Sonntag, Januar 28, 2007

robin : Henning ÖKONOMIE

S. 130 - 141Christoph Henning - Philosophie nach Marx
-100 Jahre Marxrezeption und die normative Sozialphilosophie der Gegenwart in der Kritik-


2.3 Marx in der ökonomischen Theorie

2.3.1 Marx zwischen wirtschaftswissenschaftlichen Paradigmen


„Klassik“ (Smith, Ricardo…)
- heterogene Wirtschaftsklassen, in Konkurrenz miteinander
- Polarität der Klassen, Verteilungskämpfe
- Arbeitswertlehre / objektive Wertlehre
„Marx’sche Theorie“
- Weiterführung klassischer Ansätze / klassische Tradition
- bis in Politik ausstrahlende ökonomische Klassenkämpfe
„Neoklassik“ (Marshall, Keynes, Friedmann…)
- Tauschfixierte Perspektive
- fehlende hist. Dimension, da Nichtbeachtung der Produktion
- schwerpunktmäßig „Preistheorie“ / Mikroökonomie
- 3 Variablen: Angebot - Nachfrage - Preis
[zur Ermittlung einer Variable müssen die 2 andren gegeben sein]
statischer Charakter, da Entwicklung der Variablen nicht im Zentrum
- Atomisierung: 1. Voneinander isolierte, nutzenmaximierende Individuen 2. Fehlender übergreifender Problemzusammenhang (hist./systemat.)
allenfalls Legitimierung der bestehenden Ordnung
- Psychologisierung:
Subjektive Neigungen (vgl. „rational choice“) als Ursache grundlegender ökonomischer Mechanismen (≠ Sachzwänge / objektive Wertlehre)
- Harmonisierung:
Statt Klassen eine homogene Gruppe nutzenmaximierender Individuen
Keine Krisen / wirtschaftliche Akteure nehmen Marktpreise passiv hin/„Frieden“ /Statik

Weiterführung ohne Rekurs auf Marx unmöglich, daher neues Paradigma


Fazit Hennings:
Bürgerliche Ökonomen „widerlegten“ Marx im „falschen“ Paradigma, nicht im klassischen…




S. 141 - 1442.3.2 Marxwiderlegungen aus neoklassischer Sicht

Klassik einschl. Marx: Wert objektiv bestimmt durch Boden (Physiokraten)
Gesell.-abstrakte Arbeit / Arbeitszeit… MiRo: Hinweis auf die Wertform im Austauschverhältnis aller Industriewaren

---------- -----------------

Neoklassik: Wert bestimmt durch subjektive Nutzenerwägungen
Grenznutzentheorie („Preistheorie“):
- Preis eines Gutes hängt ab von Angebot (Produktionskosten der Anbieter als Untergrenze) und Nachfrage (Nutzenkalkül der Nachfragenden als Obergrenze)
- Markt als Subjekt, Firmen als passive Elemente bei Preisbestimmung


1. Marx will Level erklären, um das die Preise durch Angebot + Nachfrage schwanken, von A+N selbst aber nicht erklärt werden können. Im neoklassischen Paradigma lassen sich Preisschwankungen nur feststellen, nicht erklären, ebenso wenig wie sinkende Profitrate / Klassen(-widersprüche bzw. -kämpfe).
2.Thema der Arbeitswerttheorie war nicht Preisbestimmung (but 1.? MiRo), sondern Suche nach dem sich langfristig durchsetzenden „Bewegungsgesetz“ der kapitalistischen Wirtschaft

Neoklassik teilt nicht die gleiche Fragestellung, kann/will daher mit der Arbeitswertlehre nichts anfangen
Werte hinter Preisen gelten als Mystik / Metaphysik politische Implikationen: Lohnforderungen / Krisenerklärungen scheinen unsinnig
Ausschaltung / Kritik der Arbeitswertlehre bedeutet Entledigung aller unangenehmen Elemente der Marxschen Theorie

