, Zinsen, Renten, Löhne). Der Verkaufspreis stellt somit eine “obere Grenze“, die Kosten stellen eine “untere Grenze“ der Verwertung und des Gewinns dar. Preise erhöhen und Kosten senken sind Mittel zur Steigerung des Gewinns (durch Erhöhung der Verwertungsrate).


§13 Die Konkurrenz um Unternehmergewinn (= kapitalistische
Konkurrenz) ist immer zugleich Konkurrenz der (kapitalis-
tischen) Warenproduzenten: alle Anbieter haben das Ziel,
dass ihre Produkte bzw. Leistungen als Waren verkauft wer-
den, auch wenn die Konkurrenz auf unverkauften Produkten/
Leistungen sitzen bleibt.


Insofern Waren verschiedener Hersteller als gleichartig
gelten, wird sich von dieser Warenart die Ware mit dem
niedrigsten Preis am leichtesten verkaufen lassen. Es
läuft somit dem Ziel, zu verkaufen, entgegen, wenn das
eigene Produkt teurer als das Produkt der Konkurrenz anneboten wird. Daher gibt es eine Tendenz zum “Aufschließen“, zum einheitlichen Marktpreis für Produkte, die als gleichartig gelten.


Andererseits schafft das Senken des Preises eines Produkts
unter den Preis der anderen Produkte dieser Warenart den
schon erwähnten Verkaufsvorteil. Jedes erreichte Niveau
eines einheitlichen Narktpreises wird darum wiederum zum
Ausgangspunkt neuer Abweichung.

“Der Kapitalist, der die verbesserte Produktionsweise
anwendet, eignet sich ... einen größern Teil des Ar—
beitstags für die Mehrarbeit an als die übrigen Kapi—
talisten in demselben Geschäft. Er tut im einzelnen,
was das Kapital bei Produktion des relativen Mehrwerts
im großen und ganzen tut. Andrerseits aber verschwin-
det jener Extramehrwert, sobald die neue Produktions—
weise sich verallgemeinert und damit die Differenz
zwischen dem individuellen Wert“ — im Sinne von Ar-
beitsaufwand —“der wohlfeiler produzierten Waren und
ihrem gesellschaftlichen Wert verschwindet.“ Und nun
folgt eine betont arbeitswerttheoretische Formulierung,
die sich jedoch übertragen lässt: “Dasselbe Gesetz der
Wertbestimmung durch die Arbeitszeit, das dem Kapita-
listen mit der neuen Methode in der Form fühlbar wird,
dass er seine Ware unter ihrem gesellschaftlichen Wert
verkaufen muss“ - “Unter sonst gleichbleibenden Um—
ständen erobern seine Waren nur größern Markt-
raum durch Kontraktion ihrer Preise“,heißt es
eine Seite vorher —“treibt seine Mitbewerber als
Zwangsgesetz der Konkurrenz zur Einführung der
neuen Produktionsweise.“ MEW 23/337, vgl. auch
MEW 25/l90 ff!







§14 Der Unternehmergewinn erhöht sich, wenn bei sonst
gleichbleibenden Umständen (zusammenfassbar als “konstante
Verwertungsrate“) ein größeres Kapital fungiert. Es werden
dann die Firmenoperationen in größerem Umfang ausgeführt
und mehr Geschäftsabschlüsse (kurz: “Verkäufe“) getätigt,
mehr Gewinn gemacht. -

Hier handelt es sich am Akkumulation auf gegebenem Funktionsniveau (Akkumulation 1). Schon hier konkurrieren die
Kapitale um Marktanteile. Mehr Unternehmergewinn zu machen,
ist das Motiv dieser Akkumulation. Ein Zwang zur Akkumulation
besteht hier jedoch nicht. (Aber s.u.) -

Anders, wo Akkumulation mit Senkung der Stückkosten und der
Verkaufspreise verbunden wird (Akkumulation 2). Der Vor—
reiter handelt da interessengeleitet (vgl. §13, Motiv der
Abweichung vom einheitlichen Marktpreis), aber aus freien
Stücken. Doch für die Firmen mit Effektivitätsrückstand
entsteht dadurch ein Zwang der Konkurrenz zum “Aufschließen“.
Ist die kostensparende Funktionsweise an einen gewissen
Umfang des Kapitals gebunden, kann ein kleineres Kapital
nicht konkurrieren. Es muss entweder ebenfalls akkumulieren
(“Konzentration“ MEW23/654) oder es wird verdrängt. Eine Form
der Verdrängung ist die “Zentralisation“: “Das Kapital
schwillt hier in einer Hand zu großen Massen, weil es dort
in vielen Händen verloren geht.“ (MEW 23/654)

Auch wenn durch Akkumulation auf gegebenem technisch—or-
ganisatorischem Niveau das Angebot steigt, ohne dass sich
die zahlungsfähige Nachfrage erhöht, kommen die einzelnen
Kapitale der Branche unter Konkurrenzdruck. Es geht dann
darum, wer auf seinem Produkt sitzen bleibt, da der Markt
das gestiegene Angebot nicht ganz abnimmt. Hier haben die
Kapitale mit Effektivitätsvorsprung die beste Chance, sich
in der Konkurrenz durchzusetzen. Akkumulation 1 geht somit
leicht in Akkumulation 2 über. Die Effektivitätssteigerung
wird dann verallgemeinert und, wenn die produktivere Funk-
tionsweise nur von einem gewachsenen Kapital durchgeführt
werden kann, bedeutet das einen Zwang der Konkurrenz zur
Akkumulation. Vgl. MEW 23/618:“die Konkurrenz herrscht je-
dem individuellen Kapitalisten die immanenten Gesetze der
kapitalistischen Produktionsweise als äußere Zwangsgesetze
auf.“


§15 Die Konkurrenz um Unternehmergewinn führt zu Zustrom
von Kapital in Anlagesphären, worin hohe Verwertungsraten
bestehn. In dieser Bewegung konkurrieren die Kapitale als
Kapitale. Zugleich wirkt sich das aus auf die Konkurrenz
der Kapitale als Warenproduzenten (i.w.S., also unter Ein-
schluß der kommerziellen und der Bankkapitale): gestiege-
nes Angebot drückt die Verkaufspreise (vgl. §14), wenn
nicht im selben Maß die zahlungsfähige Nachfrage gestiegen
ist. Umgekehrt kann Abfluss von Kapital aus einer Sphäre
niedriger Verwertung zum Nachlassen des Drucks auf die
Preise und zur Möglichkeit von Preissteigerung führen. Die
Bewegung des gesellschaftlichen Kapitals tendiert so in
ihrem Resultat zu einer Ausgleichung der verschiedenen Ver—
wertungsraten der Anlagesphären. Freilich ist diese Bewegung
selbst Reaktion auf immer wieder entstehende Unterschiede.
der Kapitalverwertung in den diversen Branchen.

Kapitale, die gleiche oder füreinander substituierbare-
Firmenoperationen ausführen, bilden eine Branche oder
“Anlagesphäre von Kapital“. In jeder Branche gibt es
Kapitale, die (gewichtet mit ihrer Größe) durchschnitt-
lich viel, überdurchschnittlich viel oder unterdurch—
schnittlich viel Profit machen. Von der branchendurch—
schnittlichen Verwertung der Einzelkapitale ist die ge—
sellschaftsdurchschnittliche Verwertung der Branchen—
Kapitale zu unterscheiden.
Ausgehend davon, dass sich der Wille des Konkurrenzsub—
jekts Unternehmer auf möglichst hohes Einkommen richtet,
wird bei Neuanlagen von Kapital nicht eine Sphäre unter-
durchschnittlicher Verwertung attraktiv sein, sondern ei-
ne Sphäre überdurchschnittlicher Verwertung.
Umgekehrt sind Kapitale, die aus einer Sphäre unterdurch-
schnittlicher Profitrate nicht abfließen, der Gefahr aus-
gesetzt, dass sie den Ansprüchen der Revenuequelleneigen-
tümer, soweit diesen in der Konkurrenz gesellschaftlich
durchschnittliche Angebote gemacht werden, nicht genügen
und in diesem Zangengriff der allgemeinen Konkurrenz ihrer
Produktionselemente nicht mehr habhaft werden können.
Vgl. auch §17 und §19.



§16 Besteht in einer Sphäre eine höhere als die branchen—
durchschnittliche Kapitalverwertung und gibt es Hinder-
nisse für Zustrom von Kapital, der zu einer Erniedrigung
der Verwertungsrate führen würde, so-hat das Kapital die-
ser Sphäre eine Monopolstellung inne, das Produkt der
Sphäre wird zu einem “Monopolpreis“ verkauft. Ob sich dies
in “Monopolgewinn“ für die Unternehmer niederschlägt,
hängt insbesondere davon ab, ob jene Hindernisse für den
Zustrom von Konkurrenzkapital in der Verfügung über be-
stimmte natürliche Produktionsbedingungen, die Grundeigen—
tümern gehören, liegen. (Zur “Monopolrente“ vgl. VII d,
§28).

Marx erwähnt die Monopole MEW 25/206 und 209
und verweist die Behandlung “in die Spezialunter—
suchung der Konkurrenz“ (p.2O7).

§17 Die Konkurrenz der Kapitale führt immer wieder
zum Bankrott einzelner Kapitalisten. Wie schon (in
§12) erwähnt, liegen im “Abspecken“ -ja die Selbst—
reinigungskräfte des Kapitalverhältnisses.


Der Zwang, zum Marktpreis verkaufen zu müssen, oder
gar nicht verkaufen zu können, kann Kapitale mit
Effektivitätsrückstand in eine Situation bringen,
wo der Verkaufspreis nicht einmal die Kosten deckt.


Hält dies über eine gewisse Zeitspanne an, wird das
betreffende Einzelkapital unfähig, die vertraglichen
Verpflichtungen gegenüber Zulieferern (Kaufverträge)
und Eignern von dem fungierenden Kapitalisten über-
lassenen Produktionsbedingungen (Leihverträge) zu
erfüllen. Durch Bankrotte wird jedoch auch der “Klassen—
kampf“ der Kapitalistenklasse mit den anderen Klassen
geführt, wenn nämlich eine bankrotte Firma von einem
anderen Kapital “günstig“ übernommen werden kann, so
hat das oft überdies die Folge, dass die Revenuequellen—
eigentümer sich mit niedrigeren Revenueforderungen zu-
frieden geben, um überhaupt noch Revenue zu bekommen.


