Montag, Februar 18, 2013

Neue MEGA zum KAPITAL 
 
taz 4.Feb 2013, p. 16: Marx, der Mathematiker (Artikel zur Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung >“Das Kapital“ von Karl Marx. Zur vollendeten Edition eines unvollendeten Projektes< in Berlin), da heißt es
Für Generationen von MarxleserInnen galten die drei (blauen) Bände von Marx´ >Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie< … als … Schlüsselwerk. Marx (veröffentlichte nur Band I im Jahr 1867 und Auflage 2) starb 1883 und Friedrich Engels >vollendete< das Werk seines Freundes (so schien es)... Die … >blauen Bände< der Marx-Engels-Werke (23 - 25)… präsentierte(n) … einen Text, aber …nicht den, den Marx hinterlassen hat … In der neuen MEGA (Marx-Engels-Gesamtausgabe) umfasst >Das Kapital< heute 15 Bände in 22 Teilbänden auf 12 000 Seiten.“ „rund 5 000 Textänderungen (von Engels) im 2. Band >Das Kapital<. … Regina Rothe befasste sich mit Engels´Arbeit am 3. Band und belegte zum Beispiel, dass Engels das Wort >Zusammenbruch< in den Text einfügte ...“
(Mein) Kommentar: Marx´ Versuch einer systematischen Darstellung der kapitalistischen Gesellschaftsform ist Fragment geblieben und es ist bereits eine Übertreibung (so in der taz) - von einem „Rohbau“ zu sprechen, den Marx uns hinterlassen habe. Vielmehr muss selbst der Rohbau der Theorie noch teils rekonstruiert und teils neukonstruiert werden. Dies ist allerdings beinahe die Regel bei aktuell bleibenden „Klassikern“. Die Rolle von Engels ist kontrovers zu diskutieren. 
1.Wer wollte ihn um die Aufgabe beneiden, aus den immer wieder abbrechenden und neuansetzenden Marxschen Entwürfen zum >Kapital< (als Basis einer noch umfangreicheren Analyse) eine durchgängig nachvollziehbare Argumentation fertigzustellen? 
2.Wo verfestigt Engels durch „Hilfskonstruktionen“ und dogmatisch werdende „Popularisierung“ die unabgeschlossene Marxsche Bemühung   - zur Ideologie (siehe oben: Zusammenbruch), wo wird der wissenschaftliche Anspruch aufgegeben und geforderte Orthodoxie tritt an ihre Stelle?
Die Hinzufügungen von Engels zum „wissenschaftlichen Sozialismus“ entstehen oft aus Keimen Marxscher Formulierungen. Bei der Rekonstruktion kommt man um Re-Vision nicht herum. Aber ist die Konstanzer Dissertation von Zoran Djindjic überhaupt als ein Rekonstruktionsversuch Marxscher Grundüberlegungen zu sehen? (Es gibt im Text solche Formulierungen.) Oder ist seine Thematisierung von Marx´ kritischer Gesellschaftstheorie und dem Problem der Begründung Zorans Kritik der Kritik? Kommt sie zum Ergebnis der Zurückweisung der Marxschen Kritik unserer Form der Gesellschaft durch Aufzeigen von Problemen bei der Begründung?
>Unsere kapitalistisch – demokratische Gesellschaft< , das ist seit den Zeiten von Marx und Engels eine Kennzeichnung, die erst auf den englischen Manchester Kapitalismus zutraf, Marx zitiert gern die Berichte der Factory Inspectors ans Londoner Parlament, und dann auch auf kontinentaleuropäische Länder und überseeische Auswanderungsgebiete, insbesondere die USA - „erste Welt“ - den Ausdruck sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen! Seit 1917 entsteht der Keimling einer „zweiten Welt“ unter dem roten Banner einer Union sozialistischer Volksrepubliken. Der nachrevolutionäre Name des vormaligen Zarenreiches ist expansionistisches Programm: Union der sozialistischen Sowjet – Republiken. Nach dem verlust- & siegreichen Verteidigungs- und Gegenangriffskrieg der Roten Armee dehnt sich die zweite Welt aus von Wladiwostok bis Berlin, Hauptstadt der DDR. Ein Sonderfall entsteht in Südosteuropa: Titos Partisanen vertreiben die italienischen und deutschen Besatzer überwiegend aus eigener Kraft und Jugoslavien sowie Albanien entziehen sich dem direkten militärischem Einfluss des „Ostblocks“. 
"Wir waren kritische Marxisten" - so der Autor des Filmes ZORAN DJINDJIC - Ein Leben (2005) im Rückblick auf gemeinsame Studien in Beograd. Und  sie waren glühende Kritiker der autoritär "kommunistischen" Staatsführung unter Tito in den frühen 1970ern.
Sie hatten Mühe, den  (Weg zum) Marxschen "Verein freier Menschen"  in Titos Vereinten Nationen der Südslawen zu sehen.

Montag, Oktober 31, 2011

Ivan Glaser zum KAPITAL

Nachbemerkung nach der nochmaligen Lektüre von Rubel zwischen dem 23.10. und dem 31.10.2011

An mehreren Stellen auf den letzten Seiten der Introduction von Rubel zu seiner Ausgabe bzw. Übersetzung des „Kapital“ finden sich Hinweise darauf, dass sich Marx in der Tat auf der Suche nach zusätzlichem Illustrationsmaterial für die Bücher 2 und 3 befand. Ich dokumentiere das unten unter 2.

Vorweg stelle ich fest: die Position von Rubel im Hinblick auf Marxens Arbeit am „Kapital“ nach 1867 ist insgesamt fundierter als die von Borkenau. Dies obwohl Rubel nicht sieht, dass das Jahr 1871 eine ernstzunehmende Zäsur darstellt.

Diese Zäsur bezieht sich auf die Arbeit an Entwürfen für das 2. und das 3. Buch. Die Intensität der Arbeit lässt nach. Die Manuskripte bleiben liegen. Das Ms. VIII und die mathematische Arbeit zur Profitrate, beide von Marx in seinen letzten Lebensjahren verfasst, gehören thematisch zum 3. bzw. zum 2. Buch, aber es sind selbständige Schriften.

Es ist doch schade, dass das Ms. VIII nur in der MEGA publiziert ist und auf diese Weise nur einem kleineren Kreis der interessierten Leser jederzeit zugänglich ist. Denn bei diesem Manuskript handelt es sich um die letzte zusammenhängende Arbeit von Marx zur Thematik des „Kapital“. Die Ausgabe des 2. Buches durch Engels stellt eine eigentümliche Barriere für denjenigen dar, der gerne das Manuskript auf sich wirken lassen möchte. (Engels hat das Manuskript fast vollständig bei der Redaktion und Veröffentlichung des 2 Buches, insbesondere im 3. Abschnitt, ausgeschöpft. Er hat es aber in kleinere Partien zerlegt und diese, mit Auszügen aus anderen Manuskripten vermischt, in einer Anordnung, die von jener im Manuskript abweicht, abgedruckt.)

Aber Marx hat an seinem Werk festgehalten. Daran kann vernünftigerweise nicht gezweifelt werden. Auf der einen Seite hat er eine zweite deutsche Ausgabe des ersten Bandes vorbereitet (ershienen im Jahr 1873) und sich an seiner Übersetzung ins französische beteiligt (ershienen im Jahr 1875), beides nicht ohne inhaltlich zu intervenieren. Und auf der anderen Seite war sein Entwurf zum dritten Buch weit von einer druckreifen Fassung entfernt. Was Marx da hinterlassen hat, kann inzwischen direkt der MEGA entnommen werden. Aber bereits Engels hat im Vorwort zur Edition des dritten Bandes ausführlich den weit von der Vollendung entfernten Zustand des ihm vorliegenden Textes geschildert. Borkenau unterstellt, Marx habe nach 1871 ein fast fertiggestelltes Buch in seiner Schublade aufbewahrt und der Öffentlichkeit vorenthalten. Aus inhaltlichen Vorbehalten. Dass auch Vorbehalte eine Rolle spielten, wollen wir unten unter 3 ansprechen. Sie mögen Marx gelähmt haben. Aber eine Irreführung der potenziellen Leserschaft und der Anhängerschaft - wie es sich bei Borkenau anhört- lag nicht vor.


Im Einzelnen erfordern folgende Fragen Klärung:

1. Wieso wurde der erste Band (dazu noch, abweichend von manchen Ankündigungen von Marx, nur das Buch 1 enthaltend) selbständig veröffentlicht?
2. Wo gibt es Nachweise dafür, dass Marx sich um das Illustrationsmaterial für die Bücher 2 und 3 bemühte?
3. Waren sich Marx und der ihm bei der Verfassung des „Kapital“ als Ratgeber stets zur Seite stehende Engels dessen bewusst, dass man den Charakter und die Tragweite des Inhalts der Bücher 2 und 3 wird dem kritischen Leser nur schwer vermitteln können?

Zu 1. Noch am 31. Juli 1865 bei der Arbeit wohl am Entwurf zum 3. Buch des „Kapital“ teilt Marx Engels mit, er könne das Werk nicht in Partien veröffentlichen. Das Werk sei ein artistisches Ganzes und würde das nicht zulassen. Mag sein, dass Engels bereits damals eine sukzessive Publikation der einzelnen Partien anregte. Es lässt sich belegen, dass er das ein Jahr später tat. Und Marx griff nun seinen Vorschlag auf – voraussetzend, sein Verleger Meißner wird keine Schwierigkeiten machen. Dem war aber nicht so. Meißner verwahrte sich gegen diese Idee und erklärte sich nur bereit, mit dem Druck zu beginnen , wenn er das ganze Werk in Händen hat.

An dieser Stelle ist es nicht schlecht daran zu erinnern, dass Marxens Pläne sich auf die Veröffentlichung von aus voraussichtlich auf zwei Bände sich verteilenden drei oder vier Büchern bezogen. Zu den uns vertrauten drei Büchern hätte sich ein weiteres, viertes Buch hinzugesellen sollen, das nicht systematischer sondern literaturhistorischer Natur hätte sein sollen. Die Idee wurde auch von Engels weiterverfolgt und schließlich auch insofern realisiert, als Karl Kautsky Teile des in den Jahren 1861-63 entstandenen Entwurfes unter dem Titel „Theorien über den Mehrwert“ im Jahre 1910 veröffentlichte.

Zurück zum Verleger des „Kapital“ Otto Meißner. Mit ihm hatte Marx im März 1865 einen Vertrag abgeschlossen, wonach Marx bis Ende Mai des gleichen Jahres das ganze Werk liefern werde, welches in zwei Bänden erscheinen soll. Wenn Marx 1967 in seinen Verhandlungen mit Meißner verlangte, dass ein von ihm im Jahr 1866 an den Verleger übersandter Text gedruckt werde, so verstand Marx damals noch unter dem Band 1 ein Werk, das die Bücher 1 und 2 hätte enthalten sollen und dessen Anfang (genauer: vermutlich die Abschnitte, damals Kapitel, 1-5) der Text enthielt.

Meißner wehrte sich, er blieb hartnäckig. Er wollte nicht mit dem Druck beginnen, bevor er das ganze Werk von Marx erhalten habe. Erst als Marx ihn im Frühjahr 1867 in Hamburg besuchte und ihm ein Manuskript überreichte, von dem er behauptete, dass es das erste Buch abrundet, ließ sich Meißner weich machen und stimmte dem Vorschlag zu, wonach der erste Band selbständig erscheinen wird. Was den zeitlichen Abstand zur Lieferung der Fortsetzungsmanuskripte betrifft, machte Marx Meißner gegenüber ganz unrealistische Aussagen.

Dabei bekam Meißner von Marx nicht die Bücher 1 und 2, sondern nur das Buch 1. Und auch dieses Buch hatte nicht den geplanten Umfang. Ein Abschnitt (in der damaligen Einteilung als Kapitel bezeichnet) wurde Meißner vorenthalten. Daraus kann geschlossen werden, dass Marx unbedingt veröffentlichen wollte, den Umfang des Publizierten aber möglichst klein halten wollte: erst nur einen Teil des 1. Buches (anstatt der beiden Bücher 1 und 2). Dann vorgeblich das 1. Buch vollständig. Ein Abschnitt fehlte aber immer noch. Nur besaß Meißner keinen Einblick in feinere Gliederungsangelegenheiten, so dass er sich schließlich ohne es zu durchschauen mit einem unvollständigen Text des 1. Buches begnügte.

Gegenüber meinen unglücklichen Behauptungen, dass Marx den theoretischen Gehalt seines Werkes hinter den herangezogenen historischen Illustrationen zu verstecken versuchte, möchte ich hier auf die Äußerung von Marx (im Brief an J. Ph. Becker vom 17. April 1867, geschrieben also im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit seinem Besuch bei Meißner) hinweisen, wonach das 1. Buch theoretisch einen verheerenden Schlag auf den Kopf der Bourgeoisie darstelle. Wie kann das gemeint gewesen sein? Es lohnt sich, dieser Frage nachzugehen, auch wenn Marx mit seiner Äußerung sein Vorgehen rechtfertigen wollte, wonach der erste Band für sich erscheint. Das zeigt sich u.a. daran, dass Marx im gleichen Brief Becker gegenüber seine Hoffnung ausdrückt, bereits im nächsten Jahr werde das ganze Werk, also neben dem zweiten auch ein dritter, das 3. Buch enthaltender Band, publiziert sein.

Hier der Versuch einer Antwort: Für Marx stellen einen Kern seines Werkes die Gleichstellungen von Wert und Arbeit, von Mehrwert und Mehrarbeit dar. Die Bände 2 und 3 sollen die erforderliche theoretische Fortsetzung auf der damit begonnenen Linie liefern. Aus ihnen wird sich ergeben, dass der Gewinn in all seinen Ausformungen (neben dem industriellen Profit also auch der Zins und die Grundrente) sich aus der Differenz speist zwischen dem Produktwert und dem Wert der Arbeitskraft. Die grundlegende Aufhellung dieses Punktes macht in den Augen von Marx bereits aus der Publikation des 1. Buches ein erstrangiges Ereignis. Also hätte es dafür keiner Illustrationen bedurft, obwohl auch sie die Wucht des Schlages verstärkten. Das hatte Marx – wenn man auf einen größeren Zeitraum zurückblickt – richtig eingeschätzt.

Zu 2. Nachweise dafür, dass Marx sich um das Illustrationsmaterial für die Bücher 2 und 3 bemühte, findet der Leser der Introduction auf den Seiten CXVIII f. Im Frühjahr 1868 Marx beklagt Engels gegenüber, es fehlen ihm dokumentarische Quellen. In der Ökonomie differieren die maßgeblichen Fakten erheblich von theoretischen Postulaten. Daher müsse er die nötigen Materialien sammeln (Brief an Engels vom 16. Mai 1868). Im Einklang damit drängt Marx seine in der Ferne wohnenden Freunde, ihn mit Material zu den Voraussetzungen, unter denen die landwirtschaftliche Produktion in den USA stattfindet, zu versehen, das einen anti-bourgeoisen Charakter trägt, so in einem am 4. Juli 1868 verfassten Brief an A. S. Meyer, in dem er auf seine Arbeit am 2. Band verweist.