S. 144 - 152Vermutung Hennings: die Preisgabe der Werttheorie geschieht auch aus außertheoretischen Motiven

2 Versuche, die Arbeitswertlehre zu widerlegen:
1. Argument:
Theorie empirisch nicht haltbar, da durch gleichen Arbeitsaufwand geschaffene Produkte zuweilen unterschiedlichen Preis erzielen
Gegenargument:
Keine Widerlegung, Marx bestimmt den Wert durch die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit nach gegebenem Stand der Technik
2. Argument:
„Transformationsproblem“ von Werten in Preise
Lesart MEW 23: Waren verkaufen sich zu ihrem Wert (Wert = Preis)
--- Widerspruch ⇅ ---
Lesart MEW 25: Auch andere Faktoren bei Preisentstehung auf dem Markt
à Wertlehre will unmittelbaren Marktpreis erklären (was sie nicht kann)
Gegenargument:
- Wertlehre will nicht Preisbestimmung leisten, sondern „roten Faden“ in scheinbar chaotischen Phänomenen des Marktes ausmachen
- MEW 23: Entwicklung grundlegender Begriffe + Zusammenhänge
- MEW 25: Untersuchung, wie sich diese Logik tatsächlich durchsetzt
- Vereinfachungen wie (Wert = Preis) dienen Marx zur Erklärung von Grundmechanismen
- methodisch: vom Abstrakten zum Konkreten
- Bildung + Funktionsweise des Kapitals schon unter Voraussetzung einfachster Abstraktion zu begreifen
akademische Marxkritik missversteht Charakter der Marx’schen Gesetze durch ihre Festlegung auf die „Teilnehmerperspektive“ [Marx: Addition der Individuen ≠ Gesellschaft]

S. 152 - 1552.3.3 Übernahme der Neoklassik durch Marxisten

2. Hälfte des 20 Jhd.: Marxrezeption durch hegemonial neoklassisches Umfeld geprägt
Werttheorie als unnötiger „Umweg“ in der Preistheorie
Hegemonie des neoklassischen Paradigmas dominiert Fragestellung

Auswirkungen der Aufgabe der Arbeitswertlehre selbst durch Marxisten:
- eigentlich kein Marxsches Thema mehr begründbar
- alternative Theorie der Ausbeutung etc...(im analytischen Marxismus mit „rational-choice“-Methoden)
- Fallenlassen des „tendenziellen Falls der Profitrate“(da nur mit Kategorien wie „Wert“ + „Profit“ erklärbar)
S. 156 - 163

Neoklassisches Absehen von Bewegungen der Profitrate: nur noch „Lohnanteil“ bestimmt „Profit“ (hier Gewinn)
„profit-squeeze“-Theorie(Möglichkeit, dass Löhne + Profite steigen, verweist zwar auf gemeinsame Ursache, die aber hier nicht beachtet wird)
politische Konsequenz: Löhne niedrig halten
Widersprüchlichkeit für Marxisten

Voraussetzung des „Harrod-neutralen“ technischen Fortschritts als Annahme: technischer Fortschritt verändere nicht die organische Zusammensetzung des Kapitals)
Verweis auf empirische Befunde schwierig, da der Datenerfassung unterschiedliche Begrifflichkeiten zugrunde liegen (Bsp.: „Mehrwert“)

Marxistische Erklärung dafür, dass Profitrate nicht fällt:
Kapitalisten führen nur Technik ein, die Profitrate hebt (Okishio-Theorem), wenn Profitrate dennoch fällt, dann sind Löhne oder billigeres Ausland schuld)

Aber: Plausibilität dieses Modells hängt an Vorannahmen, die im Marxschen Paradigma keinen Sinn machen (Bsp.: passive Rolle der Unternehmen als „Preisnehmer“ in der neoklassischen „perfect competition“


Unterschied:

Konkurrenz bei Marx
Perfekte Konkurrenz in Neoklassik

- Investition in (fixes) konstantes Kapital mit besserer Leistungsfähigkeit, um Kostpreis der Ware zu senken



Preiskampf, Konkurse + Fusionen, Arbeitslosigkeit (durch Erhöhung von c zu v), zyklische Krisen + über Zyklen tendenziell fallende Profitrate