VIIc Konkurrenz der fungierenden Kapitalisten mit den
Geldeigentümern (§§ 18-23)


§18 Im Abschnitt IV wurde die Darstellungsvoraussetzung
eingeführt, dass der KapitalVorschuss aus geliehenem Geld,
für das Zins zu zahlen ist, besteht. Mit den Geldverleihern
wird in diesem Unterabschnitt die erste Gruppe der Revenue—
bezieher in ihrem Konkurrenzverhältnis zu den fungierenden
Kapitalisten thematisiert. Dabei ist jedoch die weitere
Entwicklung (Abschnitt VI) zu beachten. Dies betrifft das
Geldhandlungskapital und die Verschmelzung von Geldhand-
lungskapital und zinstragendem Kapital im Bankkapital.
Das Bankkapital ist nun einerseits Revenuebezieher und
andererseits fungierendes Kapital. Das Beziehen von Zins
auf verliehenes Geld (bei Zahlung von niedrigerem Zins auf
bei der Bank eingezahltes Geld) ist die besondere Ge—
schäftssphäre, in der das Bankkapital fungiert und sein
“Stammkapital“ verwertet (cf VI §10). Wie nun das Bank-
kapital stets vor der Entscheidung steht, ob es sich auf
den Geldverleih beschränken soll, oder ob es selbst als
kommerzielles oder industrielles Kapital fungieren soll
— so steht umgekehrt für jedes fungierende Kapital die Ent-
scheidung an, in welchem Umfang es mit “Eigenkapital“ und
bis zu welchem Anteil es mit “Fremdkapital“ wirtschaftet.
Durch diese Entwicklung wird die anfangs zitierte Darstel—
lungsvoraussetzung modifiziert.


§19 Die Voraussetzung der Eigenfinanzierung ist die
Akkumulation. In der bisherigen Darstellung war nur von
der Aufteilung des Nehrwerts (bzw. Frofits) in verschie-
denen Formen (nämlich: Rente, Zins, Unternehmergewinn)
die Rede. Hinzu kommt das Akkumulieren von Mehrwert
(bzw. Unternehmergewinn) in der Firma. Dies ist die
Eigenkapitalbildung.

Da die Banken ja als eine besondere Art von fungieren—
dem Kapital entwickelt wurden, lässt sich nun das Stamm-
kapital einer Bank ebenfalls als Eigenkapital fassen.

Die Eigenkapitalbildung ist also eine Konkretions—
form der schon im ersten Band KAPITAL angesprochenen
Produktion von Kapital, vgl. etwa MEW 23/608, durch
Kapital. “Die erste Bedingung der Akkumulation ist,
dass der Kapitalist es fertiggebracht hat, seine Wa-
ren zu verkaufen und den größten Teil des so erhalte-
nen Geldes in Kapital rückzuverwandeln. Im folgenden
wird vorausgesetzt, dass das Kapital seinen Zirkulations—
Prozess in normaler Weise durchläuft“ heißt es im
Vorspann zum Schlussabschnitt: “Der AkkumulationsProzess
des Kapitals“. Darum stellt sich in diesem systematischen
Zusammenhang gleich die Frage nach den stofflichen Voraus-
setzungen der Akkumulation: “der Mehrwert ist nur deshalb
in Kapital verwandelbar, weil das Mehrprodukt ... bereits
die sachlichen Bestandteile eines neuen Kapitals ent-
hält“ (p.607).

Eigenkapital ist dagegen nicht etwa Kapital in Geldform,
was nach der in VI skizzierten Analyse der Kapitalzir—
kulation als “Brache des Geldkapitals“ (vgl. VI §3)
beschrieben werden müsste. Wir könnten rückblickend eher
umgekehrt formulieren, dass vor Entwicklung der Zinsform
die Marxsche Analyse die Kapitale so darstellt, “als ob“
sie (ausschließlich) mit Eigenkapital umgingen.

§20 In der Konkurrenz der fungierenden Kapitalisten mit den
Geldverleihern geht es darum, welchen Anteil der Zins am
Bruttoprofit erreicht und welcher Anteil als Unternehmer—
gewinn übrig bleibt.

Da eine Möglichkeit der Erhöhung des Gewinns aber in der
Vergrößerung des Kapitals liegt, gibt- es für die fungie-
renden Kapitalisten schon darum Veranlassung zur Aufnahme
von Leihkapital.

§21 Verfügt eine Firma über Eigenkapital, dann ist sie
im gewissen Umfang unabhängig davon, ob sie zu günstigen
Bedingungen Kapital leihen kann. Die Bildung von Eigen-
kapital lässt sich nun geradezu als eine Maßnahme des
Konkurrenzkampfs verstehen. Eine Firma, die über mehr
Eigenkapital verfügt als andere Firmen, wird von Zeiten
“knappen Geldes“ (und hoher Zinsen) nicht so stark be-
troffen. Während umgekehrt in Zeiten “reichlichen Geldes“
(und niedriger Zinsen) die Bedeutung des Eigenkapitals
zurücktritt.

“Wir haben bereits gesehn, dass eine Anhäufung,
eine Überreichlichkeit von Leihkapital stattfin-
den kann, die nur insofern mit der produktiven Akku-
mulation zusammenhängt, als sie im umgekehrten Ver-
hältnis dazu steht. Dies ist in zwei Phasen des
industriellen Zyklus der Fall, nämlich erstens zu
der Zeit, wo das industrielle Kapital, in den bei-
den Formen des produktiven und des Warenkapitals,
kontrahiert ist, also am Beginn des Zyklus nach der
Krise; und zweitens zur Zeit, wo die Besserung be-
ginnt, aber der kommerzielle Kredit den Bankkredit
noch wenig in Anspruch nimmt. Im ersten Fall erscheint
das Geldkapital, das früher in Produktion und Handel
angewandt war, als unbeschäftigtes Leihkapital; im
zweiten Fall erscheint es in steigendem Maß angewandt,
aber zu sehr niedrigem Zinsfuß, weil jetzt der in-
dustrielle und kommerzielle Kapitalist dem Geldkapita—
listen die Bedingungen vorschreibt.“ (MEW 25/512)

§22 Eine dritte Form der Finanzierung einer Firma (neben
dem Leihen von Fremdkapital und dem Akkumulieren von
Eigenkapital) ist die Ausgabe von Aktien. Der Begriff des
Aktienkapitals ist aber zugleich eine Verbindung von Be-
stimmungen der zunächst entgegengesetzten Begriffe Fremd-
kapital und Eigenkapital. Durch Aktienausgabe wird Fremd-
kapital für die Firma zu Eigenkapital. Die Aufnahme von
Fremdkapital oder die Ausgabe von Aktien sind für die
Aktiengesellschaft zu Alternativen der Kapitalbeschaffung
geworden. In der Form der “freien Rücklage“ kann neben dem
Aktienkapital zusätzliches Eigenkapital gebildet werden.
Für die Formanalyse der Konkurrenz ist wichtig, dass mit
der Aktienform des Kapitals zum einen eine Verschmelzungs—
form von Geldkapital und fungierenden Kapital vorliegt,
zum anderen die Aktie und die Aktiengesellschaft die erste
bürgerliche Form gemeinsamen Eigentums von Privateigen—
tümern darstellt.

“Das Kapital, das an sich auf gesellschaftlicher
Produktionsweise beruht und eine gesellschaftliche
Konzentration von Produktionsmitteln und Arbeits-
kräften voraussetzt, erhält hier direkt die Form
von Gesellschaftskapital (Kapital direkt assoziier—
ter Individuen) im Gegensatz zum Privatkapital, und
seine Unternehmungen treten auf als Gesellschafts—
unternehmungen im Gegensatz zu Privatunternehmungen.
Es ist die Aufhebung des Kapitals als Privateigen—
tum innerhalb der Grenzen der kapitalistischen Pro—
duktionsweise selbst“.(MEW 25/452) Dem letzteren kann
mensch nicht ernsthaft folgen. Auch das Kapital einer
AG ist Privateigentum.

§23 Das Aktienkapital repräsentiert das Eigentum an der
betreffenden Firma, die Aktiengesellschaft ist. Dem ent-
sprechend verteilt sich der als “Dividende“ ausgeschütte-
te Reingewinn der Aktiengesellschaft auf die Aktionäre ge-
mäß dem jeweiligen Anteil am Aktienkapital. Genauso hat,
wer Eigentümer einer Aktie ist, eine Stimme, wer Eigentümer
vieler Aktien ist, viele Stimmen in der Versammlung der
Aktionäre, die den Eigentümerwillen (in großen Zügen)
formuliert. Hierzu gehört die Bestellung, bzw. Entlastung
und Bestätigung eines Vorstands und eines Aufsichtsrats
der Aktiengesellschaft. Der Vorstand (und in seinem Auf-
trag meist der Vorstandsvorsitzende , seine Leut) entwerfen eine Ge-
schäftspolitik, für die die Zustimmung der Aktienmehr-
heit einholt wird. Auf diese Weise sind hier die Geldgeber als „share holder“
— im Unterschied zur bisherigen Behandlung des Fremdkapitals, auf das nur
Zins gezahlt wird — an der Willensbildung innerhalb der
Firma, an der Leitung der Firmenaktivitäten beteiligt.
( 1 share 1 vote)
Und dies betrifft eben auch die Entscheidung, zu welchem Teil
der Gewinn in der Firma angelegt und zu welchem Teil er aus-
geschüttet wird.

Die Aktiengesellschaft ist eine Form der Firma,
die eine Verzahnung des industriellen oder kommer-
ziellen Kapitals mit dem Bankkapital erlaubt. Ne-
ben Erwerb von Aktien dient dazu das gegenseitige
Besetzen von Aufsichtsräten. In der Aktiengesell-
schaft ist die Charaktermaske des fungierenden Ka-
pitalisten gleichsam vervielfältigt und aufgeteilt
zwischen Vorstand, Aufsichtsrat und Aktionären
(wobei hier eine Vermischung mit Zügen der Charaktermaske
des Geldkapitalisten vorliegt).
Die Verzahnung “gewöhnlicher“ Kapitale mit Bankkapitalen kann dazu führen, dass diesen Kapitalen Vorzugsbedingungen bei der Vergabe von
Leihkapital eingeräumt werden. Dies gilt insbesondere
dann, wenn Banken erhebliche Anteile am Aktienkapital
der Firmen erhalten, an die sie darüber hinaus (als Fremd-
kapital) Geld gegen Zins verleihen.

VIId Konkurrenz der fungierenden Kapitalisten mit
den Grundeigentümern (§§ 24 – 32)


§24 Schon im Abschnitt III (§§ 5und 7) ist vom Boden als
Produktionselement und als Grund für unterschiedliche
Arbeitsproduktivität und damit Profitdifferenzen die Rede
gewesen. Dabei wurde sogleich der Unterschied zwischen je-
weils schon vorhandenen Vorzügen des Bodens (§5) und
produzierten Meliorationen des Bodens (§7) gemacht. Die
Bodenrente tritt neben dem Arbeitslohn für das Kapital
als Kosten eines Produktionselements auf. Die besonderen
Formen der Grundrente wurden aber ebenso wenig wie die be-
sonderen Arten des Lohns in der Analyse des Kapitals im Allgemeinen behandelt. Ebenso blieben Unterschiede in der Höhe der Renten (wie der Löhne) noch unthematisiert.