Zu 3. Dass sich Marx oder zumindest der ihm bei der Verfassung des „Kapital“ als Ratgeber stets zur Seite stehende Engels dessen bewusst waren, dass man den Charakter und die Tragweite des Inhalts der Bücher 2 und 3 wird dem kritischen Leser schwer vermitteln können, darüber informiert Rubel die Leser seiner Introduction auf der Seite CXXIII. Das von Rubel verwendete Material bezieht sich auf die Zeit nach Marxens Tod, in der Engels an der Edition der Bücher 2 und 3 arbeitete. In seinen Briefen an Kautsky und Lavrov aus dem Zeitraum zwischen September 1883 und Juni 1884 macht Engels die Voraussage, wonach das zweite Buch die Vulgärsozialisten arg enttäuschen wird. Denn es enthalte – und das sind Äußerungen, die Engels mehrfach wiederholen wird – fast ausschließlich sehr subtile und streng wissenschaftlich ausgerichtete Untersuchungen über Angelegenheiten, die sich innerhalb der Klasse der Kapitalisten abspielen. Also nichts, woraus man spektakuläre Formeln oder Deklamationen herleiten könnte (Brief an Kautsky vom 18. September 1883). Das zweite Buch sei rein wissenschaftlich und behandelt Fragen, die sich im Verhältnis des einen Bourgeois zum anderen stellen (Brief an Lavrov vom 5. Februar 1884). Engels fügt hinzu, das dritte Buch werde dagegen Passagen enthalten, von denen er sich fragt, ob es unter den Bedingungen des Sozialistengesetzes in Deutschland werden überhaupt publiziert werden können. Hier, so meint Rubel, kommt womöglich zum Ausdruck, dass Engels selbst vom Inhalt des Nachlasses enttäuscht war. Und dass er versucht, sich selbst zu trösten.

Sonntag, August 14, 2011

Konstanzer Kreise MARX IS MUSS 1971-2011

... im Blick zurück

Der bielefeld/ZG kollege IG blickt im juli 2011 zurück und hat MiR angesteckt …

IG in einem mail an seinen bielefelder diskussionskreis, aus dem ihm ein bericht, ausgelöst von der veranstaltung MARX IS MUSS juni 2011 berlin, geschickt wurde (auszug):
„ … Bei mir hat der Text zahlreiche Erinnerungen geweckt, z. T. persönlicher Natur. Auf seiner Grundlage sehe ich mich in der Lage, vielleicht etwas dazu sagen, wohin ich selbst gehöre, allgemein und speziell im Hinblick auf verschiedene Richtungen der wissenschaftlichen Befassung mit Marx in Deutschland der 70er Jahre des 20. Jhts. ...
...Auch in Erlangen hörte ich nicht damit auf, an der Universität dies und jenes zu treiben. Aber ich gewann dort Zugang zu einem festen Kreis von Personen und verstand einiges von dem, was sie bewegt. Es würde mich verlegen machen, wenn ich jetzt das Wissen ausbreiten müsste, das ich mir in Erlangen dabei aneignete (glücklicherweise erwartest Du das ganz sicher nicht von mir), dafür glaube ich in meinem Denken davon geprägt zu sein, eine Zeitlang einem bestimmten Kreis von philosophisch Denkenden Menschen angehört zu haben. Ich kann das insofern verallgemeinern, als ich für mein Leben sagen kann: für den geistigen Gewinn war stets der lebendige Zusammenhalt einer Gruppe oder eine Freundschaft oder am besten beides gleichzeitig unersetzlich. Das gilt insbesondere auch für meine Konstanzer Zeit.

1971 trat ich eine Stelle am Philosophischen Seminar der Universität Konstanz an. Es war eine Assistenz bei Jürgen Mittelstraß, der kurz zuvor als „Erlanger“ nach Konstanz berufen worden war. Zwei „Erlanger“ fand ich in Konstanz vor, nach und nach kamen auch noch andere hinzu, so dass wir schließlich insgesamt fünf waren, die am Philosophischen Seminar der Universität Konstanz ihre akademische Laufbahn begannen oder fortsetzten. Allerdings ging schon sehr bald ein Riss durch diese Gruppe, mit dem sich ein Prozess fortsetzte, der als Auswirkung der Studentenbewegung bereits in Erlangen begonnen hatte und sich in Konstanz freilich nicht auf die aus Erlangen Gekommenen beschränkte.

Der Hintergrund war: einige von uns, darunter zunehmend auch ich, gerieten unter den Einfluss der Studentenbewegung in der Weise, dass zum einen die marxistische Theorie, so wie sie im „Kapital“ sich darbot, Gegenstand unserer wissenschaftlichen Arbeit wurde und zum anderen wir Marxisten auch im Sinne unserer politischen Orientierung wurden, was heißen soll, dass wir unser Tun als einen direkten Beitrag zur Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse verstanden. In diesem breiteren Kontext wurden wir zu einem Teil jener wissenschaftlichen Strömung, die in dem Deiner Zusammenstellung zugrunde liegenden Text von Ingo Elbe als die „Neue Marx-Lektüre“ bezeichnet wird.1

Wenn man das an Personen und persönlichen Kontakten festmachen will, so kann ich die Namen beider Gründer nennen: Helmut Reichelt und Hans-Georg Backhaus. Reichelt (um zunächst auf ihn einzugehen, auf Backhaus gehe ich später ein) war unmittelbar vor seiner Berufung nach Bremen noch eine zeitlang in Konstanz. In dieser Zeit war einer der „Erlanger“, Volkbert M. Roth mit ihm in Berührung gekommen und wurde dann ... mehrere Jahrzehnte lang die zentrale Figur eines Konstanzer Kreises, in dem „Das Kapital“ im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Arbeit stand.


Als ich selbst nach Konstanz kam, war Reichelt bereits nach Bremen gegangen. Mit Roth war ich befreundet und das bin ich auch heute noch. Ich weiß nicht, wie ich meine anfängliche Konstanzer Zeit überstanden hätte, wenn ich mich persönlich nicht auf ihn gestützt hätte. Ich weiß ebenfalls nicht, wie ich – wenn ich mir damals auch einbildete, eine gewisse Kenntnis der Lehre von Marx zu besitzen – den Zugang zu einer ernsthaften Beschäftigung mit dem „Kapital“ gewonnen hätte, wenn ich mich bei meinen ersten (und auch zweiten und dritten) Schritten damals auch in dieser Hinsicht nicht auf ihn gestützt hätte.

Roth organisierte Forschungsprojekte und ob formell oder auch informell bildete sich um ihn herum immer wieder ein Kreis von Studenten und wissenschaftlichen Mitarbeitern der Universität, den ich hier als den „Konstanzer Kreis“ bezeichne. Einige Arbeiten aus einem ersten Projekt, an dem ich kaum teilnahm, wurden bereits Anfang der siebziger Jahre bei Suhrkamp publiziert (Autoren: Roth, Dirk von Holt, Ursula Pasero – vielleicht die wichtigste publizistische Spur des Kreises)2. Meine Mitwirkung in dem Kreis erreichte ihre größte Intensität wohl zwischen 1975 und 1978. Referate, die ich zu einzelnen Themen aus dem „Kapital“ oder zum „Kapital“ vor dem Kreis hielt, wurden zur Grundlage meiner Habilschrift „Warum Das Kapital ein Torso blieb“, mit der ich allerdings den in dem Kreis vorhandenen partiellen Konsens bereits verließ. Bald danach nahm ich an der Arbeit des Kreises nicht mehr teil.

Bevor ich versuche, zu meinem Thema auch inhaltliche Angaben zu machen, muss noch die Beziehung des Kreises zu Hans-Georg Backhaus kurz dargestellt werden: Den persönlichen Kontakt zwischen Roth und Backhaus hatte wohl Reichelt vermittelt, in der Folge davon stand auch ich mit Backhaus in Kontakt, den ich mehrfach in Frankfurt besuchte. Weil ich damals sehr schön wohnte – in der Schweiz auf dem Lande, dazu in einem „kleinen Patrizierhaus“, wie gerade Backhaus richtig bemerkte – war Backhaus bei einem kurzen Gastaufenthalt an der Konstanzer Universität bei mir untergebracht.

Auf Veranlassung von Roth erhielt nämlich Backhaus in den siebziger Jahren (ich tippe auf das WS 1974/75) einen Lehrauftrag in Konstanz, dessen Wahrnehmung sich allerdings auf eine einzige Kompaktsitzung beschränkte. ...

II. Der Ansatz „Neue Marx-Lektüre“

Diese Schilderungen insgesamt indizieren einen inhaltlichen Zusammenhang. Die Arbeit von Roth und die des Kreises um ihn herum und schließlich auch meine eigene Arbeit entfalteten sich auf der Grundlage des Ansatzes „Neue Marx-Lektüre“, auch wenn sie uns und insbesondere mich zu Positionen geführt hat, von denen sich die sonstigen Vertreter der Richtung sicherlich energisch abgegrenzt hätten.

Um den Ansatz zu charakterisieren stütze ich mich auf den Text von Elbe und frage mich anschließend, ob ich ihn aufgrund von meinen eigenen Erfahrungen ergänzen kann. Was charakterisiert nach Elbe den Ansatz?

Die „Neue Marx-Lektüre“ war eine philosophische Lektüre von Marx. Dennoch stellte sie das Werk des reifen Marx, insbesondere „Das Kapital“ in den Mittelpunkt und räumte damit mit der Tradition der philosophischen Marx-Lektüre auf, die, in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen begründet, ihre Aufmerksamkeit vor allem dem jungen Marx geschenkt hatte.

Obgleich das zumindest vordergründig sich als ökonomietheoretisch darstellende Opus von Marx ihr Gegenstand ist, konzentrierte die „Neue Marx-Lektüre“ ihr Interesse nicht darauf, Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Ökonomie empirisch auszumachen. Sie orientierte sich auch nicht an den geschichtstheoretischen Erwartungen auf ein Ende der Epoche, das aus ihr heraus sich von selbst einstellen wird.

Positiv gewendet: die „Neue Marx-Lektüre“ stellte die Analyse der Formen, in denen sich, immanent gesprochen, die kapitalistische Vergesellschaftung vollzieht, in den Mittelpunkt. Sie bewahrte sich dabei die kritische Haltung gegenüber der Epoche und wollte zur Bewältigung der Aufgabe beitragen, den Zustand der „destruktiven gesellschaftlichen Naturwüchsigkeit“ (Elbe) zu beenden.

...

Ich erinnere mich, dass Backhaus sich während eines meiner Aufenthalte in Frankfurt intensiv mit Geldtheorien befasste. Er las nicht nur Marx, er las verschiedene Autoren aus der Zeit, in der vom Grundsatz her auch die Positionen von Marx Gegenstand der Diskussion unter Wirtschaftswissenschaftlern waren. Im Gespräch mit mir referierte er, nahm Stellung, formulierte seine Zielvorstellungen. Aber für mich war schon damals sein Ansatz mit methodischen Grundmängeln behaftet. Auf der anderen Seite fehlte bei mir die Bereitschaft, mich mit ihm auf eine offene Diskussion einzulassen.

III. Wie ich mich von der „Neuen Marx-Lektüre“ absetzte

Ich versuche jetzt in mich hineinzuhören und mir die spezifischen Akzente unserer Arbeit von damals in Stichworten in Erinnerung zu rufen. Ja, in der Tat: Formanalyse, Wertform, Analyse der Wertform. Formen ableiten. D.h. sie in einen größeren Zusammenhang stellen bzw. aus ihm plausibel „herleiten“. Dabei die Totalität des gesellschaftlichen Zusammenhangs, die Entfaltung des gesellschaftlichen Gesamtsubjektes erfassen.

Auf der einen Seite haben derartige Aufgaben breit angelegte und sorgfältige Studien der einzelnen Partien des „Kapitals“ erfordert. Diese betrieben wir tatsächlich. Auf der anderen Seite war unter den Bedingungen der „Neuen Marx-Lektüre“ auch ein gewisser freier Umgang mit Elementen der Theorie möglich, ja sogar nötig. Wie stellt man, stets mit der besten Absicht die im Werk enthaltene Theorie zu begreifen, größere Zusammenhänge her, wie setzt man die Elemente zu größeren Einheiten zusammen? Was schließt sich aneinander an, was passt am besten wohin?
TREFFLICH !
Wenn ich jetzt aber sagen soll, wie der Zusammenhang begriffen wurde, was als Ausgangspunkt und was als Zielpunkt angesehen wurde, so fällt es mir schwer, irgendetwas Bestimmtes zu sagen. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemand aus Konstanz bzw. aus der Schule der „Neuen Marx-Lektüre“, methodischen Reflexionen von Marx und zugleich der Hegelschen Phänomenologie im Grundsatz folgend, Wendepunkte in die Theorie hineinkonstruiert hätte. So dass man den Ort bestimmt hätte: bis hier hat die Theorie einen vorläufigen Charakter. Sie sucht immer noch ihren endgültigen Anfangspunkt. Hier hat sie ihn gefunden. Von hier an wird das System der sicheren Erkenntnis aufgebaut.

Die Rezeption der Theorie durch die „Neue Marx-Lektüre“ rekonstruierte den Gedankengang des „Kapital“ vielmehr wie eine Einbahnstraße und nahm besonders ernst die am Anfang des ersten Buches stehenden Ausführungen. Die dort stehende Herleitung der Begriffe der Ware, des Wertes und des Mehrwerts war ein zentraler Punkt dieser Rezeption. Dass ich diese Begriffe als vorläufige Festlegungen auffasse, die als Zugriff auf den Punkt dienen, von dem aus die definitive Sicht der Dinge möglich wird, ist (soweit ich sehe) ein Moment, das meine Position von den innerhalb der „Neuen Marx-Lektüre“ eingenommenen Positionen unterscheidet.

Dazu sah ich mich gezwungen durch Joachim Nanninga. Auch er ein „Erlanger“, ein sehr scharfsinniger junger Mann, der die am Anfang des ersten Buches stehenden Ausführungen mit Mitteln der Erlanger Schule (Logik, Sprachphilosophie) zerpflückte. Das war der Inhalt seiner Dissertation und, in zusammengefasster Form, eines Vortrags in Konstanz3. Bei dieser Gelegenheit traf ich mich mit Nanninga zu einer Diskussion, die die meine folgende Überlegung zum Ergebnis hatte: Die am Anfang des ersten Buches stehenden Ausführungen können nicht als eine taugliche, strenge Herleitung von Begriffen angesehen werden. Sie können aber in einer anderen Weise aufgefasst werden und behalten dann ihren Sinn.

Also - um auf die oben gestellte Frage nochmals anzuknüpfen - was wird woraus hergeleitet? Formen aus Formen? Ich war damals schon so weit zu meinen, dass auf jeden Fall die Reihenfolge umzukehren ist. Bei der Gewinnung der gesicherten Erkenntnis wird nicht Kapital aus Ware und Wert, sondern Ware und Wert aus Kapital hergeleitet. Hergeleitet, indem die Funktionalität von Ware und Wert für die Funktionsweise des Kapitals aufgezeigt wird. Kapital als objektiver Geist. Und als Form zugleich. Aber wo es Form gibt, da muss es nach der urklassischen philosophischen Lehre auch eine Substanz geben. Wo bleibt sie, woraus besteht sie?

Die Antwort, die ich fand, formulierte ich wohl erst in Bielefeld im Jahre 1990. Den Anlass bot das Angebot meines Freundes Jürgen Buchmann, einen Vortrag in einer Veranstaltung zu halten, die er im WS 1990/91 am Oberstufenkolleg hielt. Meine Antwort wird dokumentiert in dem Vortragstext, der Euch zur Verfügung steht. Mit ihm schloss ich meine Beschäftigung mit Marx in substanzieller Hinsicht ab. Meine Antwort ist auf jeden Fall dem Verständnis seiner im „Kapital“ dargelegten Theorie als einer philosophischen Theorie angemessen. Denn sie betrifft seine grundlegende Position darüber, was den Menschen (Menschen als Gattungswesen) ausmacht: seine Fähigkeit in einem unbegrenzten Prozess seine produktiven Fähigkeiten zu entfalten. Die Formen, in denen sich der kapitalistische Produktions- und Zirkulationsprozess vollzieht, werden aus ihrer Funktionalität für diesen Prozess begriffen.