- Neuerungen nur, wenn sie die Profitrate erhöhen
- „Optimalitätskriterium“
- harmonisch



im neoklassischen Paradigma undenkbar

Realität widersprach neoklassischen Grundannahmen (Bsp.: Weltwirtschaftskrise 1929)

S. 163 - 168Politische Antwort: keynesianistische Wirtschaftslenkung

Theoretische Antwort (inkl. der Linken):
- keine Veränderung der ökonomischen Rahmentheorie
- Realität wird zum unreinen Sonderfall („imperfect competition“) erklärt

Wirtschaftliche Misere wird nicht auf Wettbewerbslogik zurückgeführt, sondern auf Behinderung dieses Wettbewerbs, besonders durch Monopole

Auch „Marxisten“ wie Sweezy + Baran (im Anschluss an Linkskeynesianer wie Robinson/Kalecki/Steindl) unterscheiden nun zwischen:

competitive capitalism: individual enterprise as „price taker“

qualitativer Unterschied / “neue Phase”

monopoly capitalism: big corporation as “price maker” à Nun: Primat des Politischen (vgl. Lenin)


Als Grundlage dient hier neoklassische- (passiver “Preisnehmer”), nicht Marxsche Ökonomietheorie
„perfect competition“ als einzig mögliche Form der Konkurrenz, bei Nichtvorliegen „Monopol“(≠ Marx’scher Konkurrenzbegriff)

Kritik an Henning aus dem Seminar:

Sweezy, Mandel etc. sind bei aller berechtigten Kritik nicht in eine Reihe mit Neoklassikern zu stellen...






Fazit Hennings: Marxsche Essentials wie Arbeitswertlehre, Ausbeutung, fallende Profitrate etc. wurden selbst von Marxisten über Bord geworfen (nach leninistischem Grundmodell einer epochalen Politisierung der Ökonomie, demgemäss Wirtschaft & Politik ein Komplex).














2.3.4 Ausstrahlung des Paradigmas in Nachbarwissenschaften


Kernthese siehe Überschrift...

- Selbst Frankfurter Schule bleibt gefangen im neoklassischen Paradigma
- Wandel: Kritik der politischen Ökonomie Politische Ökonomie
- Ausgrenzung der sozialen Realität des Wirtschaftens aus der ökonomischen Theorie
So öffnet sich das Feld für eine separate "normative Sozialphilosophie"

Montag, Januar 22, 2007

MARX und Nietzsche (Henning und Haug)

Philosophieren nach Marx: Nietzsche

vorab ganz kurz zu Henning:

Hennings Grund-These: Die Sozialphilosophie des 20. Jahrhunderts ist als eine mal offene, mal verdeckte Auseinandersetzung mit Marx zu lesen, der dabei entökonomisiert und vergeistigt wurde. (S. 303)
– Bezug auf Nietzsche in Kap. 2.5.2 „Der Einfluss Nietzsches“ [auf die Philosophie nach Marx] S. 262 -264
– Nietzsche: reduktiver (monistischer) Naturalismus (Diese Etikettierung kommt aus dem Nichts)
– Nietzsche war für die Entwicklung der Sozialphilosophie überaus zentral (S. 263)
– Bsp.: Webers nietzscheanische Geschichtsphilosophie („Entzauberung“). Nietzsches Entzauberungs- und Rationalisierungsthese sowie die Verfallstheorie gehören seither zum Fundus der Sozialphilosophie
– Bestimmte Philosopheme von Nietzsche und Fichte herrschten bei der Rephilosophierung der Soziologie vor.
=> Keine Darstellung der Spuren von Marx bei Nietzsche
=> Unverständlich, warum dann diese oberflächliche Behandlung von Nietzsche bei H.

wesentlich ausführlicher und interessanter (vor allem wg. der dabei dargelegten Methodik) ist Haugs Auseinandersetzung mit Nietzsche:

Referat über die Passagen zu Nietzsche in W.F. Haug (2006) Einführung in Marxistisches Philosophieren. Die Abschiedsvorlesung, Argument, Hamburg:
12. Vorlesung S. 143 - 151
13. Vorlesung S. 153-170.