Die implizite Darstellungsvoraussetzung, dass die GrundRente
im Bodenhalter eine Personifikation hat, die dem kapita-
listischen Produzenten selbständig gegenübertritt, wird
im Abschnitt V dann zur expliziten Voraussetzung für die
Revenueformanalyse. Die GrundRentenformanalyse, die hier im
Rahmen der Konkurrenzformanalyse erfolgt, beginnt mit
dieser Darstellungsvoraussetzung. Sie endet damit, dass
der Erwerb des Bodens durch die Firma als ein Zug in der
Konkurrenz zwischen fungierenden Kapitalisten und Grund-
eigentümern, die im Bodenpreis ihre Rente “kapitalisieren“
(vgl. IV §6), verstehbar wird.




§25 absolute Grundrente

Gehen wir von der Darstellungsvoraussetzung aus, dass
in der allgemeinen Konkurrenz um Einkommen den fungieren-
den Kapitalisten die Grundeigentümer gegenüberstehen, so
ergibt sich, dass die Nutzung von Stücken der Erdoberfläche
zu kapitalistischer Produktion (Handel— und Bankgeschäften)
stets an die Zahlung einer Rente gebunden ist. Alle fungierenden Kapitale zahlen also GrundRente.

Im folgenden sollen die verschiedenen Fälle höherer Renten-
zahlung der Reihe nach behandelt werden. Zu jeder Zeit aber
gibt es eine minimale Rente pro Flächeneinheit benutzten
(gemieteten) Bodens. Diese Rente zahlen alle Kapitale
gleichermaßen. Diese Art der Rente heiße: “absolute Grund-
rente.“ Die Höhe der absoluten Grundrente wird durch den
Stand der Konkurrenz bestimmt.


Hinweis: Diese Bestimmung ist von Michael Eldred in
“Critique o.f Competitive Freedom“ (MS 1981, §50) so zum
ersten Mal entwickelt worden. Sie weicht von der Marxschen
Bestimmung, vgl. auch Zur Wertformanalyse (1974) S.l24ff, ab.
Denn die Marxsche Analyse der Grundrente als verwandeltem
Surplusprofit (so schon die Überschrift des Rentenab—
schnitts in KAPITAL, Bd.III) macht von einer wertformun—
abhängigen Bestimmung der Wertgröße Gebrauch. Für Marx
ist seine “absolute Grundrente“ nur möglich in Sphären,
die dank unterdurchschnittlicher organischer Zusammen—
setzung (und bestimmtem Stand der Nachfrage) ihr Produkt
“über dem Produktionspreis, aber unter ihrem Wert“ ver-
kaufen.


§26 Es sind zwei Arten der über die Minimalrente (§25)
hinausgehenden Rente zu unterscheiden:

a) die ganze Sphäre zahlt eine höhere Rente. Mit
anderen Worten: die niedrigste Rente per Flächen-
einheit liegt in dieser Sphäre über der absoluten
Grundrente. Der Mehrbetrag heiße Monopolrente.

b) Es gibt Unterschiede der Renten per Flächeneinheit,
die verschiedene Kapitale in derselben Anlagesphäre
zahlen. Fasst man die absolute Grundrente und die
Monopolrente (dort, wo sie gegeben ist) als Basis—
rente der jeweiligen Sphäre zusammen, dann heißen
die über die Basisrente hinausgehenden Renten (per
Flächeneinheit) einzelner Kapitale dieser Sphäre
Differentialrente.


Da Kapitale sich stets in der Doppelkonkurrenz mit den
Grundeigentümern (über die Höhe der Rente) und den kon-
kurrierenden Kapitalen (über die Höhe der Preise) befinden,
haben die höhere Renten zahlenden Kapitale nur dann keinen
Nachteil, wenn Besonderheiten des “teureren“ Bodens die
Stückkosten senken. Alle Rente ist Abzug vom Kapitalan-
teil (III § 5 ). Vergrößert sich der Kapitalanteil dank
Verwendung besseren Bodens, dann kann eine Verwandlung
von “Extraprofit“ in Rente vor sich gehen.


§27 Darstellungsvoraussetzung für Differentialrente 1:

Betrachten wir gleichgroße Kapitale, die auf ungleich gutem
(Fruchtbarkeit, Lage, etc.) Boden gleicher Größe wirtschaften. Vorausgesetzt ist ein einheitlicher Marktpreis des Produkts (i.w.S.). Der unterschiedlich gute Boden wirkt sich in unterschiedlichen Stückkosten aus. Auf besserem
Boden fungierende Kapitale haben niedrigere Stückkosten.


Während die den Boden, der keine Vorzüge hat, benutzenden
Kapitale nur Basisrente (§26) zahlen, können die auf besse—
rem Boden kostengünstiger produzierenden Kapitale eine
gestaffelte Differentialrente zahlen, ohne gegenüber den
anderen Branchenkapitalen ins Hintertreffen zu geraten,
solange dieser Rentenaufschlag sich im Rahmen der Senkung
der Produktionskosten (einschließlich Basisrente) hält.
Ob die Differentialrente I den ganzen Surplusprofit, oder
nur einen Teil davon oder auch mehr als den Surplusprofit
in Rente verwandelt, ist erst im Nachhinein feststellbar
und abhängig von der Konjunkturentwicklung. Je nachdem
entstehen Vorteile oder Nachteile für das betreffende Ka-
pital. Im Unterschied zur absoluten Grundrente hat somit
die Differentialrente ein “inneres Maß“ — eben in den
Effektivitätsdifferenzen der auf Boden verschiedener Art
fungierenden Kapitale.



§28 Darstellungsvoraussetzung für die Differentialrente II:

Unterschiedlich viel Kapital wird eingesetzt auf gleich—
großen Flächen von Boden

a) gleicher Güte
b) unterschiedlicher Güte

Gelingt es einem Kapital, (durch erhöhten Kapitaleinsatz)
auf derselben Fläche eine größere Stückzahl Produkt (i.w.S.)
pro Pachtzeit fertig zu stellen, dann sinkt der Rentenanteil
pro Stück. Das gestiegene Kapital würde bei gleichhoher
Rente eine gesunkene Rentrate haben. Fordert der Grund-
eigentümer eine höhere Rente (pro Flächeneinheit), so kann
diese als Differentialrente II aufgefasst werden. Im Fall a)
ist im Unterschied zur Differentialrente I keine Besonder-
heit des Bodens, sondern eine Besonderheit der Nutzung die
Grundlage. (Diese Besonderheit der Nutzung ist daher durch
“Nachziehen“ der konkurrierenden Kapitale beseitigt.)


Dem “Nachziehen“ der konkurrierenden Kapitale derselben
Sphäre hinsichtlich Kapitaleinsatz pro Flächeneinheit ist
dann eine Grenze gesetzt, wenn die intensivere Benutzung
des Bodens an eine besondere, nur begrenzt vorhandene Bo—
denart gebunden ist. In diesen Fällen verbinden sich Diffe—
rentialrente I und II. Auf einer gleichgroßen Fläche besseren
Bodens wird dann auch überdurchschnittlich viel Kapital ein-
gesetzt. (Und “Gleichziehen“ können nur die Kapitale auf
mindestens ebenso gutem Boden.)



§29 In III §7 war schon von Meliorationsinvestionen die
Rede. Dem Boden einverleibtes fixes Kapital (vgl. VI § 3 )
lässt sich bei Ablauf der Pachtzeit nicht vom Pächter mit-
nehmen. Es liegt hier eine besondere Art des “restierenden
fixen Kapitals“ vor. Dies fällt den Grundeigentümern umso
öfter zu, je kürzer die Pachtzeiten.


Ist das meiste (nach noch gültiger Darstellungsvoraus—
setzung, hier: alles) Land Pachtland und sind Pachtwechsel
die Regel, dann ergibt sich für die Kalkulation der Kosten
der (landpachtenden) Kapitale: die längste Umschlagszeit
ist durch die Pachtzeit bestimmt. Unabhängig davon, dass
die meliorierten natürlichen Produktionsbedingungen länger—
lebig sind, werden die Meliorationskosten auf das Gesamt—
produkt der Pachtzeit umgeschlagen. Nur wo ein Kapital
von der üblichen Pachtzeit abweichende Pachtzeit hat, muss
es oder kann es anders kalkulieren. In dieser Hinsicht ist
kürzere Pachtzeit ein Konkurrenznachteil, längere Pacht—
zeit ein Konkurrenzvorteil gegenüber den Kapitalen der
gleichen Sphäre.




§30 Wenn es möglich ist, durch Meliorationsarbeiten
einen Sprung in der Güteklasse des Bodens zu machen,
ergibt sich das Folgende:

Eine Firma pachtet Boden geringer Güte zu niedriger Rente.
Sie versucht, eine lange Pachtfrist auszuhandeln. Zu Be—
ginn der Pacht erfolgen Meliorationsinvestionen. Die darauf
beruhenden Ertragserhöhungen (bei ausreichender Nachfrage)
werden während der ersten Pacht nicht in Differentialrente
verwandelt, sondern sind Extraprofit, den die Firma als
Rückfluss der Anfangsinvestion behält. Ist die Pachtzeit
lang genug, dann tritt der Fall ein, dass die Meliorations—
investion ganz retourniert ist. Der Extraprofit fließt aber
weiter, ganz so als beruhe er auf einem “natürlichen“ Vor-
zug des Bodens. Nach Ablauf der Pachtfrist wird der Grund-
eigentümer eine dem (produzierten) Vorzug des Bodens ent-
sprechende Differentialrente verlangen. Der erste Pächter
hat die Wahl, den Extraprofit als Rente abzutreten oder
die Pacht an eine konkurrierende Firma zu verlieren.

§31 Die Nutzungsweisen des Bodens (einschließlich der
eingebetteten Gewässer) sind verschieden. Boden, der bei
einer Nutzungsart keine Vorzüge bietet (etwa als Viehweide),
kann hinsichtlich einer neuen Nutzungsart (etwa Bergbau)
zu einer seltenen und knappen Produktionsbedingung avancieren. Wirft er im ersten Fall nur Minimalrente ab, so trägt
er in der neuen Nutzung Monopolrente und vielleicht obendrein
Differentialrente.