Natürlich ist das eine Lösung, die nur zu einem sehr teuren Preis erkauft werden kann. Zum Preis, dass man sich eingesteht, dass man zum Kernpunkt der Theorie von Marx etwas erklärt, was Marx gerade zum Gegenstand seiner Kritik an der klassischen politischen Ökonomie gemacht hat, die Überzeugung nämlich, wonach der Kapitalismus in einer vollendeten Weise die menschliche Produktivität fördert. Dass man also beansprucht, Marx dessen überführt zu haben, er habe selbst mit seiner Arbeit statt einer Kritik ungewollt eine weitere Bekräftigung der klassischen politischen Ökonomie geliefert. Er sei also mit seinem Vorhaben gescheitert, und dies nicht nur, indem er es nicht vollenden kann, sondern indem er darüber hinaus seinen Lesern genau das Gegenteil von dem zeigt, was er hat zeigen wollen. All das selbstverständlich hinter der Oberfläche des Werkes, in dem das Scheitern nicht eingestanden, sondern der Schein aufrechterhalten wird, das Werk halte das Versprechen, die Kritik vollende sich mit jedem Schritt, mit dem sie äußerlich voranschreite.

Bekanntlich wurde das Werk nicht vollendet oder zumindest: es wurde von Marx nicht vollständig publiziert. Dass der Verfasser möglicherweise sogar mit seiner Produktion gescheitert sei, dafür gibt es höchstens einmal so etwas wie ein Eingeständnis. Jemandem, der danach fragte, wann er die von ihm nicht herausgegebenen Partien von „Das Kapital“ publizieren werde, gab Marx in seinen späten Jahren zur Antwort, dafür müssten sie erst geschrieben werden.4

In welchem Maße das nicht publizierte Werk von Marx „geschrieben“ war, darüber kann man unterschiedlicher Auffassung sein. Ja, man kann es sogar unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachten und dann voneinander abweichende Antworten geben, die aber dennoch weitgehend zutreffend sind, wie das z. B. auf der einen Seite Maximilian Rubel und auf der anderen Franz Borkenau taten, beide noch bevor Marxsche Manuskripte veröffentlicht waren. Das ist nämlich erst in den letzten Jahren geschehen. Erst mit einigen nach 1990 veröffentlichten Bänden der MEGA 2 stehen uns in publizierter Form alle Handschriften von Marx zur Verfügung, die Engels bei seiner editorischer Arbeit an den Bänden 2 und 3 des Werkes nutzte5.

IV. Wie kam ich mit Manuskripten von Marx in Berührung

Mit der Erwähnung der beiden Männer kann ich z.T. wieder auf die biographische Ebene zurückkehren. Mit Rubel stand ich in den 80-er Jahren eine Zeitlang in Kontakt und besuchte ihn 1985 oder 1986 in Paris. Wer war Maximilian Rubel? Der Mann, der im Rahmen der Bibliotheque de la Pleiade (einer französischer Reihe mit Ausgabe der klassischen Werke vor allem der französischen Literatur, alle Bände in Leder gebunden) eine Übersetzung des „Kapitals“ ins Französische herausgegeben und mit einer sehr ausführlichen und wertvollen Einleitung versehen hat. Der Herausgeber einer Zeitschrift (Cahiers de ?), eines Forums für ernsthafte wissenschaftliche Auseinandersetzungen über Marx und Marxismus. Ein bedeutender Marx-Forscher selbst, der weitgehend seine Arbeit auf das eigene Studium der Manuskripte stützte. Die Pleiade-Übersetzung besorgte er z.T. selbst und zog dabei direkt das große Manuskript von Marx zum 3. Buch heran.

Marx-Manuskripte werden zum grössten Teil im Archiv des IISG in Amsterdam aufbewahrt. Zunächst befanden sie sich im Archiv der SPD und gerieten während der Zeit der NS-Herrschaft und des 2. Weltkriegs auf eine abenteuerliche Reise durch verschiedene Länder. Dem von Rjazanow in Moskau geleiteten Institut wurde in den zwanziger Jahren erlaubt, auf photomechanische Weise eine Parallelsammlung anzulegen, in der dann auch einige Originale landeten. Auf unlautere Weise wohl.

Zu solchen, in Moskau aufbewahrten Manuskripten gehört ein wichtiger Entwurf zum 2. Buch, das Manuskript II, das in russischer Übersetzung publiziert wurde noch lange bevor man innerhalb der MEGA die ersten zum „Kapital“ gehörenden Manuskripte zu veröffentlichen begann. So war im 20. Jh. ein erster Einblick in die Manuskripte von Marx zum 2. und 3. Buch und ein erster Vergleich damit, wie Engels sie bearbeitete, durch zwei Veröffentlichungen möglich, die beide nicht in deutscher Sprache erfolgten: durch die soeben erwähnte Moskauer Publikation und durch die Rubelsche Übersetzung des 3. Buches.

Ich reiste Ende der 70-er und Anfang der 80-er Jahre öfter nach Amsterdam, zunächst um mir im IISG einen eigenen Überblick über die Manuskripte von Marx zum 2. und 3. Buch zu verschaffen. Dabei ist für den Normalbenutzer des Archivs gleichgültig, ob das Archiv ein Manuskript im Original besitzt oder nur als Kopie des in Moskau aufbewahrten Originals. Denn in jedem Fall werden ihm im Lesesaal des Instituts nur Kopien der Manuskripte zur Verfügung gestellt. Das ist zwar verständlich, erschwert aber die Arbeit insofern, als die Handschrift von Marx ohnehin nur schwer zu entziffern ist. Im Nachhinein meine ich, es habe sich dennoch für mich gelohnt, selbst mit diesem Material in Berührung gekommen zu sein.

Später machte ich mich an den Versuch, einen Text für die Publikation vorzubereiten. Es handelte sich dabei um das Manuskript VIII für das 2. Buch, ein später Entwurf für einen Teil des 2. Buches, der den Charakter einer eigenständigen Schrift hat. Engels hat es für seine Publikation des 2. (?) Abschnitts des 2. Buches fast vollständig verwertet, ist dabei aber sehr frei vorgegangen, d.h. er hat die Reihenfolge seiner Teile verändert und mit Teilen des Manuskriptes II kombiniert. In seinem Vorwort hat Engels sehr genau angegeben wie er vorgegangen ist, so dass schon auf der Grundlage seiner Edition und seiner Angaben eine Rekonstruktion des Originals in seinen Hauptzügen möglich ist.

Aber für die genaue Paginierung ist die Heranziehung des Manuskriptes erforderlich und dann kommt man in Verlegenheit: wie sonst auch und wie von ihm selbst beschrieben, hat Engels am Text, an der Sprache der Manuskripte stets sprachlich, stilistisch geändert. Daher ist es in vielen Fällen nicht mehr möglich in der Ausgabe von Engels die genaue Stelle, das Wort zu finden, mit dem die eine Seite des Manuskriptes endet und die andere beginnt. An solchen Stellen entschied ich mich, ganze Passagen aus dem Originalmanuskript zu übernehmen. Dabei musste ich auf die Grenze achten, unter der bei der Übernahme des Originals eine Veröffentlichung ohne besonders eingeforderte Zustimmung der Archivleitung möglich ist.

Als die weitere Zukunft des Unterfangens MEGA 2 Ende der 80-er Jahre ungewiss wurde, eröffnete sich für meine Arbeit am Manuskript VIII die Perspektive, im Falle einer Veröffentlichung als mittelfristiger Ersatz für die unmittelbare Publikation des Manuskriptes sinnvoll zu sein. Inzwischen ist das Schicksal des Gesamtunterfangens MEGA 2 geklärt und das Manuskript VIII in seinem Rahmen publiziert.

Übrigens, zum 100. Todesjahr von Marx veröffentlichte Rubel eine Überlegung zu einer neuen kritisch-wissenschaftlichen Ausgabe der Werke von Marx. Seine Argumentation weist Mängel der beiden MEGA-Ausgaben nach, von denen der erste in der Tat darin besteht, dass sie eine Ausgabe der Werke zweier Autoren ist – ein merkwürdiger Tatbestand, der anzeigt, dass hier die editorische Arbeit sich politischen Kriterien unterwirft und Legenden perpetuiert (Marx und Engels als Väter des wissenschaftlichen Sozialismus).

Auf die Frage, wie weit Marx „Das Kapital“ vollendete, können unterschiedliche Antworten gegeben werden, wie bereits gesagt. Ich hielt mich lange an die Darstellung von Rubel, wonach Marx eine ganze Menge von Manuskripten und Manuskriptfragmenten hinterließ, die von einem verzweifelten Bemühen, sein Werk voranzubringen, zeugen. Engels scheute sich, daraus ein Werk zu machen. Seine Interventionen in den Text betrafen nur die Oberfläche. Aber mit seiner Edition errichtete er schließlich eine Fassade, die den Anschein eines vom Autor vollendeten Werkes erzeugt. So weit Rubel.

Ganz anders ein Forscher, der sich wohl nicht eingehend mit Manuskripten selbst beschäftigt hatte: Franz Borkenau. Im Vorwort zu einer kleinen Ausgabe der Werke von Marx, als Fischer Taschenbuch in den sechziger (oder bereits fünfziger) Jahren des 20. Jahrhunderts erschienen, legte er Wert auf die Feststellung, dass Marx seine Arbeit am Kapital um das Jahr 1871 herum abbrach. Was Marx hinterließ, waren nicht nur Fragmente, sondern auch Entwürfe für ganze Bücher, die er aber für sich behielt, in den Schubladen seines Schreibtisches „schmoren“ ließ. Borkenau kann seine Darstellung vor allem auf die Tatsache stützen, dass Marx im Jahre 1865 einen zusammenhängenden Entwurf des 3. Buches niederschrieb. Genau dieser Entwurf wurde zur Grundlage der Ausgabe von Engels, dem es aber sehr viel Kopfzerbrechen bereitete und dessen Edition sich um 10 Jahre verzögerte. Warum wurde es von Marx selbst nach dem Erscheinen des 1. Buches im Jahr 1867 nicht überarbeitet und nicht publiziert?

Hier ist ratsam, in die Betrachtung Ereignisse einzubeziehen, die der Publikation des 1. Buches im Jahr 1867 unmittelbar vorausgingen. Von seinem Hamburger Verleger Meißner erwartete Marx, dass er das 1. Buch für sich veröffentlichen wird. Meißner wollte dagegen das ganze Manuskript haben, bevor er zu drucken beginnt. Marx setzte sich durch, versprach allerdings die schnelle Nachlieferung weiterer Manuskriptteile, ein Versprechen, dessen unrealistischen Charakter er selbst sehr gut kannte. Dieser Zusammenhang wurde von Rubel erforscht und zutreffend dargestellt.

Das erste Buch enthält historisches, illustrierendes Material im großen Umfang. Theoretische Partien, denen es zugeordnet ist, betreffen die Länge des Arbeitstages, die Mechanisierung der Produktion und die Vertreibung der Landbevölkerung am Anfang der Industrialisierung. Dieses historische Material entnahm Marx weitgehend amtlichen Berichten, den parlamentarischen Industrial Reports, speziellen parlamentarischen Berichten zur Kinderarbeit etc. Es waren all das Ergebnisse der Arbeit von parlamentarischen Kommissionen, die eingesetzt wurden, um Missstände zu bekämpfen. Auch wenn man die entsprechenden Partien des Werks von Marx nicht kennt, es ist leicht sich vorzustellen, dass es sich um ein düsteres, oft empörendes Bild handelt, die die Reports zeichnen.

Weil es so ist, kann auch die Theorie für sich den kritischen und revolutionären Charakter beanspruchen. Aber nur zum Schein. Das erweist sich schon darin, dass sich kaum historisches Material anbot, mit dem Marx seine Theorie der folgenden Bücher bzw. seine Theorie im Ganzen hätte mit dem gleichen Effekt illustrieren können: der Theorie den Anschein zu verleihen, kritisch und revolutionär zu sein. Wie aber in verbleibenden Partien aus einer ausgesprochen affirmativen Theorie eine kritische zu machen, das war die unlösbare Aufgabe vor der Marx nach der Publizierung des 1. Buches stand. Diese Frage rief bei ihm eine Verlegenheit hervor, die ihn zum Verstummen brachte.

Wie Borkenau richtig beobachtete, gab Marx sein Vorhaben Anfang der siebziger Jahre auf und bearbeitete seine Manuskripte nicht mehr - übrigens unabhängig davon, wie abgerundet oder fragmentarisch sie auch geraten waren. Dass das Ergebnis seiner Arbeit an der Kritik der politischen Ökonomie für Marx enttäuschend ausfiel, bedeutete freilich nicht, dass sich seine Haltung gegenüber dem Gegenstand selbst verändert hätte. Die Krisen des Kapitalismus, wie im Text von Haug im Kasten am Anfang Deiner Zusammenstellung in Anschluss an Marx gesagt wird, pauken „zumindest den Wacheren jeder Generation“ Dialektik ein.

Eine Aporie durchzieht das Denken von Marx. Auf der einen Seite hängt er dem Ideal einer menschlicheren Gesellschaft an, in der es kein Elend und keine Erschütterungen durch Krisen gibt. Auf der anderen Seite schreibt er dem Menschen die Bestimmung zu, seine Produktivkraft immer weiter zu entfalten. Und insgeheim muss er eine Gesellschaftsordnung feiern, in der Menschen unabhängig von den Intentionen, die sie in ihrem Handeln leiten, in unabdingbarer Weise ihre Bestimmung erfüllen. Von dieser Seite her setzt er eine Tradition des neuzeitlichen Denkens fort: Hegels objektiver Geist oder Hobbes Leviathan leben in seinem Denken fort. Das Ergebnis seiner Kritik ist also nicht ein bloßes Malheur seiner gedanklichen Bemühungen, in ihm kommt zum Vorschein ein ureigenes Element seines Denkens, … -es ist mit anderen Elementen unvereinbar.

Schließlich möchte ich noch sagen, dass Deine Zusammenstellung wertvolle Gedanken über die Frankfurter Schule enthält. Sie verfuhr eklektisch. Zur Lehre von Marx traten Elemente empirischer Sozialwissenschaft und der Psychoanalyse hinzu und es entstand eine heute für uns nur schwer verdaubare Mixtur. Aber sie hatte einen großen Vorzug: sie versuchte sich am Erfahrbaren zu orientieren und verwarf Fiktionen, vor allem die Fiktion des revolutionären Bewusstseins der Arbeiterklasse. Das erwähne ich, weil wir in unserer Sitzung bei der Einschätzung der Frankfurter Schule ins Grübeln kamen und keiner von uns etwas Erhellendes sagen konnte. ...“ Soweit IG 2011

nun zurück in die sixties & MiR

latein & griechisch, dialogische logik, 1968
… es wurmte mich schon früh, jenes mir (MiR) undurchschaubare „argumentieren“ (einiger lehrer) mit etymologien und antikisierender „bildungssprache“ - und so erwarb ich, um durchzublicken, in einer kleinen hochschule am rande eines großen waldes nördlich ffm mir grundkenntnisse in der muttersprache der ersten philosophen, so gerüstet kam ich an die Uni Erlangen zu kamlah/lorenzen mit ihren assistenten mittelstraß und lorenz. Kuno lorenz wurde mein mentor. er hatte die ddr verlassen müssen, um studieren zu können (wie backhaus). IG war schon vor ort und bald auch der philosophierende mitschüler WOP. in erinnerung ist mir ein seminar LOGIK & GRAMMATIK 1965, das mich zu meiner diss EINIGE LOGISCHE STRUKTUREN DEUTSCHER GEGENWARTSSPRACHE anregen sollte. (es blieb dies ein volkssprachbezogener seitenast der „erlanger schule“; ) mein gedanke dabei war, ob nicht die zugehörigkeit zur deutschen sprachgemeinschaft schon kenntnis (know how) logisch begründbaren vorgehens einschließt, was BEIM BERATEN in der öffentlichkeit wirksam werden kann. man sagte mir manchmal bescheid, wenn eine diskussionsleitung bei einer der studentischen versammlungen gebraucht wurde und da konnte ich, wenn die versammelten mich wählten, die gerade bei lorenzen gelernten unterscheidungen einsetzen: was nicht mit überzeugenden gründen verlangt oder verboten werden kann, ist freizustellen. dies motto verband sich gut mit dem bewegten und bewegenden zeitgeist von ´68 ! und dann gab es da noch veranstaltungen der „kritischen universität“ (altvater, 2 x neusüss, huisken, krause, sieveking, schnepel, ... die wop und mir anlass gaben zur mutigen frage: „und warum braucht der kapitalismus alle 7 jahre einen mörderischen raubkrieg?“ → Kapitalvernichtung /Überakkumulation<- ! „und warum geht das nur mit kriegsmaschinen, nicht auch mit kitzelmaschinen?“ (nach einem moment verblüffter stille, einige gluckser -) → Euch fehlt das Klassenbewusstsein: es geht auch um Macht!