Kontext:
· Haug war bis 2001 Professor für Philosophie an der FU Berlin.
· Gründer des Argument Verlags
· Herausgeber der Zeitschrift „Argument, Zeitschrift für Philosophie und Soziologie“
· Herausgeber des Historisch Kritischen Wörterbuchs des Marxismus
· (Neu)Übersetzer und Herausgeber der Kritischen Gesamtausgabe der Gefängnishefte von Gramsci

Erster Teil einer vierteiligen Einführung
· Philosophieren mit Brecht und Gramsci (2006)
· Vorlesungen zur Einführung ins „Kapital“ (2005)
· Neue Vorlesungen zur Einführung ins „Kapital“ (2006)
· Elemente einer Theorie des Ideologischen

Ergänzung:
– Antonio Gramsci: Gefängnishefte Bd. 6: Philosophie der Praxis. 10. und 11. Heft. Argument
– Labica (1998): Karl Marx – Thesen über Feuerbach, Argument


Gang der Darstellung in EinfMarxPhil:
· Textnahe Annäherung an Marxistisches Philosophieren
· Werkgeschichte, Periodisierung (S. 21 ff)
· Marx' Entwicklung seines Denkens in Bezug auf Philosophie
· Von seiner Dissertation „Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie“ (d.h. Einem Doktor der Philosophie) bis hin zur Proklamation des „Endes aller Philosophie“.
· Es geht also um den Sinn der Philosophiekritik von Marx („Schöpferische Zerstörung ihrer intellektuellen Legitimität“ (S.7)). Wie war das gemeint, wie hat sich das ausgewirkt und wie ist ein Philosophieren nach Marx möglich?

Was ist marxistisches Philosophieren nach dem „Ende aller Philosophie“?
Vorwegnahme einer Antwort: Marxistisches Philosophieren als Philosophie der Praxis (Gramsci), auf der Basis von Ideologietheorie und Kritik der Politischen Ökonomie. Als „komplementäres Implikationsverhältnis von menschlicher Praxis und dem Begreifen dieser Praxis.“

Dies wird beispielhaft demonstriert an Nietzsche. Warum Nietzsche? „Nietzsche ist der erste Bürgerliche Marx-Epigone“ (S. 155). Nietzsche war der erste nachmarxsche philosophische Konterrevolutionär im Wortsinn (S. 154)

Wirkung und Aktualität von Nietzsche:
– dient heute als „Advokat der Bestenauslese und Elitenbildung“, passt „neoliberaler Neuauflage von Sozialdarwinismus und Biologismus“ ins Zeug, hilft bei einer r“eligionsförmigen Ideologie nach dem Tode Gottes“, einer „innerweltlichen Heiligung von Herrschaft“, bietet Chance „in der Philosophie antiphilosophisch zu denken“ (S. 146 f)
– Versuche (von Simmel, Schopenhauer, ...), nur bestimmte nützliche Dinge von Nietzsche herauszufiltern und alles widersprüchliche, sensationelle, paradoxe wegzulassen
=> Haug will das nicht weglassen sondern gerade das auch ins Licht rücken (S. 148)


Blitzlichter von Haug zu Nietzsche
– Hass auf Demokratie, Menschenrechte, Nietzscheaner
– verhöhnt alle emanzipatorischen Tendenzen, Arbeiterbewegung nicht weniger als Frauenemanzipation
– in sich sehr widersprüchlich (Revolutionär und Konterrevolutionär in einem, sich wechselseitig durchdringen S. 154)
– Prototyp der konservativen Revolution in der Philosophie
– herrschaftsfixiert
– Echo von rechts
– ...