§32 Amortisation der dem Boden einverleibten Investion
von Kapital, vollen Nutzen ziehen aus Meliorationsin—
vestionen, die zu Extraprofit führen, sowie Antizipation
von rentierlicherer Art der Nutzung eines Stückes Boden
sind Motive, die eine Firma bewegen, das Stück Land zu
einem Preis, der durch Kapitalisierung der derzeitigen
Rente entsteht, zu kaufen. Nimmt die Firma nämlich Geld
in Höhe des Grundstückpreises auf, so hat sie künftig
nur Zins in Höhe der derzeitigen Rente zu zahlen. Sie ver-
meidet es, dass “restierendes fixes Kapital“ (§29) ihr
verloren geht und sichert sich gegen Erhöhung der Rente
(wegen Änderung der Gütestufe oder Übergang zu exzeptionell
profitlicher Nutzungsart ).


Beim Kaufabschluss mit dem Grundeigentümer steht aber auch
die Position der Firma gegenüber konkurrierenden Firmen
auf dem Spiel: ein günstiger Grundstückskauf stabilisiert
oder verbessert die Konkurrenzposition, ein Abschluss zu
einem zu hochgetriebenen Preis belastet die Firma in der
Konkurrenz.

VII E KONKURRENZ DER LOHNARBEITER/ INNEN UNTEREINANDER UND MIT DEN FUNGIERENDEN KAPITALISTEN
§§ 33-39


§33 Die Teilnehmer am Konkurrenzkampf um Einkommen führen diesen stets mit ihresgleichen und zugleich mit komplementären Figuren. - So konkurrieren die fungierenden Kapitalisten gegeneinander und mit den drei Arten der Revenuequelleneigentümer um die Höhe ihres Einkommens. Die Lohnarbeiter/innen konkurrieren dabei, überhaupt einen Arbeitsplatz zu haben, und wenn sie einen haben: um höhere Löhne (und weitere Unterschiede in den "Arbeitsbedingungen", den Arbeitsplätzen). Diese können sie nur von fungierenden Kapitalisten bekommen (zum “Staatasektor“, vgl. VIII §15). Die “Arbeitgeber“ haben
die Initiative. Sie bieten den Arbeiter/inne/n Arbeitsplätze an, die sich nach Arbeitsart, Arbeitsort und Arbeitszeiten unterscheiden können. Dies kann zu unterschiedlichen Lohnhöhen je nach Arbeitsplatz Anlaß geben. Diese
Lohnunterschiede bedürfen jedoch der Bestätigung in der Konkurrenz.

(a) Die Konkurrenz, in der Lohnunterschiede bestätigt werden oder auch ein zu hoher Lohn/zu viele Lohnarbeitende zu Absatzschwierigkeiten führen
und ein zu niedriger Lohn dazu führt, dass sich keine
geeigneten Arbeitskräfte zu dieser Arbeit bereit finden, ist also Doppelkonkurrenz; denn die Kapitalisten
konkurrieren mit ihren Firmen sowohl als Anbieter von
Produkten / Leistungen als auch als Nachfrager nach Ar-
beitskraft.

Die Konkurrenz ist jener “gesellschaftliche Prozess
hinter dem Rücken der Produzenten“ von dem Marx schon
unmittelbar im Anschluss an seine Wertbestimmung im
ersten Kapitel, KAPITAL, Bd.I schreibt:“Die einfache
Durchschnittsarbeit selbst wechselt zwar in verschie-
denen Ländern und Kulturepochen ihren Charakter, ist
aber in einer vorhandenen Gesellschaft gegeben. Kompliziertere Arbeit gilt nur als potenzierte oder vielmehr
multiplizierte einfache Arbeit, so dass ein kleineres
Quantum komplizierter Arbeit gleich einem größeren
Quantum einfacher Arbeit. Dass diese Reduktion bestän-
dig vorgeht, zeigt die Erfahrung (MEW 23/59). Auf-
schlussreich ist der Hinweis MEW 23/185, dass die Hö-
he der Entlohnung “selbst ein historisches Produkt
abhängig “größtenteils von der Kulturstufe eines Landes,
unter anderem auch ... davon, unter welchen Bedingungen und daher mit welchen ... Lebensansprüchen
die Klasse der freien Arbeiter sich gebildet hat.“
MEW 23/212 heißt es schließlich “Der Unterschied
zwischen höherer und einfacher Arbeit, “skilled“ und
“unskilled labour“, beruht zum Teil auf bloßen Illusio-
nen oder wenigstens Unterschieden die längst aufge~
hört haben, reell zu sein . . . zum Teil auf der hilfloseren Lage
gewisser Schichten der Arbeiterklasse, die
ihnen minder als anderen erlaubt, den Wert ihrer Ar-
beitskraft zu ertrotzen.“ Bei Marx wird jedoch viel­ -
fach die konstitutive Bedeutung der Konkurrenz für die
Bestimmung der Größenverhältnisse überspielt. Hier
nimmt er dann einerseits Bezug auf vergangene histo-
rische Verhältnisse (ohne klar herauszuarbeiten, dass
diese nur fortwirken können, wenn ihre Resultate im
gegenwärtigen Konkurrenzkapf bestehn). Zum andern
aber führt der arbeitswerttheoretische Argumentations
strang und der Versuch, die Arbeitswertheorie auf den “Wert der Ware
Arbeitskraft“ zu beziehen, zu Hilfskonstruktionen wie:

“Die Arbeit, die als höhere, kompliziertere Arbeit
gegenüber der Durchschnittsarbeit
gilt, ist die Äußerung einer Arbeitskraft, worin höhe-
re Bildungskosten eingehn, deren Produktion mehr Arbeitszeit kostet und die daher einen höheren Wert hat
als die einfache Arbeitskraft, (MEW23/211f, vgl. auch
185) Dem steht dann das Eingeständnis gegenüber, das
Wir als einen Hinweis auf die Konkurrenz interpretieren:
‘zufällige Umstände spielen so große Rolle, dass
dieselben Arbeitsarten den Platz Wechseln (So)... verkehren sich im allgemeinen brutaie Arbeiten die viel
Muskelkraft erfordern, in höhere gegenüber viel feineren Arbeiten, die auf die Stufe einfacher Arbeit
herabsinken, wie z.B. die Arbeit eines bricklayer
(Maurer) in England eine viel höhere Stufe einnimmt
als die eines Damastwirkers. Auf der andren Seite figuriert die Arbeit eines fustian cutter (Baumwollsamtscherer), obgleich sie viel körperliche Anstrengung
kostet und obendrein sehr ungesund ist, als “einfache“
Arbeit“. (MEW 23/212) Die bricklayer werden wohl eine
bessere Stellung im Konkurrenzkampf mit dem Kapital und
eine kampfstärkere “union“ gehabt haben. Zur Bedeutung
der “Arbeiter—Assoziationen“ vgl. §§ 35,36.


(b) Die Arbeiterklasse ist“ in einer starken Verhandlungsposition,
wenn die Nachfrage nach Arbeitskraft groß ist. Sie kann
dann die Konkurrenz der Kapitalisten untereinander zu
ihren Gunsten ausnutzen. Arbeiter arbeiten für den Meist-
bietenden (im Rahmen ihrer Möglichkeiten).

Hält die Nachfrage nach Arbeitern an, kann der Preis der
Arbeit so steigen, dass eine Vergrößerung des Kapitals
keinen Profit (= kein Mehr an Einkommen) und auch kein
Mehr für die ebenfalls erhöhten Revenueansprüche der
Geld— und Bodenbesitzer abwirft. (Vgl. MEW 25/261ff zur
“absoluten Überproduktion von Kapital“).

Indem es also der Arbeiterklasse gelingt, einen (zu)
großen Anteil an dem gesamtgesellschaftlich zu verteilen—
den Geld an sich zu ziehen, gefährdet sie den gesell-
schaftlichen Zusammenhang. Der auf die Überakkumulation
folgende Zusammenbruch vieler Firmen löst dieses Prob-
lem insofern, als zum einen Kapital, also zahlungsfähige
Nachfrage vernichtet wird, und zum andern eventuell schon
vorhandene Arbeitslosigkeit erhöht und damit die Konkur-
renz der Arbeiter untereinander verschärft wird. Beides,
gesunkene Nachfrage nach und gestiegenes Angebot an Ar—
beitskraft führt zur Senkung der Löhne. Der Schaden ein-
zelner Kapitale (und “ihrer Arbeiter“) wird zum Nutzen
des Gesamtkapitals. Vernichtung von Einzelkapitalen
hält — wenn die Krise überstanden wird — das Kapital—
verhältnis aufrecht (“Gesundschrumpfen der Wirtschaft“).

Gelingt es aber den Unternehmern, die Arbeits— und Le-
bensbedingungen der Arbeiterklasse so herabzudrücken,
dass die Arbeiterklasse sich nicht im gesellschaftlich
benötigten Umfang reproduzieren kann, droht ein not-
wendiges Produktionselement verloren zu gehen, der ge-
sellschaftliche ReProduktionsprozess (und damit das
Kapitalverhältnis als dessen Form) sind durch das Ka-
pital bedroht.


§34 Die Arbeiter/innen werden durch das Kapital, durch Ein—
gehn eines Arbeitsverhältnisses mit demselben Unternehmer
real zusammengeführt und zu Arbeitskollegen. In ihrem Ver-
hältnis zueinander ist ebenfalls Doppelkonkurrenz, gleich-
sam ein vertikaler und ein horizontaler Aspekt der Konkur-
renz wirksam.

Vertikal geht es um die Auseinandersetzung zwischen “Lohn—
arbeit und Kapital“. Wenn es darum geht, dem Druck des
Unternehmers, für dasselbe Geld mehr zu arbeiten, standzu-
halten, ist die Solidarität und Kollegialität innerhalb der
Arbeitsgruppe eine ihrer wichtigsten Waffen.
Horizontal geht es um die Stellung innerhalb der Arbeits-
gruppe. Auch gleichbezahlte Arbeitsplätze können für die
Arbeitenden günstiger oder weniger günstig sein. Und auch
gleiche Arbeit kann unterschiedlich entlohnt werden. Wenn
unterschiedliche Bezahlungen für verschiedene Arbeits-
plätze da sind, gibt es in der Arbeitsgruppe einen Kon-
kurrenzkampf um den Aufstieg zu den besser bezahlten Ar-
beitsplätzen.

Der grellste Fall des horizontalen Aspekts der Konkurrenz
der Arbeiter/innen ist die Arbeitslosigkeit, der Verlust
einer Stellung in der Arbeitsgruppe bzw. das Gar—nicht—eintreten—können (Jugendarbeitslosigkeit).

Selbst auf dieser Analyseebene, die die Oberfläche der
kapitalistischen Gesellschaft erreicht hat, bleiben die
Analysekategorien, indem sie nur auf die Ökonomie bezugneh—
men, noch abstrakt. Im wirklichen Arbeitsleben hat das
Verhältnis zu Arbeitskollegen neben den ökonomischen In-
halten der Solidarität mehr oder minder starke Einfär—
bungen von Freundschaft und Geselligkeit, also private
und außerökonomische Bestimmungen. Diese können freilich
nur innerhalb der Analyse der Privatsphäre zum Thema ge-
macht werden. (Vgl. IX, §9) In die “wirkliche Konkurrenz“
wirken solche Momente privater (in der Regel wird gesagt:
“persönlicher“) Beziehungen mit hinein.