Lässt sich MARX verstehen oder ist das alles murks?

später dann lasen wir in konstanz u.a. erlanger texte zur OBERFLÄCHE mit interesse und verglichen sie mit unseren ergebnissen... hinter der trinitarischen formel schien uns bei näherem zusehen eine >Troika mit Lenkendem< zu flitzen, …

1969: an der neu gegründeten kleinen feinen uni am bodensee gab es einen ableger der „ERLANGER SCHULE“ . friedrich kambartel (später ffm) war als junger mann von der uni münster dorthin auf den ersten philosophielehrstuhl berufen worden. dies machte die runde auf dem heidelberger philosophiekongress 1966 DAS PROBLEM DER SPRACHE; ich war 21 und wohl durch eine unerschrockene wortmeldung aufgefallen...1967 war ich in oxford und 1969 wurde ich in erlangen promoviert und trat ein in den konstanzer mittelbau. Als mitglied im personalausschuss setzte ich mich 1971 erfolgreich für die vergabe einer ass.-stelle an IG ein. seine stelle war mittelstraß zugeordnet, meine kambartel.
wir verfolgten aber eigenständig unsere pläne in forschung und lehre im kontakt mit „den jüngeren leuten“. damals wurde im konstanzer großen senat der uni die drittelparität eingeführt und ich war ein mittelbau senatsmitglied. vielleicht lernte ich so rudolf hickel kennen. An unserer reformuni gab es keine veranstaltungen zur KRITIK DER POLITISCHEN ÖKONOMIE : hickel regte an, die lücke zu schließen, kam aber selber nicht dazu – und so beantragten wir ein forschungsprojekt der universität und ich organisierte mit verschiedenen partnern, so auch IG, interdisziplinär gut besuchte lehrveranstaltungen, „lernklubs“ zum KAPITAL. Hickel wurde an die uni bremen berufen (wie später auch reichelt) und manche „unserer“ leute gingen auch dorthin. Ich blieb. Nico und Ulla pasero hatten kontakt zur familie reichelt, helmut studierte in ffm , wohin er jede woche für ein paar tage mit einem schnellen auto fuhr, weib und kind lebten in konstanz. „wertform“ wurde als stichwort von ulla in unsere anfangsdebatten eingeworfen und ich hörte ihr aufmerksam zu, so war es dann auch in den seltenen begegnungen mit helmut, dessen diotima schien ein h.g. backhaus zu sein, selber voller frankfurter schnurren steckend (adorno / krahl / …). und offenbar angefressen von der mikrolektüre verschiedener fassungen der marxschen gedanken zur wertform (der ware). backhaus war (damals) bedeutend älter als ich, aber typ „ewiger student“ mit einer bude im zweiten hinterhaus - wir mochten einander, als ich hingefahren war. und in meinen semesterferien fuhren wir zum philosophie – kollegen emilo agazzi nach pavia (mit emilio gab es jahre später eine zusammenarbeit während seiner wiederholten sommerreisen zum bodensee; er stöberte in den konstanzer buchhandlungen und übertrug auch ergebnisse des zweiten MARX-forschungsprojekts).
KERNSTRUKTUR UNSERER KAPITALISTISCHEN GESELLSCHAFT , Ffm 1972 ist ein schmales bändchen geschrieben an der adria, in dem ich festhalten und weitergeben wollte, was wir uns zu kapital bd. I (MEW 23) erarbeitet hatten. Ein beispiel dafür , was nun NEUE MARX – LEKTÜRE genannt wird.
Für mich war es ein zwischenschritt hin zur ausweitung der wertformanalyse auf den umfang der 3 systematischen bände DAS KAPITAL. 1974 bot sich die gelegenheit in der edition suhrkamp ein zwischenergebnis vorzulegen unter dem titel ZUR WERTFORMANALYSE (es 633); im von mir verfassten schlussteil versuchte ich eine erste fassung des inneren argumentativen bands der systematischen gesamtanalyse zu skizzieren. damit sollte eine durchgängig philosophische auffassung des hauptwerks von marx für mich gestalt annehmen – und dies sollte „das ganze“ in den blick nehmen / statt wie bei (vielleicht gründlicheren) anderen wertform-forschern über die anfangskapitel nicht hinauszukommen. dies mochte unbescheiden sein. unbestreitbar nötig ist es. und inzwischen standard. ich denke, dass hier auch eine gemeinsamkeit mit den arbeiten von IG zu den manuskripten (bd. I bis III) vorliegt.

Eben diese versprechung, das ganze des KAPITAL zum thema (formanalytischer) betrachtung zu machen, brachte 1976 die einladung an die sydney university. Hier beginnt eine freundschaft und intensive zusammenarbeit mit michael eldred und dann, nach der rückkehr im herbst 1976 der zweite KONSTANZER KREIS. ein weiterer sydney student betreut den druck von GUIDE to READING CAPITAL, London 1978: wir legten karl eins aufs grab. Damit fand das projekt LERNCLUB zunächst einmal seinen abschluss. inzwischen bieten elektronische medien neue möglichkeiten und ich nutze sie; with a little help from my friends ...

IG (1) und MiR (2)

kennen sich 2011 bereits 45 jahre, waren gemeinsam in der „erlanger schule“, dann mittelbaukollegen, wohnten zeitweise zusammen, machten gemeinsam reisen, so auch zu den marx-manuskripten nach amsterdam. 1 hatte von >MARXISMUS< schon kenntnis erhalten in titos jugoslawien. 2 war im gymnasium im rheinland ohne das durchgekommen und erst gegen ende der universitätsausbildung durch die (leicht verspätete) süddeutsche „studentenbewegung“ neugierig geworden, konzentrierte sich dann erst als junger dozent auf die mikrolektüre der 3 bände KAPITAL – in der annahme, dass sich hier der systematische kern „kritischer theorie“ zeigen müsste, wenn es einen solchen gab. es verstand sich, dass dieser weg weder von der älteren, noch von der jüngeren frankfurter schule beschritten worden war. 2 zog 1, unterstützt vom zeitgeist, in dieses unterfangen mit hinein. 1 aber sank nicht kopflos hin, er ging immer wieder auch eigenen einfällen nach. Einer davon wird dann für 2 zum leitfaden, das erarbeitete material neu zu organisieren: als dialog.
Die dialogische „Prozedur, welcher sich das natürliche Bewusstsein bei dem Eintritt in das spekulative Denken unterwirft“ (Glaser nimmt hier Hegel´sche Redeweise auf, die Entsprechungen sind im Folgenden in Klammern gesetzt) lässt sich kurz so summieren:
1. „Das spekulative (systematische) Denken mutet an keiner Stelle dem natürlichen Bewusstsein (Alltagsverständnis) zu, sich aufzugeben. Vielmehr baut es auf diesem in einer eigentümlichen Art auf und überführt es in etwas, was immer noch es selbst und zugleich nicht mehr es selbst ist.“
2. Das „natürliche Bewusstsein“ darf „auf seinen sämtlichen Erfahrungen beharren – unter der Voraussetzung, dass es die Geltendmachung seiner Erfahrungen dem Anspruch des spekulativen Denkens unterwirft, sich von diesem den systematischen Ort vorschreiben lässt, an dem es jeweils mit seinem Erfahrungen argumentiert. ... es muss bereit sein, Einwände zurückzustellen, bis die systematische Theorie die Stelle erreicht hat, wo sie erörtert werden sollen.“
3. In der „Artikulation seiner Einwände ist am Anfang des systematischen Vorgehens das natürliche Bewusstsein“ unbeschränkt. „Der mit der Systematisierung der Erfahrungen“ – des Alltags – „einhergehende kategoriale Fortschritt grenzt dann die Möglichkeiten ein, wie das natürliche Bewusstsein“ –im Dialog mit dem systematischen Denken – „seine Erfahrungen einbringen kann.“
4. „Die Analyse endet dort, wo das natürliche Bewusstsein die Herkunft der in ihm herrschenden Kategorien aus den durch die systematische Analyse aufgedeckten ... Verhältnissen erkannt hat ... Damit hat sich das natürliche Bewusstsein im systematischen spekulativen Denken aufgehoben ohne je seine Erfahrungen aufgegeben haben zu müssen.“
In der von Kuno Lorenz herausgegebenen Lorenzenfestschrift „Konstruktionen versus Positionen. Beiträge zur Diskussion um die konstruktivistische Wissenschaftstheorie“ (Berlin / N.Y. 1979) unter dem Titel „Das dialektische Denken und das natürliche Bewusstsein“ veröffentlicht. Vgl. auch: Volkbert M. Roth, Zum wissenschaftlichen Anspruch der Wertformanalyse: AUFGREIFEN aus dem Alltagsverständnis der Realität, HERLEITEN von Analyse-Kategorien, Begründung von DARSTELLUNGSVORAUSSETZUNGEN. Eine sozialphilosophische Studie, Habilitationsschrift Universität Konstanz 1976
Wie es MiR 2011 (heute) scheint, macht 1 die größeren sprünge, 2 scheint beharrlicher. das zeitweise enge, dann wieder lockerere verhältnis führt zu gegenseitiger anregung. in auseinandersetzung mit habermas (starnberg) auf einladung von welmer (konstanz) hatte 2 die meinung vertreten, es lohne sich nicht, das rekonstruieren zu wollen, was der unwichtigere bestandteil in der mischung MARXISMUS sei. Er warf auf dem stuttgarter hegel-kongress 1975 „ist systematische philosophie möglich?“ die frage auf, ob nicht mit der starnberger rekonstruktion „des historischen materialismus“ ein weg eingeschlagen werde: MIT MARX AN MARX VORBEI? 1 konnte an die Unterscheidung von unvereinbaren bestandteilen anknüpfend zur these verschärfen: nur wegen der breitenwirkung des „schwächeren Teils“ habe sich der marxismus durchgesetzt. „Die große Autorität, die sich Marx und Engels in der Arbeiterbewegung erworben haben, beruht nicht darauf, dass sich Marx und Engels mit ihren eigentlichen wissenschaftlichen Werken durchgesetzt haben.“ Warum der Plural? „Sie haben sich vielmehr Autorität erworben, indem sie (mehr oder weniger willkürlich) Kompromisse mit dem herrschenden Bewusstsein dieser Bewegung eingegangen sind“ Ivan Glaser, Die historische Dimension der dialektischen Theorie. In: Mittelstraß/Riedel (Hg.), Vernünftiges Denken. Studien zur praktischen Philosophie und Wissenschaftstheorie. Wilhelm Kamlah zum Gedächtnis, Berlin-New York 1978, S. 300


Es spricht einiges für diese these. Was aber ist mit dem stärkeren teil? lorenzens wiederaufnahme des griechischen ΆΓΩΝ (wettkampf) in der konzeption einer dialogischen logik und hegels eintreten für eine versöhnung von spekulativem denken und natürlichem bewusstsein wird von 1 so formuliert, dass 2 darin die möglichkeit eines dialogischen selbstverständnisses für die formanalytische rekonstruktion des stoffs der systematischen kapitalanalyse sehen kann. Rückblickend betrachtet lag das nahe, denn das schon von wittgenstein praktizierte verfahren der spracheinführung ausgehend vom alltagshandeln hatte 2 während der erlanger zeit schätzen gelernt. Darüberhinaus erinnern die von 1 umrissenen „SPIELREGELN“ an die zusammenarbeit von proponent und opponent in dialogen , in denen die gültigkeit von aussagen, die logische funktoren enthalten, geprüft wird.

1 schreibt „torso“ und 2 „systemfragment“ - sie sehen beide den fragmentarischen charakter. Was bedeutet die rede vom systemfragment in der anwendung auf die marx-engels texte?
1 untersucht die marx-manuskripte, mit deren bearbeitung engels den anschein einer mit KAPITAL bd III abgeschlossenen marx-engelsschen kapitalanalyse herstellen konnte: warum hörte MARX nur wenige jahre nach der erstveröffentlichung von KAPITAL bd. I mit der arbeit zum abschließen seines hauptwerks auf? 2 meint, das könne ja verschiedene gründe haben … wobei es schon nachdenklich stimmt!
Bei 1 jedoch verfestigen sich einzelfeststellungen schließlich zu diesem bild: „Das erste Buch enthält historisches, illustrierendes Material im großen Umfang. Theoretische Partien, denen es zugeordnet ist, betreffen die Länge des Arbeitstages, die Mechanisierung der Produktion und die Vertreibung der Landbevölkerung am Anfang der Industrialisierung. Dieses historische Material entnahm Marx weitgehend amtlichen Berichten, den parlamentarischen Industrial Reports, speziellen parlamentarischen Berichten zur Kinderarbeit etc. Es waren all das Ergebnisse der Arbeit von parlamentarischen Kommissionen, die eingesetzt wurden, um Missstände zu bekämpfen. Auch wenn man die entsprechenden Partien des Werks von Marx nicht kennt, es ist leicht sich vorzustellen, dass es sich um ein düsteres, oft empörendes Bild handelt, das die Reports zeichnen.
Weil es so ist, kann auch die Theorie für sich den kritischen und revolutionären Charakter beanspruchen. Aber nur zum Schein. Das erweist sich schon darin, dass sich kaum historisches Material anbot, mit dem Marx seine Theorie der folgenden Bücher bzw. seine Theorie im Ganzen hätte mit dem gleichen Effekt illustrieren können: der Theorie den Anschein zu verleihen, kritisch und revolutionär zu sein. Wie aber in verbleibenden Partien aus einer ausgesprochen affirmativen Theorie eine kritische zu machen, das war die unlösbare Aufgabe vor der Marx nach der Publizierung des 1. Buches stand. Diese Frage rief bei ihm eine Verlegenheit hervor, die ihn zum Verstummen brachte.
Wie Borkenau richtig beobachtete, gab Marx sein Vorhaben Anfang der siebziger Jahre auf und bearbeitete seine Manuskripte nicht mehr - übrigens unabhängig davon, wie abgerundet oder fragmentarisch sie auch geraten waren. Dass das Ergebnis seiner Arbeit an der Kritik der politischen Ökonomie für Marx enttäuschend ausfiel, bedeutete freilich nicht, dass sich seine Haltung gegenüber dem Gegenstand selbst verändert hätte. Die Krisen des Kapitalismus ... pauken „zumindest den Wacheren jeder Generation“ Dialektik ein.
Eine Aporie durchzieht das Denken von Marx. Auf der einen Seite hängt er dem Ideal einer menschlicheren Gesellschaft an, in der es kein Elend und keine Erschütterungen durch Krisen gibt. Auf der anderen Seite schreibt er dem Menschen die Bestimmung zu, seine Produktivkraft immer weiter zu entfalten. Und insgeheim muss er eine Gesellschaftsordnung feiern, in der Menschen unabhängig von Intentionen, die sie in ihrem Handeln leiten, in unabdingbarer Weise ihre Bestimmung erfüllen. Von dieser Seite her setzt er eine Tradition des neuzeitlichen Denkens fort: Hegels objektiver Geist oder Hobbes Leviathan leben in seinem Denken fort. Das Ergebnis seiner Kritik ist also nicht ein bloßes Malheur seiner gedanklichen Bemühungen“ (mail an die bielfelder freunde 2011)
Für 2 ist dies zu starker tobak. 1 mischt hier verschiedene Behauptungen zusammen. Was zeigt sich, wenn wir sie eine nach der anderen prüfen?