Methodik: Herangehensweise von Haug:
1. „Wer ist der Mann? Unter welchen geistigen und politischen Einflüssen hat er sich geformt?“ Biografie und Werkgeschichte(143 ff), welche Marxisten kannte Nietzsche (Lektüre, persönlicher Kontakt) S. 146
2. Parallelen („Nach-Folge“) und Widerworte zu Marxschen Thesen
3. den ganzen Mann dialektisch analysieren in all seinen Widersprüchen: „Dass und wie das Konter- und das Revolutionäre sich hier wechselseitig durchdringen und modifizieren, dieser Widerspruch und seine Dynamik sind es genau, was uns interessieren kann.“(S. 154)
4. Vergleichsmaßstab: Thesen Feuerbachs. „Die Zusammenhänge im Blick auf ihre praktische Relevanz, Vermitteltheit und Veränderbarkeit denken und dabei zugleich die tradierten Gedanken über diese Zusammenhänge aufheben zu können. Dasjenige Denken, welches das andere in sich zu übersetzen in der Lage ist, ist das Stärkere. (S. 155)
5. Stützpunkte in den gegnerischen Stellungen suchen (S. 168)

Es geht Haug also nicht um statische Etiketten oder Schubladen („monistischer Naturalismus“ wäre so eine bei Henning), sondern um Einflüsse, Entwicklungen, Wechselwirkungen, Bewegungen, Kräfteverhältnisse, etc. Nach innen und nach aussen: „Vor allem muss es uns darum gehen, das gedankliche Kräfteverhältnis zwischen diesem Prototyp der konservativen Revolution in der Philosophie und dem marxschen Denken auszuloten.“ Vorgehen entsprechend dem Vorschlag von Gramsci, „die Frage nach dem Kräfteverhältnis danach zu entscheiden, welche der beiden Theorien, die andere in Ihre Sprache zu übersetzen vermag.“ (S.154f) Haug versucht also die Problematiken Nietzches in marxsche Sprache zu über setzen.

Marxsche Einflüsse:
– keine Spur einer direkten Kenntnisnahme von Marx' Werk bei Nietzsche (S. 146) aber: wichtige Anstöße von FeuerbachBsp. einer Spur zu Feuerbach: Untertitel eines Spätwerks von N. nimmt einen Titel von Feuerbach auf:
„Vorspiel einer Philosophie der Zukunft“ (Nietzsche) und
„Grundsätze der Philosophie der Zukunft“ (Feuerbach) (S. 155)
– Spur zu Artikel von Engels über Feuerbach (S. 157)
– Kennt nur den Sozialismus in der Lassalleschen Version (S. 163)

==> politisch reaktionär: Verhöhnt die liberale Demokratie, Menschenrechte und alle emanzipatorischen Tendenzen (Arbeiterbewegung, Frauenbewegung) S. 147


Parallelen zu Marx: (S. 148)
– griechische Antike, Sympathie mit Epikur
– scharfe Ideologiekritik
– Kritik der Metaphysik und Spekulation (S. 149 f)
– beide gehen wie gesagt von Feuerbachs Religionskritik aus
– gescheitert beim Versuch Philosophieprofessor zu werden
– beide lieben Heine
– Vieles wirkt wie ein fernes und undeutliches Echo auf die erste Feuerbachthese (S. 150)

=> Axiomgemeinschaft (S. 155) , wonach die Reise aber in entgegengesetzten Richtungen geht


Nietzsches Metaphysikkritik

– statt Religionskritik wie Marx (Mensch findet statt des Übermenschen im Himmel nur den Schein seiner selbst, KHR) verkündet Nietzsche den Übermenschen auf Erden
– Kritik am unhistorischen Menschenbild der Philosophen. An dessen Stelle soll die moderne Wissenschaft treten (S. 156)
– Metaphysik wird auf psychische Bedürfnisse oder das Verlangen nach lebensförderlichen Fiktionen zurückgeführt (S. 157). Metaphysik soll durch historisierte Psychologie überwunden werden
– aber dann Relativierung: man soll ihre lebensförderliche Produktivität sehen, ohne die man sich der besten Ergebnisse der bisherigen Menscheit berauben würde
– Philosophen werden von den Worten verführt, durch die Grammatik fehlgeleitet, sie „zappeln in den Netzen der Sprache“ (S. 158) An der Stelle findet sich eine weitere Spur: zu einem Artikel von Engels im Jahr 1986 !
– Wahrheitsbegriff muss von Metaphysik befreit werden
– Scheinbarkeit kann in Marxens Theorie des „gegenständlichen Scheins“ ausgedrüct werden
– „Philosophie der That und des Lebens“ (Nietszche) <-> „Philosophie der Praxis“(Labriola, Gramsci) S. 159
– Verdrehung Spinozas „potentia agendi“ (Handlungsmacht) sie wird zur Macht und vom Kooperativen ins Herrschaftliche gedreht, abstrahiert von der sozialen Welt (Bsp. Freude / Lust S. 159)