§35 In der vertikalen Konkurrenz sind die Lohnarbeiter/innen
oft vor die Entscheidung gestellt, ob sie ihr Interesse an
hohem Einkommen als isolierte Konkurrenzsubjekte oder als
kollektives Konkurrenzsubjekt (also in Koalition mit der
Arbeitsgruppe, den Arbeitskollegen) verfolgen wollen. Die Ent-
scheidung für kollektive Interessenvertretung führt zur Mit-
arbeit in einer Arbeiterassoziation, z.B. einer Ge-
werkschaft.

Auf welche Weise das Einkommensinteresse am effektivsten ver-
folgt wird, steht nicht von vorneherein und für alle Fälle
fest. Es lässt sich insbesonders auch nicht generell sagen,
dass die Arbeiter zur kollektiven Interessenvertretung nei—
gen oder bei wohlverstandenem Eigeninteresse kommen sollten,
wohingegen die Unternehmer zu isolierten Abschlüssen neigten.
Mit kollektivem Vorgehen können ja ganz unterschiedliche For-
derungen vertreten werden. Es kann zum einen auch bei kollek-
tivem Vorgehn ein niedriger Abschluss für die Arbeiter ins—
gesamt herauskommen. Und dann haben die Unternehmer Interesse
am kollektiven Abschluss. Zum andern kann die kollektiv ver-
tretene Forderung die verschiedenen Untergruppen der Arbei-
terschaft unterschiedlich gut bedenken.


§36 In der horizontalen Konkurrenz geht es um die Stellung
innerhalb der nach Lohngruppen in sich differenzierten
Arbeiterschaft.
Lohnarbeiter/innen sind davon bedroht, dass an ihrer Stelle
jemand anders hingestellt wird. Andrerseits gibt es für
manche die Chance des Aufstiegs in besser bezahlte Positionen.

Die Arbeiterkoalitionen zur Durchsetzung von Klasseninter—
essen gegen die Klasse der Kapitalisten heben die Fraktio—
nierung der Arbeiter/innen nicht per se auf, sondern wer-
den umgekehrt leicht zu mächtigen Vermittlungsinstanzen
der Ausdifferenzierung verschiedener Arten von Arbeitskraft
mit Ansprüchen unterschiedlicher Bezahlung. Dies ist die
andre Bedeutung der Kampfparole:“Gleicher Lohn für gleiche
Arbeit!“

Marx behandelt in der Analyse der relativen Mehrwertproduktion
“einige allgemeine Rückwirkungen jener Revolution auf den
Arbeiter selbst“ — nämlich Substitution von Männerarbeit durch
“Weiber— und Kinderarbeit“ nach Einführung der Maschinerie:

“Drei Mädchen im Alter von 13 Jahren mit Löhnen von 6 bis 8 sh
die Woche haben einen Mann reifen Alters mit einem Lohn von
18 bis 45 sh verdrängt.“ (Quincey, The Logic of Political
Economy, London 1844, p.147 Anm.) Marx macht in diesem Zu-
sammenhang die recht seltsam klingende Bemerkung: “Indem die
Maschinerie alle Glieder der Arbeiterfamilie auf den Ar—
beitsmarkt wirft, verteilt sie den Wert der Arbeitskraft des
Mannes über seine ganze Familie. Sie entwertet daher seine
Arbeitskraft.“ MEW 23/417

In der Bewegung der relativen Mehrwertproduktion liegt in
den Lohndifferenzen ein Ansatzpunkt für Veränderungen zu
Gunsten des Kapitals, also Steigerung des Kapitalanteils und
Ausspielen der verschiedenen Fraktionen der Arbeiterschaft
gegeneinander. Einmal gehn “Rationalisierungen“ des Pro—
duktionsprozesses mit “Dequalifizierungen“ oft einher
— ausgebildete Arbeitskraft wird beispielsweise durch an—
gelernte Arbeiter/innen, die an den neuen Maschinen be—
schäftigt und nach einer niedrigeren Lohngruppe bezahlt
werden, ersetzt.


Zum andern kann die Substitution von Arbeitskraft durch
Maschinerie dadurch kaschiert, schmackhafter gemacht und
leichter durchgesetzt werden, dass der geringeren Zahl der
Arbeiter, die nach der technischen Umstellung beschäftigt
werden sollen, ein höherer Lohn als “technisches Personal“
angeboten wird.


§37 Bisher sind die Arbeiter/innen in Parallele zu den
anderen Revenuequellen, der Konkurrenz ihrer Eigner un—
tereinander und mit den fungierenden Kapitalisten darge-
stellt worden.

Im folgenden ist nun auf die charakteristische Besonder-
heit einzugehn, dass im Falle der Arbeiter Revenuequellen
und Revenuequelleneigentümer zusammenfallen.

Da hier nicht “äußere Sachen“ (wie Geldsummen, Grundstücke)
jemand anderem gegen Geldzahlung für bestimmte Zeit über-
lassen werden, sondern Arbeiter/innen sich selbst dem Un-
ternehmer zur Eingliederung in den kapitalistischen Arbeits-
Prozess überlassen, schließt das Verhältnis zwischen fun-
gierenden Kapitalisten und Arbeitern die Koexistenz der
konkurrierenden Subjekte im ArbeitsProzess ein.

In §22 wurde sozusagen eine Koexistenz von Gleichgestellten
thematisiert, nämlich die Koexistenz der Kapitaleigner in
einer Aktiengesellschaft. Dies schließt die Festlegung eines
Entscheidungsverfahrens ein, in dem der Wille, welcher die
Firmenaktivitäten lenkt, sich bildet.

Die Koexistenz von Kapitalist (sei es nun ein kollektiver
(Aktiengesellschaft) oder ein Privatkapitalist) und Ar—
beiter/mnne/n kann nur als Unterordnungsverhältnis bestehn.
Vgl. §10, in dem es hieß, dass die Firmenaktivität durch
den Willen des fungierenden Kapitalisten festgelegt wird.
Nun, da auch die Arbeiter/innen als Subjekte, die im Ar—
beitsProzess tätig sind, gefasst werden, muss dies so ver—
standen werden, dass der Kapitalistenwille an der Spitze
einer Hierarchie von Willen steht, und die Lohnarbeiter/innen
an einer bestimmten Stelle innerhalb der Hierarchie, al—
so in einem durch den übergeordneten Willen zugeteilten
Arbeitsbereich nun ihrerseits willentlich tätig sind.

Die Fügung ihres Willens unter den im Kapitalverhältnis
übergeordneten Willen verweist zugleich auf die Möglichkeit
der Insubordination, das Zurückhalten von Arbeitskraft und
die Rückverwandlung von (bezahlter!) Arbeitszeit in selbst—
bestimmte Lebenszeit. Freilich in Grenzen.


§38 Für die Konkurrenzanalyse sind die Lohnarbeiter/innen
in die Hierarchie der Firma eingefügte Subjekte, die im
Rahmen des Plans des Kapitalisten („Direktionsrecht“) und verbunden durch die in vielen Fällen gegenständlich manifeste Arbeitsorganisation
(unter dem Kommando des Kapitalisten) ihrerseits willent—
lich ihre Arbeitskraft betätigen. Der Preis der (vom Kapi-
talisten gebrauchten) Arbeitskraft nimmt so die verwandel— -
te Form des Preises der (von Arbeiter/inne/n geleisteten)
Arbeit an.

Unter der Lohnform des Werts verstehen wir nun nicht den als
Preis der Arbeitskraft erscheinenden Wert der (für den Lohn
kaufbaren) Lebensmittelwaren, sondern seine nochmalige Ver-
wandlung in Preis der Arbeit.

Die Lohnform setzt also die Entwicklung des Konkurrenzsub-
jekts voraus und rückt das subjektive Moment in den Vorder-
grund. Die Lohnform lässt generell die Teilnahme der Arbeiter~
innen am kapitalistischen ArbeitsProzess als “ihre Arbeit“
erscheinen.


(a) Die andere systematische Einordnung der Lohnformanalyse
erhellt auch manches, was Marx zur Lohnform (aber im
System zu früh plaziert) gesagt hat, in diesem neuen
Zusammenhang, der durch Subjektivität und willentliches
Handeln ausgezeichnet ist. Hingegen wird durch Wendungen
wie “Umsonstarbeiten des Lohnarbeiters“ und Abhandeln
der Lohnform im Anschluß an die Mehrwertanalyse nicht die
Freiheit, sondern die Gerechtigkeit fokussiert. Ange-
messen aber wäre die Verbindung von Konkurrenzsubjekti—
vität und Ausbeutung: “Man begreift daher die entscheiden—
de Wichtigkeit der Verwandlung von ... Preis der
Arbeitskraft in die Form des Arbeitslohns oder in
Preis der Arbeit selbst. Auf dieser Erscheinungs-
form, die das wirkliche Verhältnis unsichtbar macht
und gerade sein Gegenteil zeigt, beruhn alle Rechts—
vorstellungen des Arbeiters wie des Kapitalisten, alle
Mystifikationen der kapitalistischen Produktionsweise,
alle ihre Freiheitsillusionen“ (MEW 23/562) Für uns ist
die Lohnform des Werts die systematisch letzte “Gestal-
tung des Kapitals“ und wir beziehen hierauf die Andeu-
tungen in der Vorbemerkung zum dritten Band KAPITAL,
wonach erst die “Oberfläche der Gesellschaft“, die Kon-
kurrenz jene Formen zeigt, die “im gewöhnlichen Bewußt-
sein der Produktionsagenten selbst auftreten“ (MEW 25/33).


(b) Jede Arbeit misst sich zugleich ihrem Inhalt wie ihrer
Dauer nach. Es kann sowohl die Anzahl der gearbeiteten
Zeiteinheiten (mehr oder weniger genau gemessen) als
auch die Anzahl ausgeführter Arbeitsvorgänge gezählt
werden. Ausdruck dessen sind die beiden Grundformen des
Arbeitslohns: Zeitlohn und Stücklohn. Vgl. dazu MEW 23,
Abschnitt 6!