01: Die positive Bemerkung vorweg: Die Krisen des Kapitalismus ... pauken „zumindest den Wacheren jeder Generation“ Dialektik ein. (So auch 1 und 2 und vielen mehr.)
02: „Das erste Buch enthält historisches, illustrierendes Material im großen Umfang. Theoretische Partien, denen es zugeordnet ist, betreffen die Länge des Arbeitstages, die Mechanisierung der Produktion und die Vertreibung der Landbevölkerung am Anfang der Industrialisierung. Dieses historische Material entnahm Marx weitgehend amtlichen Berichten, den parlamentarischen Industrial Reports, speziellen parlamentarischen Berichten zur Kinderarbeit etc. Es waren all das Ergebnisse der Arbeit von parlamentarischen Kommissionen, die eingesetzt wurden, um Missstände zu bekämpfen.“ - und die wurden ja auch abgeschafft. die kapitalistische form der gesellschaft blieb.
03: durch die illustrationen mit (inzwischen abgeschafften) empörenden verhältnissen in einer phase des kapitalismus habe marx dem in KAPITAL I formulierten theoriestück einen „kritischen und revolutionären Charakter“ geben können -
„zum schein“ . IG lässt zunächst offen , inwieweit der autor von KAPITAL bd 1 selber diesem schein aufsaß – zunächst (1867-71 ?).
04: entsprechende illustrationen für die theoriestücke der bände 2 und 3 aber habe marx nicht gefunden. IG belegt die gewagte These nicht, „dass sich kaum historisches Material anbot, mit dem Marx seine Theorie der folgenden Bücher bzw. seine Theorie im Ganzen hätte mit dem gleichen Effekt illustrieren können: der Theorie den Anschein zu verleihen, kritisch und revolutionär zu sein.“ schon sein hinweis auf die krisenanfälligkeit wiederspricht dem. gerade wieder aktuelle einzelpunkte dabei sind die verschlungene globale kapitalzirkulation, abgeleitete kapitalformen durch „kapitalisierung“ von erträgen, spekulation. weitere illustrationsquellen liefert heute die sich verschärfende ökologische lage im zusammenhang mit der marxschen formanalyse der „grundrente“ und des privateigentums an stücken der oberfläche des planeten... Gegenthese:
damit schwankt auch IGs kühne metakritik
05: „Dass das Ergebnis seiner Arbeit an der Kritik der politischen Ökonomie für Marx enttäuschend ausfiel“ - wissen wir schlicht nicht, meint 2.
können wir zufrieden sein mit unserer verstehensbemühung?

Fakt ist, marx lenkt sich mit gelegenheitsarbeiten ab von der (in unseren augen) hauptsache. Als autor der (wenig gelesenen, aber hochgehaltenen bibel der internationalen arbeiterbewegung) wird er zur vielbeschäftigten autorität bzw. festigt diese autorität. Eine schwache fortsetzung des KAPITAL könnte schlimmere folgen haben als die aufgeschobene fortsetzung …

mit marx an marx vorbei ?

für jürgen habermas war nach der debatte um REKONSTRUKTION ( http://marx101.blogspot.com/2009/05/iii-kapitalistisches-produzieren.html ) die marx-rekonstruktion bald kein thema mehr. Seine bedeutung für eine NEUE MARX-Lektüre: er sagte mir einmal, er habe die ersten KAPITAL-lesekreise an einer westdeutschen uni initiiert. verglichen damit setzten unsere konstanzer marx-arbeiten relativ spät ein, (wo sie andernorts schon aufgehört hatten). 1976 wird die arbeit ZUM WISSSENSCHFTLICHEN ANSPRUCH DER WERTFORMANALYSE als habilschrift eingereicht und sie wird dann ausgangspunkt für das konstanz/SYDNEY MARX-projekt, dessen ergebnisse nach diskussion mit emilio agazzi in einer von ihm besorgten übersetzung 1982 im druck erscheinen als Eldred/Hanlon/Kleiber/Roth: La Forma
Valore – mit einem untertitel, in dem unverdrossen von rekonstruktion und ausbau des marxschen systemfragments die rede ist. überarbeitete deutsche vorlagen finden sich unter: marx101.blogspot.com seit

bei projekten der marx-rekonstruktion ist ja:
1. ausgangspunkt: MEW 23 – 25 ist noch nicht die fertige form der systematischen darstellung
2. zu klären: welche position hat die rekonstruierte kapitalanalyse in einem anvisierten größeren ganzen?
3. darzustellen der schlüssige gedankengang (erfolgreiche dialog) kapitalanalyse
4. die frage: inwiefern ist gelingende darstellung kritik ?

der erste marx-rekonstrukteur ist sein freund engels und alle weitere rekonstruktionsbemühung erscheint als re-vision. wir sind revisoren. und es gibt keine re-vision ohne meinungsstreit. dabei ist neben revisionismus der komplementäre befund des dogmatismus in solchem streiten naheliegend. Und wir fragen uns selbst und gegenseitig: ist dies ein weg zum kern oder (mit oder gegen marx) an noch fortdauernd gültiger, rekonstruierbarer einsicht vorbei? manchmal helfen debatten weiter. manchmal archive. manchmal gibt es entdeckungen in der einsamkeit und freiheit des selberdenkens – ausgehend von bekanntem. ich beiße zum beispiel (1976 fern der heimat) zum wiederholten mal in die formulierung in der ganz gewöhnlichen kapitalausgabe mew 23: der wert der ware arbeitskraft löst sich auf … und erschrecke plötzlich vor dem sich auftuenden abgrund … war ich etwa gerade dabei aufzudecken, was bisher nicht aufgefallen war?

Es führte mich zu „stufen“ im begriff der ware. kapitalistisch erzeugte industriewaren (der verschiedensten zweige) sind die ausgangswaren, waren erster ordnung, mit ihnen, soweit sie eingehen in die reproduktion der arbeitskraft / der arbeiterfamilien lässt sich das produktionselement AK (arbeitskraft) verstehen als ware zweiter ordnung. Und nun ließe sich mit IG die diskussion aufnehmen über : „Ich war damals schon so weit zu meinen, dass auf jeden Fall die Reihenfolge umzukehren ist. Bei der Gewinnung der gesicherten Erkenntnis wird nicht Kapital aus Ware und Wert, sondern Ware und Wert werden aus Kapital hergeleitet. Hergeleitet, indem die Funktionalität von Ware und Wert für die Funktionsweise des Kapitals aufgezeigt wird. Kapital als objektiver Geist. Und als Form zugleich.“ entsprechend der von IG explizierten spielregel geht es beim aufbau eines sozialphilosophischen denksystems um ein ineinander von aufgreifen aus dem allen zeitgenossen zugänglichen alltagswissen und einem herleiten von analysekategorien (fachausdrücken des spezifischen systematischen denkens). beispiele für aufgreifen gibt es viele. das erstemal geschieht aufgreifen im text des marxschen KAPITAL im ersten satz. hergeleitet wird „wertform“ , … die ware zweiter ordnung AK und damit macht sich die analyse auf den weg zum „sich selbst verwertenden wert“, zeigt dabei die >Funktionalität von Ware und Wert für die Funktionsweise des Kapitals<, ohne in die Falle angeblich „einfacher Warenproduktion“ zu tappen.
ABER HEBEN WIR UNS DAS AUF FÜR EIN ANDERMAL !


things & people

ELDRED on ANAXIMANDER/Heidegger, Aristotle & Marx
(Auszug / Ende eines längeren Textes 2011: http://www.arte-fact.org/untpltcl/prncprsn.html#5.1)
WOHLRAPP zum Glauben ans ARGUMENT & bringing all into joint

Zit.n. Rapp, S. 45 – in Parenthese ein in der Forschung strittiger Passus, den Rapp eher Aristoteles zurechnet; altgriechisch: (ἐξ ὧν δὲ ἡ γένεσίς ἐστι τοῖς οὖσι, καὶ τὴν φθορὰν εἰς ταῦτα γίνεσθαι) κατὰ τὸ χρεών· διδόναι γὰρ αὐτὰ δίκην καὶ τίσιν ἀλλήλοις τῆς ἀδικίας κατὰ τὴν τοῦ χρόνου τάξιν.
Christof Rapp: Die Vorsokratiker. München (Beck) 1997 ISBN 3-406-38938-4
http://de.wikipedia.org/wiki/Anaximander: Mit dem einzigen erhaltenen Anaximander-Fragment liegt der erste schriftlich gefasste und überlieferte Satz der griechischen Philosophie überhaupt vor. Allerdings ist die diesbezügliche Forschung uneins, in welchem Umfang das Überlieferungsgut tatsächlich authentisch auf Anaximander zurückgeht.Die Kernaussage lautet:
„(Woraus aber für das Seiende das Entstehen ist, dahinein erfolgt auch ihr Vergehen) gemäß der Notwendigkeit; denn sie schaffen einander Ausgleich und zahlen Buße für ihre Ungerechtigkeit nach der Ordnung der Zeit.[Rapp]“ Eldred könnte bemerkt haben, dass es in der Übertragung zwischen „das Seiende“ im ersten Teil des Klammerausdrucks und „ihr Vergehen“ im zweiten Teil eine (kognitive ?) Dissonanz gibt ...


… the sky can be said to 'esteem' the Earth, for instance, in raining upon it. In the case of mortals, i.e. human beings, the coming and going out of the present is the initial coming ( ἡ γένεσις ) and the final going-away ( φθορά ), since human beings are those beings who are ex-posed to, stand-out toward death, death itself being a present withheld for a life-time in absence toward which each mortal is ecstatically stretched.
 
/ AUSLASSUNG
 
The phenomenological interpretation of the extant fragment of Anaximander's archaic saying

… for they do right by giving each other due esteem, thus bringing everything into joint


allows deeper insight into the temporal meaning of being as presencing in its relation to (human) beings in their interplay than that provided, say, by the fifth book of the Nicomachean Ethics, not to mention modern discussions of commodity exchange-value in political economy and its critique from Adam Smith on in which all trace of being as standing presence has been lost in oblivion. Commodity value (ΤΙΜΗ τιμη) and the striving for τιμη (esteem) among men already abundantly thematized in Plato and Aristotle are shown to be more deeply games of presencing played in presencing's time-space, in particular, games among mortals vieing for estimation of their finite, mortal powers. Through such insight, rivalry among individual mortals is not done away with, but seen no longer merely in the light of individual personal ambition and the striving for the gain of wealth. Rather, such mortals are first of all granted presence as the presents of presencing, and strive and vie with each other to stand phallically in the shining light of the present for a while. The temptation of hubris, however, misleads them to strive to present themselves not uprightly and to exceed their allotted time in shining presence, thus putting the interplay of mutual estimation out of joint. 
 
By contrast, Heidegger suggests in the following passage that a recasting of being and human being from the insight into its temporal nature as presencing amounts to an overcoming of so-called individualism altogether, which he locates solely in the modern age. "Insofar as they are human beings out of the essencing of their presencing in the gleaming of the pure brightness, they have already met in destinal sending through themselves as presents." (Insofern sie Menschen sind aus dem Wesen ihres Anwesens im Erglänzen des reinen Lichten, haben sie [sich] einander, durch sich als Anwesende, schon im Geschick getroffen. GA78:93) Insofar as he conceives such individualism as "some sort of non-destinal meeting-together of the already individualized multitude of people in some sort of agreement [that] effects community" (Nicht irgendein geschickloses Zusammentreffen der bereits vereinzelten Vielen der Menschen in irgend eine Übereinstimmung bewirkt Gemeinschaft, GA78:93), his rejection of individualism is justified. However, such a conception has itself overlooked that the modern individual itself is already enabled by, and goes hand in hand with, and is, a kind of sociation mediated by a reified medium, namely, value, an insight to be had from the mature Marx and Hegel. This kind of sociation is itself a destinal sending from being with its own kind of reified interplay among beings. 
 
Heidegger does not conceive value as a reified medium of sociation (in the various value-guises of money, commodity, capital, wages, interest, etc.) in the gainful game of estimation among things and mortals. Rather, he asserts that value as "the goldness of gold has dissolved into an effectiveness within the circulation of payment transactions" (Das Goldsein des Goldes hat sich aufgelöst in eine Wirksamkeit innerhalb des Umlaufs des Zahlungsverkehrs, GA78:70) in an "effectiveness in causing effects" (Wirksamkeit im Verursachen von Wirkungen, GA78:70). Heidegger thus has a technical-causal conception of value and money, and displays a patent lack of elementary understanding of a market economy. Moreover, (exchange-)value in its various masks is the reification of what the Greeks experienced as ΤΙΜΗ. Heidegger ignores that value in the modern age is, and has already been disclosed by Marx to be, the medium for estimating the value of things and people
-doch Marx löste ja den „Wert“ der Ware Arbeitskraft auf - (Siehe: http://marx101.blogspot.com/2008/03/value-of-labour-power.html)
in an "exchange process" (Austauschprozeß) that, more properly, is to be seen as a gainful game ungraspable by the schema of cause and effect.

Would the gainful game be overcome when human beings knew themselves as presents of the giving of presence into the finite, temporal clearing? Or would it be only gotten over in a stepping back from an unconditional striving for gain and estimation that puts the game out of joint? 
 
Human beings are used by being / vom Sein / as the destination for the presencing of beings as such. Their shining in the present would have no recipient, their being no radiance, were it not for recipient human being(s) existing as Da-sein in the Da of time-space. Hence human beings, as those exposed to the clearing of time-space in which the interplay of mutual estimation takes place, are never 'out of play'. They are the presents needed as witnesses to the spectacle of beings' interplay. Anaximander's saying ( in a phenomenological reading:
. . . giving one another due worth in estimation, thus bringing the present conjuncture of presents into joint )

points to the interplay of estimation among all beings in their plurality. Only by virtue of this interplay do beings come to shine and hence be in having their shine of presence reflected in due heed and esteem. They would have no worthy stand in presence as disclosed without such interplay and without such interplay being witnessed. Insofar, their very being as presents depends not only on the granting-withholding handing-out by presencing itself, but also on the interplay of estimation among beings of all kinds to which human beings as such are witness. The plural forms employed in Anaximander's saying are therefore indispensable and should be given due regard explicitly, and not conflated carelessly with the singular, as is natural in German.The in-jointness of right can then be seen as fair interplay among a plurality of presents in the present.
(Eldred had mentioned earlier that Heidegger discusses at length in GA78:48ff why it is justified to render in German the Greek plural ΤΑ ΟΝΤΑ in German as the singular 'das Seiende' rather than 'die Seienden'/die Präsenten, die Mitspieler des gainful game in Eldreds Redeweise. And he disagrees. Im Anaximander-Fragment finden sich die plural Formen τοῖς οὖσι und sie logisch vorausetzend, ἀλλήλοις / gegenseitig)

Anaximander: they do right by giving each other due esteem
Marx hat zeigen wollen, dass „giving each other due esteem“
- im Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital nicht der Fall ist.
The point is: humans would do right giving each other due esteem.
Doch geht das im „gainful game“? Ist es mit dem System der Lohnarbeit vereinbar?