Remetaphysizierung / Reideologisierung

– Mythenbildung auf der Achse Intellektuelle-Volk von Hegel und Nietzsche um die eigenen Lehre zu verbreiten
– Abbau des Staates (Marx) - „möglichst wenig Staat“ (Nietzsche) aber: „Krieg ist für den Staat eine ebensolche Nothwendigkeit wie der Sklave für die Gesellschaft“ gekoppelt mit Vaterlands und Fürstenliebe
– Nietzsches Übermensch:
„Das Elend der mühsam lebenden Masse muß noch gesteigert werden um einer Anzahl olympischer Menschen die Produktion der Kunstwelt zu ermöglichen“ Übersetzungsversuch von Haug: „Was Nietzsche in die paar Übermenschen hineinwähnt erwarten Marx und Engels davon, wenn das Riesenheer der modernen Lohnarbeiterschaftsich zu voller Menschlichkeit aufrichtet“ worin Nietzsches Gedanke aufgehoben ist. Nietzsches Idde des Übermenschen ein Zerrbild einer von Unterdrückung und entfremdeter Arbeit befreiten Gesellschaft (S. 164)
– Kritikwörter wie Wahn / Lüge werden von Nietzsche elitär- ästhetizistisch metaphysisiert (S. 165) Statt sie abzuschaffen will er zu einer Wende in der Ideologiekommen

Kritik der politischen Ökonomie
– zahlreiche Ökonomische Metaphern im Spätwerk Nietzsches (Kapitalisierung, Akkumulation, Überarbeit)
– Mehrarbeit, Lohnsklaverei („Lohnsklaverei“ ist bei Marx nur polemisch, nicht analytisch gemeint) und: alle Arbeit im Kapitalismus sei Sklaverei. Ausbeuter und Ausgebeutete werden in einen Topf gerührt
– beim kapitalistischen Verwertungsprozess erscheint ihm einzig die „Geldwirthschaft“ als Wurzel aller Dekadenz, „Verwendung des Revolutionsgedanken im Dienste einer eigensüchtigen Geldaristokratie“ (Haug findet scharfe Worte... auf S. 165)
– Affekte des Klassenkampfs werden bei Nietzsche „zum Pathos der Distanz von oben und pöbelhaftes Ressentiment von unten“ (Haug).
– Klassen werden auf 2 reduziert: a) die die sich als Mittelverbrauchen lässt und b) die sich oder andere als Zwecke setzt (S. 166) Die Klassengesellschaft soll forciert werden, da wo Marx sie aufheben will. Der Klassenantagonismus wird gesehen und und umgehend desartikuliert. Stattdessen hebt er ab auf den Kampf zwischen „Gesunden“ und „Kranken“


Ergebnis:
Die Übersetzung von Nietzsche in marxsche Sprache gelingt, während „Nietzsches „zusammengesetzer Widerspruch“ (vgl. FN67) beim umgekehrten Versuch implodieren müßte. Der Nutzen dieser Übersetzungsübung: Kritisches Denken schärfen, Inspiration, Gegenmittel gegen Erstarrungen entdecken,
– Beispiel wie Benjamin ein Motiv von Nietzsche (Kulturgüter) aufnimmt und weiter entwickelt
– Beispiel zu Gramscis Satz „Pessimismus der Intelligenz, Optimismus des Willens“ und einer Spur zu Nietzsche

Stefan, 21.1.2007