§39 Die Auffassung des Lohns als Preis der Arbeit hat in-
sofern schon etwas Illusorisches an sich, als “die Arbeit“
im Kapitalismus stets mehr als das nackte Arbeitsvermögen
(das den Arbeitern gehört) umfasst und nur in Verbindung mit
Produktionsmitteln (die im Besitz des Unternehmers sind)
zu einem Produkt führt, das der kapitalistische Produzent auf
den Markt bringen kann. (Für kommerzielle Kapitalisten und
für Bankkapitalisten gilt Entsprechendes.)
Das spiegelbildlich Paradoxe am Lohnfetisch und am Kapital-
fetisch ist, dass die Arbeit den unmittelbaren Produzenten
(Lohnarbeitern), das Arbeitsprodukt aber dem kapitalistischen
Warenproduzenten zugerechnet wird. Und dieses Paradox ist
ihre Koexistenz im ArbeitsProzess als “Herr und Knecht“ im
Hegelschen Sinne. Dies geht über die Bestimmung aller Kon—
kurrenzsubjekte, freie und zugleich voneinander wechsel—
seitig abhängige Subjekte zu sein, hinaus, wobei diese
generelle Bestimmung freilich auch für Kapitalisten und
Arbeiter/innen Gültigkeit behält.





ZUM AUSBAU DES MARXSCHEN SYSTEMfragmentS

Abschnitt VIII

Kapitalistische Gesellschaft und äußerer Staat

§1 Die Konkurrenzsubjekte handeln in Bahnen, die durch die Eigentumsform vorgegeben sind. Bezogen auf die Formen der Konkurrenzgesellschaft behandeln sie einander gleichgültig anerkennend, bezogen auf den Inhalt der Konkurrenz (Einkommen) verfolgen sie einander entgegengesetzte Ziele. Nichtsdestoweniger konstituieren sie unabhängig von Willen und Bewusstsein durch ihr Tun ein in seiner Konkretheit von Niemendem so gewolltes gesellschaftliches Resultat. Dies gilt selbst für die Konkurrenzteilnehmer, die keinen Erfolg hatten, im Konkurrenzkampf unterlagen und kein Einkommen aus dem Umgang mit ihrem Eigentum ziehen konnten. Ihr besonderer Wille (nach Einkommen) konnte sich zwar nicht verwirklichen, dies ändert jedoch nichts an ihrer allgemeinen Bestimmung, Eigentümer zu sein.


§2 Die Gesamtheit der Eigentümer ist die ideelle Gesellschaft.Von ihr unterscheidet sich die reelle Gesellschaft, die im Umfang beträchtlich kleiner sein kann, da sie nur die erfolgreichen Konkurrenzteilnehmer umfasst. Das Auseinandertreten des ideellen und reellen Moments der kapitalistischen Gesellschaft hängt an der Differenz von Eigentumsform und Wertform (einschließlich der Revenueformen). Da die Wertform des Arbeitsproduktes - und davon abhängend die Revenueform sich immer erst im Nachhinein erweist, ist die reelle Gesellschaft bezüglich der Quantität ihrer Mitglieder „vom Markt“, vom Zufall bestimmt. Mitglied der reellen Gesellschaft zu sein, im Konkurrenzkampf um Einkommen erfolgreich zu sein – ist ein Widerfahrnis.

§3 Die Mitglieder, die nur der ideellen Gesellschaft angehören, sind vom gesellschaftlichen Stoffwechsel, der durch Kapitalverwertung und Wertform des Produkts sowie der verschieden formbestimmten Anteile daran bestimmt ist, abgeschnitten und haben von daher keine materielle Basis ihrer Existenz. Gemeinsam mit denen, die darüber hinaus Mitglieder der reellen Gesellschaft geworden sind, ist ihnen, dass sie am „Wirtschaftsleben“ teilnehmen, um Einkommen für sich zu bekommen. Der Staat tritt nun diesen Privaten mit Gewalt als das Allgemeine, zugleich mit dem Anspruch, ihr Allgemeines zu sein (vgl. hierzu auch IX) gegenüber.
Die kapitalistische Gesellschaft ist die materielle Basis der Privaten und des bürgerlichen Staates, der versucht, zwischen reeller und ideeller Gesellschaft zu vermitteln. Ergebnis dieser politischen Überformung der ökonomisch konstituierten Gesellschaft ist die „konkrete Gesellschaft“, z.B. die deutsche.
Von der konkreten Gesellschaft und von ihrem Staat gilt, dass sie beide nur durch die Existenz des jeweils anderen existieren.

§4 Das Recht formuliert primär das Verhältnis von selbständiger Gesellschaft und selbständigem Staat. Der bürgerliche Staat ist Gewaltverhältnis als Rechtsstaat. Indem der staatliche Wille die von ihm getrennte Gesellschaft will, will er die Formen der Konkurrenz, die im Recht zentral als Eigentumsrechte sich wiederfinden. Der Staat bezieht sich im Recht auf die Mitglieder der ideellen Gesellschaft, die dadurch zu Personen werden.
Die Personen sind Träger von Rechten, die primär ihre Selbständigkeit und Freiheit gegenüber dem staatlichen Subjekt (zusammen mit deren Grenzen) formulieren, sekundär (siehe: „Grenzen“) bedroht der Staat mit seiner Gewalt diejenigen Personen, die ihre Rechte überschreiten.
So wird dann das Recht zu einem staatlich vorgeschriebenen Verhältnis zwischen den Mitgliedern der (jeweiligen konkreten) Gesellschaft. Der Staat will, dass sie sich zueinander als Personen verhalten (und auf diese Weise die praktische Anerkennung der Formen der Konkurrenz vollziehen). Die Rechte der Person enthalten als Kern das Eigentumsrecht – sie beschränken sich aber nicht darauf. Eigentümer zu sein ist nun – für die Person – nur noch ein Aspekt des Privatsubjekts.


§5 Die Mitglieder der politisch konkreten Gesellschaft sind in dieser Eigenschaft
Staatsangehörige, Bürger des Staats. Da sie durch Vermittlung des „äußeren Staats“ seine Bürger sind, war es sinnentsprechend sie „Untertanen“ zu nennen. Bürger stehen unter der Gewalt und dem Schutz des Staates. Und dies soll sie frei (gegenüber anderer Gewalt) machen.


§6 Der Staat verfolgt das Unrecht, weil er durch Rechtsbruch selbst verletzt wird. Mit der Bestrafung der Rechtsbrecher sichert der Staat somit nicht nur die Existenz der Gesellschaft in ihren aus dem Kapitalverhältnis entspringenden Formen, sondern der Staat behauptet damit eben auch seine eigene Existenz, nach Hegel „gewalthabendes Gesetz“ (Jenenser Realphilosophie II, 1805/06).
Der Staat kann sich selbst Zweck sein. Er weiß sich als das lebendige Allgemeine. Der Staat ist damit das im System (unserer bürgerlichen Gesellschaft) erste Subjekt, das seinen Willen auf sich selbst richtet.


§7 Aus dem Gewaltmonopol des Staates folgt das Gewaltverbot für die Bürger. Die Person ist staatlich geschützt.

§8 In der Paradoxie, dass das Recht einerseits über dem Staate steht, andererseits aber der Staat die zwangsbewehrten Gesetze „macht“, drängt die Darstellung über den „äußeren Staat“ hinaus zur Thematisierung des „inneren Staates“ (vgl. IX).

§9 „Diebstahl verboten, Steuern erlaubt“
Das Steuerprivileg des Staates ist eine im täglichen Leben für (fast) Jede/n spürbare Anwendung des staatlichen Gewaltmonopols. Die Steuer bedeutet, dass der Staat, von der Gesellschaft getrennt, sich mit ihr verbindet, indem er einen Teil des gesellschaftlichen Reichtums sich rechtmäßig aneignet.
Aus der Steuerpflichtigkeit der Bürger folgt geradezu ein Appell an die Bürger, wirtschaftlich tüchtig zu sein und Geld zu verdienen, von dem sie Steuern zahlen können. Aus dem Einkommen für sich (der Konkurrenzsubjekte) wird nun beim Bürger zugleich auch Einkommen für den Staat, Einkommen „für die Allgemeinheit“ in der Form des Staatswohls.


§10 In seiner „ökonomischen Politik“ beschränkt oder fördert der Staat besondere Teile der „Volkswirtschaft“. Staaten sind aber nicht nur nach innen, sondern auch (solange es mehrere Staaten gibt) nach außen aktiv. An staatenübergreifende „transnationale“ bis tendenziell „internationale“ Organisationen können staatliche Gestaltungsmöglichkeiten delegiert werden. An die Stelle der „Volkswirtschaft“ treten dann Wirtschaftsgemeinschaften (EU) bis hin zur „Weltwirtschaft“, mit der Tendenz des weltweiten Kapitalismus. Qualitative Gleichheit und quantitative Differenz sind von Globalisierungskritikern (nicht nur) zu Zeiten von „Weltwirtschaftsgipfeln“ ein immer wieder hervorgehobener Punkt.



In einer schönen Mischung aus free-trade- Ideologie und Wohlfahrtsgedanken plädiert der behäbige „Vater des westdeutschen Wirtschaftswunders“, Ludwig Erhard, für freie, „aber durch Gesetz und Recht gezügelte Marktwirtschaft“ (1962). Erhard befürwortet eine ökonomische Politik der Zurückhaltung als Antwort auf die Frage, „ob der Markt als das Votum der gesamten Wirtschaftsgesellschaft oder der Staat beziehungsweise eine andere des Kollektivs besser zu entscheiden vermag, was der Wohlfahrt der Gesamtheit ... frommt. ...Wenn künftig der Staat darüber wacht, dass weder gesellschaftliche Privilegien noch künstliche Monopole den natürlichen Ausgleich der wirtschaftlichen Kräfte verhindern, sondern dass dem Spiele von Angebot und Nachfrage Raum bleibt, dann wird der Markt den Einsatz aller wirtschaftlichen Kräfte in optimaler Weise regulieren und damit auch jede Fehlleitung korrigieren.“ (S. 20f)

§11 Die ökonomische Politik des Staates ist jedoch nicht hinreichendes Mittel, um den Zweck, die Gesellschaft in ihrer Konkretheit zu erhalten, durchzusetzen. Dem faktischen gesellschaftlichen Reproduktionszusammenhang bleibt der Charakter der Zufälligkeit und Veränderlichkeit (als Durchsetzungsform des sich erhaltenden Kapitalverhältnisses). Zur ökonomischen Politik gesellen sich Bevölkerungspolitik (auch als Regelung des Zuzugs anderer Menschen) und Sozialpolitik, sowie Territorialpolitik (von der Absteckung und Sicherung der Grenzen des Staatsgebiets und der Verkehrswege bis hin zur globalen Ökopolitik). Die einzelnen Sparten der Politik überschneiden sich vielfach.