Eldred folgt Heidegger in der Ablehnung einer strikt naturphilosophischen Interpretation jenes ältesten überlieferten Textschnipsels unserer philosophischen Tradition. Die dort angesprochene umfassende „Aktion“ (Eldred überträgt διδόναι γὰρ αὐτὰ ἀλλήλοις : „giving each other“) wird als Austausch gefasst. Der materiell-kommerzielle AUSTAUSCH ist aber zugleich Stoffwechselprozess, Natur und (nicht nur „Agri“-)Kultur verbindend. Und unter nun „öko“-logisch genannter Perspektive bekommt auch der vorsokratisch -„natur“philosophische Aspekt des fragmentarischen Weisheitsspruchs Anaximanders in der Verbindung mit sozialkulturaler Argumentation eine sinnvollerweise wiederzubelebende Bedeutung. Wie handeln wir > giving due esteem to each other <, - other = einschließlich der anderen Teile im Ganzen der (für eine Weile) menschliches Leben auf Terra ermöglichenden Natur?

Über die Beziehungen zwischen Wissen, Forschen, Glauben IM HANDELN erschien in zweiter Auflage 2009 /Würzburg das magnum opus des erfrischend scharfsinnig formulierenden Harald Wohlrapp. Erhellend die Begleitumstände der zuletzt aufgeworfenen Frage ist seine Behandlung der Kontroverse “Autofahren?“ (ja, bitte! / nein,danke?) in DER BEGRIFF DES ARGUMENTS, - was Manche/r hinter diesem Titel vielleicht nicht erwartete.

Dienstag, November 16, 2010

Schotter & Schottern

NEUE DEUTSCHE VOLKSPARTEI ?
(SPIEGEL 15.11.10)
SPIEGEL:"hab das Schottern verpasst, bin beim Rave versackt" ...
TAZIO MÜLLER: Nach jedem Wahlkampf gibt es Party...
SPIEGEL: Sie rechnen sich der radikalen Linken zu. Was soll das heißen?
TAZIO: ...Wir können Entscheidungen, die unser Leben angehen, kollektiv treffen. Aber die wichtigen ökonomischen Entscheidungen, wer was wo produziert, sind ... privatisiert. Das wollen wir ändern.
aus: "Es ist hip, Aktivist zu sein", Interview vgl. Titel 87

Sonntag, Dezember 06, 2009

ein wenig mehr ZUM SPIEL (WertSpiel)

Warum ist "Spiel" der geeignete Name für das Austauschgeschehen auf den Märkten - angefangen mit dem Tausch der Warenaustauschprodukte? Dabei geht es darum, dieses Austauschgeschehen auf seinen ontologischen (Wert-Form-)Begriff zu bringen. Es geht erst mal überhaupt NICHT darum, zu bestimmen, zu behaupten oder zu meinen, ob bzw. daß das Austauschgeschehen ein faires oder abgekartetes Spiel, ein schönes oder unfreies Spiel sei. Marxistische Kritiker von mir sind immer bloß empört zu hören, daß das Austauschgeschehen überhaupt "fair" sein könnte, ohne sich zu überlegen, warum es als Spiel überhaupt ontologisch zu begreifen ist. Zudem empören sich "Kritiker" bloß über die im Deutschen verpönten Wörter "Spiel" und "Spieler". Die Deutschen -- das unspielerische Volk schlechthin?
>

Warum nicht das Austauschgeschehen "Austauschprozeß" nennen, wie Marx dies tut? Der Austauschprozeß wäre dann vom "Produktionsprozeß" begrifflich unterschieden, der dann später im begrifflichen Gedankengang vom Zirkulationsprozeß unterschieden wird. Dann gäbe es verschiedene "Prozesse" im sog. "kapitalistischen System", und man bliebe ganz sachlich-objektiv-"wissenschaftlich".

Bei der Produktion geht es um die Herstellung von Gütern. Die Herstellung steht
dem Austausch gegenüber, der sie ergänzt. Nach wertformanalytischer Einsicht wird der (Tausch-)Wert nicht im Produktionsprozeß hergestellt und dann bloß diese hergestellte "Wertsubstanz" auf dem Markt im Austauschgeschehen "ausgedrückt", sondern die Arbeitsprodukte werden erst auf dem Markt durch die Spegelung in anderen Waren zu wirklichen (actualitas, _energeia_) Tausch-Werten, die wirklich die Kraft (_dynamis_, Macht) haben, in der Tausch-Bewegung sich gegen andere Waren zu tauschen. Der Wert ZEITIGT SICH imAustauschgeschehen, d.h. in TauschVERHÄLTNISSEN.
>
Bei der Herstellung hingegen geht es um die Hervorbringung eines fertigen Produkts unter der Führung eines wissenden Einblicks, d.h. von know-how. Marx kannte sein Griechisch und vor allem seinen Aristoteles, der die ontologische Struktur der Herstellung genauso beschreibt, wie Marx es wiedergibt, wenn er die "Arbeit" einer Biene von der menschlichen Arbeit (_dynamis meta logou_) unterscheidet (Met. Buch Theta).
>
Bei der Herstellung geht es um einen kontrollierten, beherrschten, vorhersehbaren Prozeß, der im Endresultat eines fertigen Produkts in sein Ende kommt (_entelecheia_). Der Herstellungsprozeß ist vom Ausgangspunkt des Know-How aus beherrscht.
>
Es kann nicht überbetont werden, daß das Paradigma der Herstellung seit der griechischen Philosophie das westliche Denken insgesamt durchherrscht -- auch bei Marx, sofern er auf der Suche nach dem "Wertgesetz" bzw. dem "Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft" ist. Ein Gesetz gibt eine Regel in die Hand, wodurch eine Bewegung wissend beherrscht werden kann, und sei es, daß sie lediglich VORHERGESEHEN werden kann, wie z.B. die Newtonschen Gesetze es erlauben, die Bewegung der Himmelskörper vorherzusehen, vorauszukalkulieren. Und die Newtonschen Gesetze sind das ganz große Paradigma der modernen Wissenschaften, das auch die Wirtschaftswissenschaft bestrebt ist nachzuäffen.
>
Das Paradigma der Herstellung jedoch trifft nicht zu für das
Austauschgeschehen. Schon deshalb ist es irreführend, von einem
Austauschprozeß zu reden. Im Austausch gibt es zumindest zwei Ausgangspunkte, und nicht _einen_ wie bei der Herstellung. Die beiden oder vielen Ausgangspunkte des Austauschgeschehens sind die Warenhüter, die die Waren zu Markt bringen, um mit denselben zu handeln. Der Handel ist kein sicherer Prozeß mit voraussehbaren Ausgang, sondern hängt von den Entscheidungen der vielen Warenhüter ab im Wechselspiel miteinander (vgl. die Dialektik der Anerkennung bei Hegel: "Der eine tut, was der andere tut, usw."). Solche Entscheidungen, zu (ver-)kaufen oder nicht und zu welchem Tauschverhältnis (bzw. zu welchem Preis), entstehen aus der Spontanität (Kant) bzw. der abgründigen Freiheit jedes einzelnen Ausgangspunktes, die dann spielerisch aufeinandertreffen. Das Ergebnis bleibt unsicher und unvorhersehbar, bis das Geschäft wirklich (actualitas) abgeschlossen ist. Selbst wenn es "Erfahrungswerte" für das Marktgeschehen "in der Regel" gibt, können diese Erfahrungswerte auf einen Schlag auch ungültig werden.
>
Aus der Gegenüberstellung zum Produktionsprozeß und aufgrund der Grundllosigkeit des Austauschgeschehens unter vielen Warenhütern nach bestimmten Regeln des Marktes, womit auch die wesenhafte menschliche Freiheit (einschl. der Unfreiheit!) mit im Spiel ist, verdient dieses Geschehen den Namen SPIEL. Der Wert, der sich aus der Spiegelung in anderen Waren zeitigt, ist somit ein Spielergebnis.
>
Wie gesagt, ob das Tauschspiel fair oder unfair ist oder sein kann, ob es ein win-lose, win-win, lose-lose Spiel ist oder sein kann, steht auf einem anderen Blatt. Es muß festgehalten werden, daß ontologische Begriffe grundsätzlich auch ihre Negation mit einschließen, z.B. ein Tauschspiel kann nur unfair sein, weil es auch fair sein kann, und umgekehrt, und der Mensch kann nur unfrei sein, weil er wesenhaft ein freies Wesen ist (ein Stein kann weder frei noch unfrei sein). Eine einfache Negation als Gegenargument zu behaupten, trifft die Sache nie.
>
Es wäre schön, wenn sich ein paar Nachdenkliche auf solche Gedankengänge einlassen würden, statt bloß Festgefahrenes noch einmal gedankenlos zu behaupten.

> So viel für heute. Michael Eldred, Köln, 3.12.09
>

Sonntag, November 29, 2009

Dass der Wert in der Produktion entsteht und nicht erst im Austausch, wo das, was vorher entstanden ist, sich „ausdrückt/darstellt“, bedeutet aber nicht, dass er quasi als Ding mit hergestellt wird wie ein Brötchen. Die von Marx verwendeten Ausdrücke wie „Kristall“ und „geronnen“ könnten so gelesen werden, aber so kann es nicht gemeint sein. Zu denken, der Wert sei wirklich ein Ding und kein gesellschaftliches Verhältnis, das unter dinglicher Hülle versteckt ist (vgl. MEW 23: 88, Fn 27), wäre fetischartiges Denken.

Fetischform bezieht sich also darauf, dass dem Produzenten seine vergangene Arbeit als „geronnene“ Produkteigenschaft erscheint. (Kurz 1987: 104)

Allgemein gesprochen werden jeweils Prozesse, die „an sich“ gesellschaftlich sind, „für den Menschen“ (hier den Produzenten) zu etwas Wertförmigem und die widersprüchliche Einheit des „an sich“ und „für ihn“ begründet solch widersprüchlichen Ausdrücke wie „geronnene Arbeit“, „geronnene Zeit“ usw. Es geht dabei immer um eine spezifische (d.h. verkehrende) Formung eines an sich unspezifischen Sachverhalts.

Der Inhalt des Kapitels „Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis“ (MEW 23: 85-108) im „Kapital“ bezieht sich auf die Ergebnisse der Wertformanalyse. Der Inhalt dieses Kapitels sollte von den eben ausgeführten Ergänzungen kaum berührt werden. Wenn Marx in diesem Fetischkapitel schreibt, dass „die spezifisch gesellschaftlichen Charaktere ihrer Privatarbeiten erst innerhalb des Austausches“ erscheinen (MEW 23: 87),...
( Stefan: Annette Schlemm, hat -- wie ich
finde -- das Problem überzeugend aufgearbeitet:
http://www.thur.de/philo/notizen/fetisch/fetisch1.htm)

Der Wert , ein Spiel?

- ein bedenklicher Artikel von Michael Eldred
Hallo Franz!



Eldred: "Der Wert läßt sich überhaupt nicht herstellen und er läßt
sich nur nach Erfahrungsregeln und nicht von einem Prinzip her
quantitativ voraussagen. Vielmehr verhält sich die Sache umgekehrt: Die Arbeit, die die Ware produziert, wird erst im Spiegelspiel des Werts als wertvoll auf dem Markt faktisch anerkannt. Der Wert hat keine Substanz, sondern als gesellschafliche Kategorie kommt er erst in einem gesellschaftlichen Reflexionsverhältnis, d.h. erst in einer
Vergesellschaftung der Ware als Ware im Spiegel der anderen Waren, zustande. Das Wertsein selbst ist ein Wertverhältnis. Deshalb ist der Wertbegriff ein Grundbegriff einer sozialen Ontologie, d.h. einer Lehre des gesellschaftlichen Seins der Menschen. "
Stefan: In vergleichbarer Form findest du genau das bei Michael Heinrich (ohne die »soziale Ontologie«).

Die Idiotie die schon Engels mit ein paar dürren Worten abzukanzeln
versuchte, aber die sich damit nicht aus der Welt schaffen ließ, ist
dass der Wert dann doch aus der Zirkulation entsteht.
Stefan: Dito das Problem bei Heinrich. Gleichzeitig darf es aber keinen Rückfall in eine substanzialistische AWT (Arbeitswerttheorie) geben. Die hat Heinrich nämlich zurecht kritisiert. Annette Schlemm, hat -- wie ich
finde -- das Problem überzeugend aufgearbeitet:

http://www.thur.de/philo/notizen/fetisch/fetisch1.htm


Engels hätte aber nicht blökend auf das FAKTUM der Produktion
verweisen sollen ("dass eine Nation verreckt, die nicht....")
sondern umgekehrt fragen sollen warum sich dann jemand überhaupt die
Mühe der Produktion antut und nach welchen Gesetzen diese Produktion
denn sonst abläuft.

Wenn sich Wert nicht produzieren ließe, gäbe es keine Produktion oder
ihre Gesetze wären unbegreiflich. Das ist wenn man so will der
"Beweis" der Arbeitswertlehre. Und wir sind seit Marx noch keinen
Flohsprung weiter was die Schwierigkeit betrifft diesen einfachen
Satz verständlich zu machen.
Stefan: Ja, ein Knackpunkt. Aber daraus kann man nicht die Gültigkeit der AWT (in ihrer substanzialistischen Ausprägung wie sie aktuell von
Cottrell/Cockshott vertreten wird) schließen. Also nix mit »Beweis«.



Ansonsten ist Eldred ein Haus von wandelnden Widersprüchen. Der Wert
lässt sich das eine Mal nicht produzieren, und dann rekurriert er
doch auf die Arbeitswerte, Das eine Mal verwandelt sich der Wert
notwendig in Kapital das die sozialen Charaktere unwiderruflich
scheidet, das andere Mal bleiben gleichberechtigte faire Spieler
übrig.

Das Blöde ist: diese Positionen sind unglaublich populär auch in der
Marx-Rezepti0n.

gute Ideen sind gefragt!

Stefan:
Meine Idee wäre nur, konsequent von einem Begriff des Werts als
gesellschaftlichem Verhältnis auszugehen (was Eldred zurecht stark
macht), dabei aber nicht in die substanzialistische AWT oder eine leere
Geltungstheorie des Werts zu kippen. Ich habe das Empfinden, dass wir
damit durchgehend bei »Verhältnisbegriffen« landen würden, mit denen
nichts mehr »dingfest« zu machen ist, sondern sich alles nur noch in
Gegensätzen als den Momenten der zu begreifenden Verhältnisse bewegt.
So ein Denken wird _nie_ populär im Vergleich zur so schlichten und
anschaulichen substanzialistischen AWT: »Ich habe gearbeitet, also
steckt meine Arbeit jetzt im Ding«.

Ciao,
Stefan

P.S. Schreib doch so'ne Sache in einen Blog, irgendeinen wirst du dafür
finden. Dann bleibt das keine private Zirkeldiskussion per Mail (wenn
überhaupt).