SCHWEDEN: Europäer raus! „Der Vorschlag der sozialdemokratischen Minderheitsregierung sieht vor, dass Arbeitnehmer etwa aus Polen oder den baltischen Ostsee-Anrainern in den ersten zwei Jahren der (am 1.5.2004 beginnenden) EU-Mitgliedschaft vor Einreise eine Arbeitserlaubnis beantragen müssen; auch ein konkretes Anstellungsangebot sowie eine Unterkunft sind nachzuweisen. „Wer kommt, soll eine richtige Arbeit haben, mit einem Lohn, von dem man leben kann“, verlangt Migrationsministerin Barbro Holmberg. Was sich wie staatliche Fürsorge anhört, hat handfeste politische Hintergründe. ... vor allem die Bauarbeiter erhoffen sich so Schutz vor Lohndrückern aus dem Osten. In Südschweden sind bereits heute Hunderte Bauarbeiter aus Ost- und Zentraleuropa zu Billigtarifen tätig. Sie reisen als freie Unternehmer an. Allein der geforderte Nachweis einer Unterkunft dürfte nun einen Zuzug angesichts angesichts der Wohnungsnot (und hohen Mieten) zumindest in Großstädten fast chancenlos machen. Ähnliche Übergangsfristen gelten inzwischen allerdings auch in vielen anderen Ländern der EU. In Stockholm wird der neue Kurs auch offen mit der Angst vor zunehmender Sozialmigration in den schwedischen Wohlfahrtsstaat begründet: „Bei uns entspricht das Kindergeld für drei Kinder einem Durchschnittseinkommen in vielen dieser Länder“, gibt Holmberg zu.“ Neue Mitgliedsländer ab Mai 2004: Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschchien, Slowakei, Ungarn, Slowenien, Malta, Zypern mit insgesamt 75 Mio Bevölkerung. Gleiche Beschränkungen wie Schweden gelten in Finnland und Dänemark, sowie Benelux, Frankreich und ganz Südeuropa. Deutschland und Österreich haben Beschränkungen für Arbeitssuchende bis 2011. DER SPIEGEL 15/2004, p.118


§12 Mit der Thematisierung der Bevölkerung verändert sich der Begriff der Gesellschaft erneut. Gesellschaft ist nun überhaupt bestimmt durch die Bevölkerung (Staatengemeinschaft) oder „das Volk“ (Nationalstaat). Das Wohl der Allgemeinheit ist Existenz ungetrennt von „Lebens“-Mitteln, gelingende materielle Reproduktion, die immer auch kulturelle Bestimmungen hat.
Konfrontiert mit seiner Grundlage, der kapitalistischen Wirtschftsweise und Gesellschaftsform, schwankt staatliches Handeln zwischen zwei Fassungen des Allgemeinwohls, einmal gefasst als Wohl Aller, zum anderen gesehen als Florieren der Volkswirtschaft, die ja notwendige Voraussetzung alles Weiteren. In dieser zweiten Fassung ist das Allgemeinwohl nicht abhängig vom Wohl, ja selbst von der Existenz aller Teile der Bevölkerung.

§13 Der Zweck des bürgerlichen Staats ist sowohl Staatswohl als Gemeinwohl. Was der Staat in der Verfolgung des Staatswohls sich aneignet, geht der Gesellschaft zunächst verloren. Verwendet der Staat sein Einkommen, um in der und für die Gesellschaft zu wirken, so überträgt sich auch die jeweilige Gewichtung hinsichtlich der beiden Fassungen des Gemeinwohls.
Die zwei Ausformungen des Allgemeinwohls erscheinen nun auch als ein Widerstreit oder Zusammenhang zwischen Einzelwohl und Allgemeinwohl. Als Sozialstaat setzt sich der Staat aktiv (und nicht mehr bloß reaktiv, wie als strafender) für die Existenz seiner Angehörigen ein.

§14 Das staatliche Handeln für das Einzelwohl war nur als eine Folgerung aus dem Allgemeinwohl (in Fassung 1) und gebunden an das Allgemeinwohl (in Fassung 2), die Quelle der materiellen Mittel, zu verstehen. In der Bestimmung dessen, was durch den Staat zur Verfügung gestellte Existenzmittel sind, liegt zugleich eine inhaltliche Füllung des Begriffs des Existenzrechts, vom abstrakten oder ideelen Existenzrecht hin zur materialen Existenz.
Indem der Staat bestimmte Mittel des Existierens dem (bedürftigen) Bürger zukommen lässt, bestimmt er zugleich, was als Existenzminimum gesellschaftlich gilt. Bestimmte Zwecke der Einzelnen werden zu Grundbedürfnissen. Dies ist zwar inhaltlich an den jeweiligen Ergebnissen gesellschaftlicher und politischer Auseinandersetzung, insbesondere am Stand des Konkurrenzkampfes zwischen Arbeiter/inne/n und Unternehmern orientiert (§11), kategorial bedeutsam ist, dass die Anerkennung von „Bedürftigkeit“ die Befriedigung jener Grundbedürfnisse aus der freien Zwecksetzung (zumindest für den in der Konkurrenz nicht erfolgreichen Willen) ausgliedert. Bedürfnisse (aber vgl. IX § 3) werden in ihrer Anerkennung durch den Staat anerkannt als vom Willen unabhängige Natur.
Die Befriedigung von Grundbedürfnissen kann nun objektive Notwendigkeit für sich beanspruchen, da Grundbedürfnisse nicht – wie die bisher betrachteten Zwecke- dem Willen besonderer Bürger entspringen, sondern der Natur des Menschen.
Die Staatsangehörigen entwickeln so angesichts der sozialstaatlichen Praxis des Formwandelns bestimmter Zwecke zu Grundbedürfnissen das Bewusstsein („Anspruchshaltung“), ein natürliches Recht auf Erfüllung (zumindest eines Teils ihrer Wünsche) – der „Grundbedürfnisse“ zu haben.
Der Kampf darum, was als Grundbedürfnis gelten soll, und wer auf staatliche Leistungen einen Rechtsanspruch habe, wird ausgefochten- in Auseinandersetzungen mit Organen des „äußeren Staats“ (cf.§15) und durch Partizipation am „inneren Staat“ ( Abschnitt IX) in sozialpolitischen Bewegungen und durch politische Parteien.
Der Staat ist der Allgemeinheit nun nicht mehr nur dadurch verpflichtet, dass er die Rechte der Person schützt, er sollte (nach Möglichkeit) das natürliche Bedürfnis der in ihm lebenden Menschen nicht unbefriedigt lassen. Werden die Staatsfinanzen überzogen, zeigt sich freilich die historische Abhängigkeit der sozialen Menschenrechte.
§15 Das Agieren des Staates stellt sich als Agieren einer Vielzahl von Staatsagenten dar. Entsprechend den verschiedenen Tätigkeitsfeldern stellen sich diese recht unterschiedlich dar als: Regierung, gesetzgebende Körperschaften, Rechtssprechung, sowie gesetzesausführende Organe in den verschiedenen Bereichen.
Da wir es hier (in Abschnitt VIII) vorerst nur mit dem Aspekt des von uns so genannten „Äußeren Staates“ zu tun haben, bleibt das Moment der Volkssouveränität noch in einem folgenden Abschnitt (IX) zu behandeln.
Der Staat ist auf dieser (vorletzten) Stufe der Darstellung Staatsapparat. Zum Staatsapparat im weitesten Sinne gehören alle Staatsagenten. Den staatsapparat im engeren Sinne bilden die gesetzausführenden Staatsorgane, die sich, wobei dies ein Sowohl-als-auch nicht ausschließt, in Repressions- und Wohlfahrtsapparate gliedern lassen. Die den Staatsapparat i.e.S. tragenden Staatsagenten agieren nicht als besondere, sondern als allgemeine. Jede/r von ihnen repräsentiert den Staat, indem das Agieren sich an Vorschriften hält, die in einer institutionalisierten Hierarchie von Zuständigkeiten auch festlegen, was in das Ermessen eines jeden Staatsagenten / Organs fällt.

§16 Abgesehen davon, dass der Bürger die ihm als Bedürfnisse vorgegebenen „natürlichen“ Inhalte ( aber vgl. -otto Rühle: Illustrierte Kultur- und Sittengeschichte des Proletariats-) willentlich verfolgen kann (der erfolgreiche Wille ist nicht auf die Anerkennung seiner Zwecke als Bedürfnis angewiesen), bleibt der Wille des Bürgers unbestimmt. In dieser Unbestimmtheit verweist die „äußere“, durch den Staat garantierte Freiheit (Freiheit wovon) auf eine „innere Freiheit“ (Freiheit wozu).

Es gibt nichts Externes, wodurch der Wille der Privaten bestimmt werden könnte. In dieser privaten Willensfreiheit drückt sich aus, dass das Allgemeine nur durch den Staat vertreten wird. Der Bürger ist als Privatmensch in erster Bestimmung das vom Allgemeinen „befreite“ , abgetrennte Subjekt
- (so wie in: „British subjects“ / sub-iectum) -
und das Besondere. Neben der (Konkurrenz)Gesellschaft, gefasst als staatlich vermitteltes Verhalten der Bürger zueinander, konstituiert sich durch die jeweilige Besonderheit der Bürger die Privatsphäre. Die Verdopplung der kapitalistischen Gesellschaft in Konkurrenzgesellschaft und Staat ist somit zugleich der systematische Entstehungsgrund für eine gedoppelte Verdopplung:
dem Staat treten als Sphären der Privaten ( i.w.S.) die Privatwirtschaft und die Privatsphäre (i.e.S.) gegenüber;
diese Privatsphäre ihrerseits sieht sich Sphären des gesellschaftlichen Lebens, der Konkurrenzgesellschaft und dem Staat, gegenüber.

Vgl. auch das 4 Felder Schema der Theorie des kom. Handelns, Jürgen Habermas;







Ausblick (IX) S.L.