Samstag, November 28, 2009

DenkNuss

Anmerkung von FN


Eldred: "Der Wert läßt sich überhaupt nicht herstellen und er läßt sich
nur nach Erfahrungsregeln und nicht von einem Prinzip her quantitativ
voraussagen. Vielmehr verhält sich die Sache umgekehrt: Die Arbeit, die
die Ware produziert, wird erst im Spiegelspiel des Werts als wertvoll auf
dem Markt faktisch anerkannt. Der Wert hat keine Substanz, sondern als
gesellschaftliche Kategorie kommt er erst in einem gesellschaftlichen
Reflexionsverhältnis, d.h. erst in einer Vergesellschaftung der Ware als
Ware im Spiegel der anderen Waren, zustande. Das Wertsein selbst ist ein
Wertverhältnis. Deshalb ist der Wertbegriff ein Grundbegriff einer
sozialen Ontologie, d.h. einer Lehre des gesellschaftlichen Seins der
Menschen. "

Die Idiotie, die schon Engels mit ein paar dürren Worten abzukanzeln
versuchte, aber die sich damit nicht aus der Welt schaffen ließ, ist, dass
der Wert dann doch aus der Zirkulation entsteht.

Engels hätte aber nicht blökend auf das FAKTUM der Produktion verweisen
sollen ("dass eine Nation verreckt, die nicht....") sondern umgekehrt
fragen sollen warum sich dann jemand überhaupt die Mühe der Produktion
antut und nach welchen Gesetzen diese Produktion denn sonst abläuft.

Wenn sich Wert nicht produzieren ließe, gäbe es keine Produktion oder ihre
Gesetze wären unbegreiflich. Das ist wenn man so will der "Beweis" der
Arbeitswertlehre. Und wir sind seit Marx noch keinen Flohsprung weiter, was
die Schwierigkeit betrifft, diesen einfachen Satz verständlich zu machen.

Ansonsten ist Eldred ein Haus von wandelnden Widersprüchen. Der Wert lässt
sich das eine Mal nicht produzieren, und dann rekurriert er doch auf die
Arbeitswerte. Das eine Mal verwandelt sich der Wert notwendig in Kapital,
das die sozialen Charaktere unwiderruflich scheidet, das andere Mal
bleiben gleichberechtigte faire Spieler übrig.

Das Blöde ist: diese Positionen sind unglaublich populär auch in der
Marx-Rezeption.

gute Ideen sind gefragt!

Freitag, November 27, 2009

Spiel

Spiel / global players - pejorativ, ganz zu Unrecht?
winwin or winloose ?

Lieber MiEl,

"der Mensch ist nur ganz Mensch wo sie/er spielt"
- so schon Schiller.

"die Deutschen das produktionistische
> Volk par excellence"
freut Friedrich N.: Schöpfer sollst Du sein!

"Im Englischen hat das Wort 'player' keineswegs solche pejorativen Konnotationen, und ontisch-experientiell ist es schon längst verstanden und akzeptiert, daß wir alle player sind.
("Konkurrenzsubjekt", wie wir das damals genannt haben, sitzt noch nicht ganz.)" Und auch die Witti-Spiele, die Sloter-Übungen ... fallen dazu leicht ein.
>
"Bei mir ist die Einsicht, daß der Mensch wesenhaft ein Spieler ist (oder besser: die Menschen wesenhaft Spieler sind -- Plural!!), erst im Zusammenhang mit meiner Arbeit 2000-2002 an der Ontologie/Metaphysik des Austausches aufgegangen (im Gegen-Satz zum für das westliche Denken Maß-gebenden Paradigma der Herstellung). Den Menschen als Subjekt zu apostrophieren ist die neuzeitliche Wesensbestimmung, die den Menschen als das -- v.a. vermittels der Wissenschaft und Technik -- Zugrundeliegende, _archae meta logou_, Beherrschende, Kontrollierende, Produzierende entwirft. Seit langem habe ich nicht mehr vom Menschen als Subjekt gesprochen, aber ihn Spieler/player zu nennen, kam erst in den letzten Jahren.

So erhält die Wesensbestimmung des Kapitalismus als GEWINNST Spieler im
Gewinn-Spiel."
>
Und damit ist auch gemeint: alle Mitspieler gewinnen ?
Manche halt TrostPreise ... ? and the globe wins too,
die große Nährerin

Donnerstag, November 26, 2009

Michael Eldred 2007

manchmal ist es angezeigt, etwas Selbstverständliches vorab auszudrücken: dieser Beitrag wird hier wiedergegeben, um ihn zur Diskussion zu stellen. vieles in Eldreds Text ist "schön und gut". Jedoch wenn ich auf das Ende sehe ...
the blogger


Abstract
'Value is a game — Thinking Marx differently', talk given at the Philosophical Café in Wuppertal on 22 January 2007. The famous "labour theory of value" that provides the conceptual foundation for Marx's Capital has been attacked ever since the first publication of Marx's main work. As a price theory, the LTV has been shown to be untenable. A consistently phenomenological reading of the value-form in the first chapter, however, allows an alternative concept of value to be developed upon whose basis a socio-ontological vista of civil society opens up, played out as the struggle for the powers residing in things and the abilities residing in the human players to be recognized, estimated, valued and validated.

1. Werte
Unsere natürliche metaphysische Einstellung heute zum Wert ist eine subjektive, man könnte sagen, eine Kantische. Das Subjekt 'projiziert' seine Werte in die Dinge, die ihrerseits 'objektiv' gegeben sind. Eine solche Denkweise ist gang und gäbe. Wir reden auch von unseren abendländischen oder christlichen Werten und grenzen sie ab etwa gegenüber den orientalischen und muslimischen. Zu unseren heutigen Werten gehören auch die Menschenrechte, deren Inhalt im Westen immer umfassender geworden ist. So gibt es nicht nur ein universales Menschenrecht auf Eigentum an seiner eigenen Person, das die Sklaverei verbietet, sondern auch etwa angeblich ein Menschenrecht auf soziale Absicherung, auf einen gesellschaftlich zulässigen Lebensstandard, der ein Absinken in die Armut verhindert, usw.

Von Werten in diesem allgemeinen und hohen Sinn wird hier nicht die Rede sein. Stattdessen wollen wir uns auf den Weg machen zu sehen, wie der Wert ganz alltäglich an den Dingen und gar an den Menschen selbst im gesellschaftlichen Verkehr entsteht und erscheint. So werden wir sehen, daß der Wert nicht als etwas Subjektives, geschweige denn als eine Sache der bloßen subjektiven Meinung, begriffen werden kann.

Für den folgenden Weg wird es nützlich sein, den phänomenalen Gehalt des Worts 'Wert' ganz vorläufig zu umreißen. Etwas oder jemand hat Wert oder ist wertvoll in einem ganz profanen Sinn, wenn es bzw. er zu etwas gut ist bzw. zu etwas taugt innerhalb der Gebräuche des Alltags. In einem abgeleiteten Sinn hat ein gut brauchbares Etwas Wert, indem es gegen etwas anderes Brauchbares getauscht werden kann. Das deutsche 'Wert haben' entspricht dem lateinischen 'valere', was so viel bedeutet wie 'stark, mächtig, einflußreich sein; auch Wert haben, einschließlich monetären Werts'. Das lateinische 'valere' wiederum entspricht dem griechischen du/nasqai, das Verbum zu du/namij, das griechische Wort für Macht, Kraft, Vermögen, Fähigkeit, Wert. Insbesondere etwas Wertvolles hat die du/namij oder Kraft, gegen Geld oder etwas anderes Wertvolles getauscht zu werden.

Unser Ausgangspunkt ist das berühmte erste Kapitel 'Die Ware' aus dem Kapital von Karl Marx, in dem die berühmt-berüchtigte Arbeitswerttheorie und der Wertbegriff als Erstes systematisch entwickelt werden.

2. Die Marxsche Arbeitswertlehre und die Marxsche Wertformanalyse
Nach einer gängigen oder gar orthodoxen Deutung der Marxschen Werttheorie besagt sie, daß die Waren, die auf den unzählig verschiedenen Märkten "unsrer kapitalistischen Gesellschaft" (MEW23:58) tagtäglich getauscht werden, die Hände wechseln im Verhältnis zu der in ihnen verkörperten "gesellschaftlich notwendigen Arbeit" (MEW23:89). Diese "gesellschaftlich notwendige Arbeit" soll das quantititive Maß abgeben für die Austauschverhältnisse sowie für den Wert, den eine bestimmte Ware objektiv verkörpert und darstellt. Die Substanz des Werts nach dieser Deutung ist demnach die geleistete und in der fertigen Ware verkörperte Arbeit, die, wie man sagt, durch die Zeit 'objektiv' gemessen werden kann. Die Wertsubstanz dann regelt die Tauschverhältnisse unter den Waren als ein inneres Maß, das unabhängig ist von den Tauschverhältnissen und in der Produktionssphäre bestimmt werden kann. So ungefähr lautet die sogenannte Arbeitswertlehre.

Sie bildet die begriffliche Basis, auf der die Theorie des Mehrwerts im Kapital entwickelt wird, die besagt, daß die vom Kapitalisten beschäftigten Arbeiter den Mehrwert produzieren, weil sie mehr Arbeit leisten, in Arbeitsstunden gemessen, als sie vom Kapitalisten in Arbeitslohn bezahlt bekommen[, der im Wert nur einem Teil der für den Kapitalisten geleisteten Arbeit entspricht]. Demnach ist der Profit des Kapitalisten nichts anderes als eine verwandelte Form der Mehrarbeit, die die Arbeiter über die notwendige Arbeit leisten[, die notwendig ist in dem Sinn, daß in den notwendigen Arbeitsstunden des Arbeitstags die Arbeiter das Wertäquivalent ihres Arbeitslohns produzieren]. So — nach dieser orthodoxen Arbeitswertlehre — werden die Arbeiter als die Wertschöpfenden vom Kapitalisten systematisch ausgebeutet.

Nun ist diese Marxsche Arbeitswertlehre[, die sich von der Ricard'schen Arbeitswertlehre nicht unterscheidet,] von Anfang an heftig angegriffen worden[ sowohl empirisch als auch gedanklich. So hat es z.B. das sogenannte Transformationsproblem gegeben, das sich mit dem theoretischen Problem beschäftigt, wie die Arbeitswerte der Waren sich in Preise verwandeln, die einen durchschnittlichen Profit darstellen, die sog. Produktionspreise, die schon für Ricardo ein theoretisches Problem darstellte. Aber] bereits 1894 hat ein früher Kritiker des Marxschen Kapital Eugen von Böhm-Bawerk eher im Vorbeigehen(2) seinen Finger auf den eigentlichen wunden Punkt der Arbeitswertlehre gelegt. Er fragte im Rückgang auf Aristoteles, warum überhaupt die Arbeit die Substanz des Warenwerts ausmachen soll und nicht vielmehr die Brauchbarkeit bzw. der Gebrauchswert, der jedoch kein auf der Hand liegendes, inhärentes, quantitatives Maß besitzt.

[Das gedankliche Problem mit der Marxschen Arbeitswertlehre liegt schon in der Qualifizierung des Wertmaßes als "gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit". Warum ist dies ein Problem? Weil nicht alle Arbeiten gleichermaßen wertproduzierend sind, so daß quantitativ betrachtet qualitativ wertschöpfendere Arbeit quantitativ als "multiplizierte einfache Arbeit" (MEW23:59) gelten, so daß in der gleichen Zeit unterschiedlich große Wertquanta produziert werden. Und wie wird nach Marx der Multiplikationsfaktor bestimmt, mit dem die einfache Arbeit multipliziert werden soll, um der wertschöpfenderen Arbeit gleich viel Wert zu sein? Wie Marx ausdrücklich sagt: nur über die Tauschverhältnisse auf dem Markt, d.h. "durch einen gesellschaftlichen Prozeß hinter dem Rücken der Produzenten" (MEW23:59). Die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit soll jedoch gerade die Tauschverhältnisse regeln. Dies ist offenbar eine Zirkularität, die die Marxisten seit jeher angeblich 'dialektisch' aufzulösen bestrebt sind. Wie wir sehen werden, entstammt diese Zirkularität einem grundlosen Spiegelspiel.]

Marx selber läßt den Widerspruch in seiner Fassung der Arbeitswertlehre stehen. Er löst ihn nicht auf, auch wenn er die schlichte Ricardo'sche Fassung der Arbeitswertlehre mit seiner Wertformanalyse ergänzt. "Die Wertform," sagt Marx, "deren fertige Gestalt die Geldform, ist sehr inhaltslos und einfach. Dennoch hat der Menschengeist sie seit mehr als 2000 Jahren vergeblich zu ergründen gesucht,..." (MEW23:11f) Die "2000 Jahre" sind ein Hinweis auf Aristoteles, der in seiner Nikomachischen Ethik die Wertform durchaus analysiert, aber die Arbeit als die Wertsubstanz nicht zu entdecken vermochte, angeblich "weil die griechische Gesellschaft auf der Sklavenarbeit beruhte", wie Marx schreibt (MEW23:74).

Schon der Ausdruck "Wertform", der das Wort "Form" enthält, stellt einen Hinweis auf den Umstand dar, daß wir es hier mit einer ontologischen Fragestellung zu tun haben. 'Form' ist eine Standardübersetzung vom griechischen i)de/a und ei)=doj, die beide eine maßgebliche Rolle in sowohl der Platonischen als auch der Aristotelischen Metaphysik spielen. Diese beiden Begriffe benennen das Sein des Seienden, d.h. den Anblick, den ein Seiendes als solches von sich zeigt. Was aber hier signifikant ist, ist, daß die Wertform in einem fundamentalen, universellen und einfachen gesellschaftlichen Prozeß — nämlich im tagtäglichen Austausch der Waren — angesiedelt ist, und deshalb als Phänomen die Möglichkeit enthält, einen Grundbegriff für eine Sozialontologie zu liefern, denn auf den Märkten haben Menschen auf praktische, handelnde Weise miteinander zu tun und sind dadurch auf alltägliche Weise 'assoziiert', d.h. vergesellschaftet.

Wenden wir uns einem sehr knappen Umriß der begifflichen Analyse der Wertform zu.
3. Spiegelspiel der Werte
Die Wertform entsteht erst durch ein Spiegelspiel. Die verschiedenen Wertformen — einfache, relative, äquivalente, entfaltete, allgemeine Wertform und die Geldform, — sind alle Tauschverhältnisse bzw. Momente derselben. Die eine Ware drückt ihren Wert in einer anderen Ware, in anderen Waren oder in Geld aus. Dieser "Wertausdruck" (MEW23:67) braucht laut Marx einen "Wertspiegel" (MEW23:72),(3) der durch die Ware oder das Geld in der Äquivalentform gegeben ist. Der Wert als abstrakt allgemeine Arbeit, behauptet Marx, drückt sich in einem "Wertverhältnis" (MEW23:66) aus, das ein Spiegelverhältnis ist. Marx nennt dieses Wertverhältnis auch eine "Reflexionsbestimmung" (MEW23:72), in der die eine Ware eine Wertform annimmt, nur weil die andere Ware diese Wertform widerspiegelt — und auch umgekehrt. Wir befinden uns also in der Spiegelhalle des Werts. Betrachten wir die Sache näher.

In erster Linie ist ein Arbeitsprodukt, das auf dem Markt als Ware angeboten wird, ein Gebrauchswert. Es ist wertvoll, weil es zu irgendeinem menschlichen Zweck brauchbar ist. [Es ist gut zu irgendeinem Zweck. ]Solche Zwecke entstehen und sind nur im Zusammenhang mit den Gebräuchen oder gewohnten Praktiken, in denen Menschen in Gesellschaft leben. Schuhe z.B. sind Gebrauchswerte, nur weil und insofern Menschen den Brauch haben, Schuhe zu tragen. Gebrauchswerte sind deshalb weder rein objektiv noch rein subjektiv, sondern subjekt-objektiv. Etwas ist nur objektiv zu einem bestimmten Zweck zu gebrauchen, wenn es gewisse Eigenschaften besitzt, und etwas ist nur wertvoll und nützlich, wenn menschliche Subjekte die entsprechenden Alltagspraktiken pflegen, in denen das betreffende Etwas gebraucht wird. In einer Gesellschaft z.B., in der Pferdewagen als Verkehrmittel nicht mehr gebraucht werden, d.h. diesen Brauch nicht mehr pflegen, haben Pferdewagen keinen Gebrauchswert (mehr).