“Hegel bezieht sich in der Bestimmung von “Staat“ und
“bürgerlicher Gesellschaft“ im §182 der Rechtsphiloso—
phie kritisch auf das neuere Naturrecht, dem er vorwirft,
es habe beide Begriffe nicht klar voneinander getrennt:

“Wenn der Staat vorgestellt wird als eine Einheit ver—
schisdener Personen, dl5 eine Einheit, die nur Gemeinsam-
keit ist, so ist damit nur die Bestimmung der bürgerlichen
Gemöinschaft gemeint. Viele der neueren Staatsrechtsleh—
rer haben es zu keiner anderen Ansicht vom Staate bringen
können.“ Gegen diese Verwechslung und wechselseitige Ver-
tauschung von Staat und bürgerlicher Gesellschaft bestimmt
Hegel die letztere von der Sache her als die ‘Differenz‘
zwischen Staat und Familie: “Die bürgerliche Gesellschaft
ist die Differenz, welche zwischen die Familie und den
Staat tritt“ (Rechtsphilosophie §182, Zusatz)“ (Riedel
1969/139f). Und weiter: “Während die große Tradition der
politischen Metaphysik von Aristoteles bis auf Kant den
Staat als bürgerliche Gesellschaft bezeichnete, weil das
gesellschaftliche Leben an ihm selber schon — in der Rechts—
fähigkeit der Bürger, der cives, wie sie Kant noch auf la-
teinisch erläutert — politisch war, und der status politicus
dieser so verfassten Menschenwelt das eigentlich ‘ökono-
mische‘ und ‘soziale‘ Element in der herrschaftlich — häus-
lichen bzw. ständischen Schichtung in sich gleichsam einge-
bunden enthielt, trennt Hegel die politische Sphäre des
Staates von dem nunmehr ‘bürgerlich‘ gewordenen Bereich
der ‘Gesellschaft‘. Dabei erhält der Ausdruck ‘bürgerlich‘,
entgegen seiner ursprünglichen Bedeutung, einen primär
‘sozialen‘ Gehalt und wird nicht mehr, wie noch im 18. Jahr-
hundert, als gleichbedeutend mit ‘politisch‘ gebraucht. Er
bezeichnet nur noch die ‘gesellschaftliche‘ Stellung des
privatisierten Bürgers im politisch absolut gewordenen
Staate, der seinerseits erst damit der Gesellschaft ei-
nen eigenen Schwerpunkt verleiht und sie als ‘bürger-
liche‘ freigibt. Wenn mensch wie dies seit Marx, Lasalle
und Tönnies geschieht, die Herkunft des Hegelschen Be-
griffs im neueren Naturrecht ansetzt, so überträgt mensch
auf das naturrechtliche Modell vom status naturalis und
status civilis eben diesen geschichtlichen Vorgang, ohne
der Sache des neueren Naturrechts und der in ihm weiter
wirkenden Tradition gerecht zu werden. Denn die soietas
civilis etwa bei Hobbes (De Cive, Cap. 1 2; V 9) ist eben
nicht jenes bellum omniüm contra omnes, die gegen — und
miteinander kontraktierende Tauschgesellschaft, wie sie
Adam Smith und die Physiokraten zuerst konstruieren, son-
dern riöch immer ein politischer Ordnungsbegriff und der
Gegensatz zum status naturalis; und im status naturalis
erhält sich, in Deutschland bis hin zu August Ludwig
Schlözer (Allgemeines Staatsrecht, 1794), die aristote— -
lische Vorstellung des unabhängigen Hausvaters, der über
seinen häuslichen Zustand frei gebietet, weshalb er zum
Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft wird. Dass diese
bei Schlözer erstmalig ausdrücklich vom ‘Staat‘ sich ab-
hebt, geschieht, unabhängig von den naturrechtlichen Mo—
dellen, erst auf Grund der oben beschriebenen ‘Differenz‘
zwischen Staat und Gesellschaft, die mit der Zentralisie-
rung des Politischen im Staate (in Verwaltung, Verfassung,
Kriegswesen) und der Verschiebung des ‘Bürgerlichen‘ auf
die Gesellschaft parallel läuft. Diese von Hegel so ge-
nannte Differenz ist es, die den inneren Aufbau und den
geschichtlichen Gehalt des Abschnitts über die ‘bürger-
liche Gesellschaft‘ in der Rechtsphilosophie von 1821 be-
stimmt. Denn hier verbindet sich der von seiner politisch—
rechtlichen Bedeutung emanzipierte Bürgerbegriff mit der
gleichermaßen emanzipierten Gesellschaft; ihre politische
Substanz, die in der alten societas civilis zum klassischen
Ausdruck kam, wird aufgelöst in der sozialen Funktion, die
beide, der ‘Bürger‘ und die ‘Gesellschaft‘, durch den euro-
päischen Traditionsbruch des ausgehenden 18. Jahrhunderts,
mit der industriellen und der politischen Revolution er-
halten. Denn erst jetzt wird der Bürger als bourgeois
zum prinzipiellen Problem der politischen Philosophie, und
zwar gleichzeitig mit der Herausbildung der modernen
Gesellschaft, die mehr und mehr die Substanz des alten
Hausverbands auflöst, indem sie selber im Großen die
Funktion der ‘Ökonomia‘ übernimmt. Und wie vordem das
Haus die soziale Zelle der alten bürgerlichen Gesell-
schaft war, so bildet nunmehr die gewandelte Gestalt
der bürgerlichen Gesellschaft die soziale Grundlage des
modernen Staates.“ (ibid, 146ff) Manfred Riedels Argu-
mentation ist so klar wie einseitig, denn wo bleibt die
Familie? Die Binnenstruktur der Familie ist ja nicht:
“Tauschgesellschaft“. Wenn die bürgerliche Gesellschaft
als Differenz “zwischen die Familie und den Staat tritt“,
wieso bleiben dann nur zwei übrig, Gesellschaft und Staat?
(Vgl. dazu auch Riedel, 1969, p.163 aber auch 129 zum
“sentimentalen Familienbegriff“.) “Der hier nur in wenigen
Zügen angedeutete historische Vorgang kommt nun im ein-
zelnen zum Vorschein an der inneren Umprägung der poli-
tischen Begriffe. Die Struktur von ‘bürgerlicher Gesell-
schaft‘ baut sich, wie es scheint, nach 1800 von einer
neuen Mitte her auf, welche die alten Bedeutungselemente
überlagert. So wird der Unterschied des Hegelschen Be-
griffs etwa zu dem des 18. Jahrhunderts und seine innere
Zugehörigkeit zum 19. Jahrhundert sogleich dann klar,
wenn man nur auf die — in den Menschen — und Bürgerrech—
ten der nordamerikanischen und französischen Revolutionen
kodifizierte — naturrechtliche Trennung zwischen dem Men-
schen als Menschen und ihm als Bürger achtet. Als Mensch
ist er, dem Denken des Naturrechts zufolge, Mitglied der
societas generis humani, Gattungswesen und Individualität
zugleich, und den ihrer Allgemeinheit unbestimmten Ge-
setzen der Ethik unterstellt. Als Bürger aber gehört er
zur bürgerlichen Gesellschaft, zum Staate und seinen Ge-
setzen, den fordernden Regeln der Politik gehorchend.“
(So bei Wolff, Kant, Rousseau). „In der bürgerlichen Gesellschaft der Rechtsphilosophie
hingegen ist der naturrechtliche Mensch als Mensch, der
Repräsentant der Gattung, eingeschmolzen in seine na-
türliche Bedürftigkeit, in das, wie Hegel in der Erläu-
terung zum §190 sarkastisch sagt, “Konkretum der Vorstel-
lung, das man Mensch nennt“ und das als solches dem “Stand-
punkt der Bedürfnisse‘ zugeordnet bleibt.“ (Und hier sieht -
Riedel 1969 Anlass in einer Anmerkung eigens hinzuweisen
auf Hegels die systematische Ebene reflektierende Ein—
schränkung, “die wir heute wohl im Hinblick auf die Marx—
sche Universalisierung (?) des Bedürfniswesens und seine
Fixierung des Menschen (!) in die Bewegung zwischen Pro-
duktion und Konsumtion lesen müssen: „Ens ist also erst
hier und auch eigentlich nur hier vom Menschen in diesem
Sinne die Rede“ (§190, Zusatz).“) Weiter Riedel, p.149:

“Und dieses Konkretum, welches der §190“ – von Hegels RECHTSPHILOSOPHIE- „im Hinblick auf den natürlichen Unterschied von Mensch und Tier als das
abstrakt — allgemeine Bedürfniswesen bestimmt, unterliegt
nun dem Gegenstand der bürgerlichen Gesellschaft, d.h.
dem ‘Bürger‘ — “als bourgeois“ wie Hegel auf französisch
und in der Klammer erläutert. Als bloßer, d.i. natür-
licher Mensch ist der Mensch Bedürfniswesen, und als Be—
dürfniswesen ist er — Privatmensch, d.i. Bürger als
bourgeois.“

Wenn der Privatmensch mit dem bourgeois zusammenfällt,
ergibt sich die durch Marx berühmt gewordene einfache
Verdopplung, der Mensch will als bourgeois das Besondere,
als citoyen das Allgemeine.

Hier wird dann auch leicht das “System der Bedürfnisse“
auf Projektion der Warenwelt verkürzt. Jede Ware ver-
körpert ein Bedürfnis. Jeder Mensch ist einerseits Waren—
produzent, andrerseits als bedürftiges Wesen Warenkon—
sument. Und andere Bedürfnisse als durch Waren zu be-
friedigende gibt es nicht. Es braucht auch nichts als ei-
ne Ware, um ein Bedürfnis zu befriedigen.
Andrerseits wird die zweite Seite der Verdopplung auf
den Staat als Repressionsapparat verkürzt und so stehen
sich äußerer Staat und kapitalistische Gesellschaft (oder:
Gesellschaft der Warenproduzenten) im Zwei—Sphärenmodell
der einfachen Verdopplung gegenüber.
Wir gehen dagegen —
um im angeführten Bilde zu bleiben — von einer gedoppel—
ten Verdopplung aus. Weder beschränkt sich der Staat auf
den äußeren Staat, noch beschränken sich die Sphären der
Privaten auf die Konkurrenz. Neben den äußeren Staat tritt
der innere Staat (dazu später) und neben die Konkurrenz
in der bürgerlichen Gesellschaft tritt Liebe und Haß
in den “persönlichen Verhältnissen“, den “zwischenmensch—
lichen Beziehungen“ der Privatsphäre im engeren Sinne, als
deren Kern traditionell die Familie gilt.

Das zentrale Thema der Analyse der bürgerlichen Privat-
sphäre ist der Zusammenhang zwischen Freigesetztheit und
Selbstbindung. Dies ist — in mehr oder weniger und auch
wechselnd verphilosophierter Form — Thema der philoso-
phischen Idealismen wie der Existenzphilosophien.
Historisch—materialistische Sozialphilosophie kann die-
sen Bereich nicht mit dem (gern übergeneralisierten) Merk—
spruche, wonach das Sein das Bewußtsein bestimme, abtun.
Sie hat zu analysieren, wie die gesellschaftliche (Ökonomie)
und staatliche (Politik) Objektivität eine bürgerliche Sub-
jektivität als ihr Komplement hervorbringt.

“Mit der Umwandlung der bürgerlichen Gesellschaft von in-
nen heraus hat die ‘ökonomische‘ und sittlich—substantiel-
le Ordnung des Hauses ihren Boden verloren, so dass He-
gel nicht mehr, wie Kant, das ‘Recht der häuslichen Ge—
sellschaft‘ abhandelt, sondern nur von der ‘Familie‘...
spricht (§160ff). Es ist der neuere, nicht mehr an die
ökonomische Zelle des Hauses gebundene Begriff der Fa-
milie. .. Denn die Familie ist... in der bei Hegel im Blick
stehenden “bürgerlichen Gesellschaft“ ein Untergeordnetes
und legt nur den Grund: sie ist nicht mehr von so umfas-
sender Wirksamkeit. Die bürgerliche Gesellschaft ...

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