Gebrauchswerte sind in der Regel nicht Gebrauchswerte nur für einen einzelnen Menschen[ bzw. nur für den Menschen, der den Gebrauchswert produziert hat]. Sie sind Gebrauchswerte-für-andere, indem sie auch von anderen Menschen gut gebraucht werden können. Dieser Umstand verleiht dem Gebrauchswert einen abgeleiteten Tauschwert. Gebrauchswerte können unter einander getauscht werden, weil jeder Gebrauchswert sich auch potentiell anbietet als ein Gebrauchswert-für-andere. In einer Marktgesellschaft wie der unseren werden Gebrauchswerte in der Regel für andere, für den Markt hergestellt, auf dem sie einen Tauschwert besitzen, in dem Sinn, daß sie die Kraft innehaben, sich gegen andere Gebrauchswerte in einem gewissen, meist schwankenden quantitativen Marktverhältnis auszutauschen. Wo das Geld sich als der allgemeine Vermittler des Warentausches etabliert hat, nennt sich das quantitative Tauschverhältnis gegen Geld der Preis einer Ware. Das Geld als Ding übernimmt die Rolle des Wertspiegels, der den Wert aller Waren reflektiert. Der Preis einer Ware kann real oder wirklich sein, wenn die Verkaufstransaktion vollzogen wird, oder aber ideal und potentiell, so lange die Ware nur zu einem bestimmten Preis angeboten wird, der nicht notwendig auf dem Markt tatsächlich erzielt wird. Durch das Geld steht jedes Warenprodukt in einem potentiellem Tauschverhältnis mit jeder anderen Ware, so daß man sagen kann, daß der Tauschwert ein allgemeines, abstraktes, gesellschaftliches Verhältnis ist, das alle Warenprodukte — und vermittelt durch die Produkte, auch die unzähligen verschiedenen konkreten Arbeiten, die sie produziert haben — miteinander abstrakt-allgemein assoziiert. [Dieses geldvermittelte Sozialverhältnis ist abstrakt, weil alle Waren durch ihre verschiedenen, meist schwankenden Preise dem Geld gleichgesetzt sind, und das Geld ist ein qualitätsloses, d.h. abstraktes Medium, das nur quantitative Wertunterscheidungen zuläßt. Der Tauschwert drückt sich nur quantitativ in einem Preis aus. ]Das Geld dient als quantitativer Wertspiegel für den Wert einer jeweiligen Ware, und vermittelt durch das Geld dient jede Ware als Wertspiegel, quantitativ sowie qualitativ, für jede andere Ware.

Kontra Marx läßt sich jedoch nicht behaupten, daß der Tauschwert in Geld oder anderen Waren nur ausgedrückt wird in dem Sinn, daß eine bestimmte Menge geleistete Arbeit, die nun im Arbeitsprodukt steckt, das Tauschverhältnis quantitativ regelt. Vielmehr sind die unzähligen Warentauschverhältnisse in einer Marktwirtschaft ein Spiegelspiel, in dem jede Ware als Wertspiegel der anderen dient und jede Ware erst im Wertspiegel der anderen Waren sieht, was sie wert ist. Erst im vollzogenen Tauschverhältnis stellt sich heraus, daß und inwiefern eine Ware wert ist und zwar durch die Anerkennung ihres Werts im Durchgang durch den Wertspiegel der anderen Waren bzw. im Geld. Es nützt nichts, daß geleistete Arbeit[, sogar mit den jeweils herrschenden Produktionsverfahren geleistete Arbeit] in einem nützlichen Arbeitsprodukt steckt, wenn der Markt dieses Arbeitsprodukt faktisch nicht anerkennt als einen Wert und ihm die Wertspiegelung verwehrt. Es sind die jeweils herrschenden und immer schwankenden Marktbedingungen, die die Wertanerkennung gewähren oder vorenthalten bis hin zur völligen Verweigerung, die angebotene Ware als wertvoll anzuerkennen.

Damit ist der kausale Zusammhang zwischen der Produktion einer Ware und ihrer Anerkennung als Wert durchgeschnitten. Der Wert zeitigt sich in einem Spiegelspiel der Anerkennung unter den Waren selbst auf dem Markt. Er wird nicht produziert, so wie eine Ware als Gebrauchswert technisch präzise und berechenbar hergestellt wird, und auch die Arbeit, die die Ware herstellt, schafft keinen Wert. Der Wert, den eine Ware darstellt, kann nicht durch die geleistete Arbeit, die sie verkörpert, im voraus berechnet werden. Der Wert läßt sich überhaupt nicht herstellen und er läßt sich nur nach Erfahrungsregeln und nicht von einem Prinzip her quantitativ voraussagen. Vielmehr verhält sich die Sache umgekehrt: Die Arbeit, die die Ware produziert, wird erst im Spiegelspiel des Werts als wertvoll auf dem Markt faktisch anerkannt. Der Wert hat keine Substanz, sondern als gesellschafliche Kategorie kommt er erst in einem gesellschaftlichen Reflexionsverhältnis, d.h. erst in einer Vergesellschaftung der Ware als Ware im Spiegel der anderen Waren, zustande. Das Wertsein selbst ist ein Wertverhältnis. Deshalb ist der Wertbegriff ein Grundbegriff einer sozialen Ontologie, d.h. einer Lehre des gesellschaftlichen Seins der Menschen. [Die Kategorien einer sozialen Ontologie sind Reflexionsbestimmungen, in denen sowohl die Dinge als auch die Menschen in einem Spiegelverhältnis zueinander stehen. Darüber hinaus ist der Wert als Kategorie eines gesellschaftlichen Anerkennungsspiels eine Idee, und insofern ist es unsinnig, eine Gesellschaft, in der es um die Schätzung von Werten in einem Marktgeschehen geht, 'materialistisch' zu nennen.

Die Verhältnisse unter den Menschen sind ein Spiel, weil jeder individuelle Mensch als freies Wesen der grundlose Ausgang oder Ursprung seiner eigenen Selbstbewegungen ist, so daß, wenn Menschen zusammenkommen, es immer ein Zusammentreffen von zwei oder mehr Grundlosigkeiten ist, was eben ein grundloses Wechselspiel in Gang bringt. ]Das Spiegelspiel, in dem sich der Wert zeitigt, ist als Spiel grundlos und läßt sich nicht kausal, nicht einmal als komplizierte kausale Wechselwirkung bestimmen bzw. ausrechnen, weder empirisch noch im Prinzip. Das Wertspiegelspiel ist deshalb zwar ein Wechselspiel aber keine Wechselwirkung. Die Ware als Wert existiert, oder vielmehr schwebt in der Differenz zwischen Objekt und Subjekt, zwischen der Realität und der Idealität der Ware. Als ein Reales ist die Ware ein endliches Ding mit bestimmten Qualitäten und Eigenschaften. Als ein Ideales ist die Ware entworfen als Gebrauchswert innerhalb eines menschlichen Entwurfs. Im Tauschgeschehen auf dem Markt sind diese beiden Wesensmomente der Ware in einem unkalkulierbaren Wechselspiel miteinander verschränkt. Deshalb liegt auch eine ontologische Kluft zwischen der Wirtschaftswissenschaft und den Naturwissenschaften.

[Der Kern der Wahrheit in der Marxschen Arbeitswertlehre ist, daß in einer Marktgesellschaft die menschliche Arbeit — zuächst vermittelt durch die Arbeitsprodukte, die diese Arbeit verkörpern — in Geld abstrakt-allgemein als wertvoll anerkannt wird. Das Marktgeschehen selbst bewertet die Waren und die Arbeit, die sie verkörpern. Das Geld selbst als Ding ist in Wahrheit ein verdinglichtes gesellschaftliches Verhältnis bzw. eine Reflexionsbestimmung, da es ist, was es ist, nur durch die vermittelnde Rolle, die es im Spiegelspiel des Werts spielt, und nur solange die Waren das Geld erkennen als das, worin sie ihren Wert spiegeln. Der Wert als eine abstrakt-allgemeine und auch im Geld verdinglichte Kategorie assoziiert auch die menschliche Arbeiten als wertvoll auf abstrakt-allgemeine, verdinglichte Weise gerade durch das Spiegelspiel auf dem Markt. ]

4. Vergesellschaftung als Wechselspiel der Kräfte
Jetzt mit dem Wertbegriff als einem genuin sozialontologischen Begriff ausgestattet sind wir in der Lage, ein paar Schritte auf dem Terrain einer Sozialontologie zu tun. Zunächst kann sich der Weg fortsetzen durch eine Marxsche Landschaft. Bisher haben wir nur das Wertsein von Waren, die Arbeitsprodukte sind, betrachtet. Arbeitsprodukte als Gebrauchswerte haben das Potential, im Gebrauch brauchbar zu sein und haben insofern eine Kraft. Gebrauchswerte sind Gebrauchskräfte. Sie können gebraucht werden. Insofern ist das Spiegelspiel der Warenwerte auf dem Markt ein Kräftespiel aber nicht, indem die in den Waren innewohnenden Gebrauchskräfte auf dem Markt verwirklicht werden, sondern nur indem sie ideel von potentiellen Käufern — in einem Kräftespiegelspiel reflektiert — gesehen, eingeschätzt und geschätzt werden. Die Warenprodukte, die Konsum- oder Produktionsgüter sein können, zeigen sich auf dem Markt als die Träger von brauchbaren Qualitäten, die potentielle Käufer zum Kauf verlocken sollten. Sie stellen sich ideel als wertvoll dar und zu diesem Zweck stellen sie ihre Vorzüge zur Schau. Das Spiegelspiel der Werte ist daher auch eine Zurschaustellung von brauchbaren und manchmal verlockenden Kräften, die die Waren vorgeben zu besitzen.

Bekanntlich jedoch gibt es nicht nur Arbeitsprodukte, und nicht einmal alle Arbeitsprodukte sind dinglich — Dienstleistungsprodukte sind genauso Warenwerte [wie handgreifliche Warendinge ]und auch sie nehmen teil am Spiegelspiel der Warenwerte. Zudem umfaßt die Welt der käuflichen Waren auch die Arbeitskraft, die Erdoberfläche sowie das Geld selbst. Verpachteter Grund und Boden wirft eine Grundrente ab, und geliehenes Geld Zinsen. Die dem Arbeiter innewohnende Arbeitskraft wird einem sogenannten 'Arbeitgeber' geliehen, der die Arbeitskraft dann ins Werk setzt, d.h. verwirklicht als ausgeführte Arbeit. Arbeitskraft, Boden und Produktionsmittel werden die drei Produktionsfaktoren genannt, und nur durch ihr Zusammenwirken kommt ein Arbeitsprozeß zustande. Das Produkt, das in diesem Arbeitsprozeß entsteht, wird verkauft, d.h. als ein Wert honoriert, und dadurch werden die in den Produktionsfaktoren innewohnenden Produktivkräfte auch indirekt anerkannt als zum Endwarenwert beitragend. Umso mehr ist es unsinnig zu behaupten, daß der Wert einer Ware allein durch die Arbeitszeit, in der Arbeitskraft im Produktionsprozeß verausgabt wird, gemessen werden könnte[, denn verschiedene und vor allem produktivere Produktionsmittel bedeuten auch qualitativ verschiedene Arbeiten und deshalb auch ein quantitativ verschiedenes Ausmaß an Wertanerkennung im Geld].

Mit der Erweiterung des Kreises des Käuflichen auf beinahe alles Seiende in der Welt — Dinge sowie Menschen bzw. deren unterschiedliche Fähigkeiten und andere Qualitäten wie z.B. gesellschaftlicher Status — hat die Warenwelt ihre möglichst große Ausdehnung erfahren. Alles spiegelt seinen Wert im abstrakt-allgemeinen Wertspiegel des Geldes. Alles kann wie Alice durch den Spiegel des Geldes schlüpfen und sich in alles Mögliche verwandeln. Die Zauberkraft des Geldes als Wertding, worin Alles sich wertmäßig spiegelt, ermöglicht dies.

Aber es gibt noch eine weitere Spielart des Werts, in der der Wertspiegel des Geldes selbst anfängt zu tanzen, und das ist die Selbstbewegung des Werts als Kapital. Indem der in Geld dinglich kristallisierte Wert selbst sich in Bewegung setzt, mobilisiert er alles Andere, nämlich die Produktionsfaktoren in einem Produktionsprozeß. Als Kapital bewegt sich der Wert in einer Kreisbewegung von Geldkapital durch Produktion und zurück zum Geldkapital. Eine solche Bewegung hat nur einen Sinn, sofern das Geldkapital, das am Anfang des Kreislaufs vorgeschossen wird, sich vom Geldkapital, das am Ende des Kreislaufs steht, unterscheidet. Da aber das Geld ein abstrakt-allgemeines Medium ist, unterscheidet es sich in sich nur quantitativ. [Das Quantitative ist ja die Abstraktion von jeder Bestimmtheit des Qualitativen.] Die Kreisbewegung des Werts muß deshalb eine sein von Geld zu mehr Geld; der Wert muß sich im Kapitalkreislauf vermehren, damit sich die Kreisbewegung nicht zerstört durch eine allmähliche Wertvernichtung des eingesetzten Kapitals. Das Kapital setzt also — unter der Regie eines einzelnen Unternehmers oder eines kollektiven Unternehmers genannt Management — ein Zusammenspiel der Produktionsfaktoren in Bewegung, das zugleich ein komplexes Spiegelspiel des Werts ist, sofern die vielen verschiedenen Produktionsfaktoren (Arbeitskräfte, Produktionsmittel, Boden) eingekauft bzw. angemietet werden müssen, und das Endprodukt dann auch verkauft werden muß, und all das unter der Grundbedingung, daß am Schluß das Spielergebnis so dasteht, daß der eingesetzte Kapitalwert sich vermehrt hat. [Mehrfach müssen sich die unterschiedlichen Waren dem Risiko der Wertspiegelung und -anerkennung auf dem Markt aussetzen, damit das umfassende Kreisspiel der Selbstverwertung des Werts insgesamt gelingt.

Die Produktivkräfte der verschiedenen Produktionsfaktoren, die das Kapital im Produktionsprozeß in Bewegung und ins Werk setzt, können technisch planbar und genau eingesetzt und gesteuert werden, so daß mit voller Vorausberechenbarkeit das jeweilige Produkt hergestellt wird, aber sämtliche Schnittstellen zum Markt bzw. zu Anderen bleiben den Schwankungen des Wertspiegelspiels ausgesetzt. Ob es dem Kapital überall gelingt, das Spiegelspiel der Verwertung des Werts erfolgreich zu spielen, ist nicht planbar, nicht kalkulierbar. Alle Wertparameter der Kreisbewegung bleiben dem Spiegelspiel selbst ausgesetzt, so daß es darauf ankommt, möglichst gut zu spielen, aber ohne Erfolgsgarantie. Fehler in der Einschätzung des künftigen Verlaufs des Wertspiegelspiels müssen möglichst rasch korrigiert werden, um die Spielstrategie möglichst auf Erfolgskurs zurückzubringen. ]

Wenn der Austauschprozeß auf dem Markt einschließlich des Marktes für Arbeitskräfte allein vom Standpunkt der menschlichen Teilnehmer betrachtet wird, dann erscheint das Marktgeschehen als ein Wertspiegelspiel, in dem menschliche Kräfte, Vermögen, Fähigkeiten entweder direkt oder indirekt als wertvoll anerkannt, honoriert und in dem Sinne 'geehrt' werden. Ein Arbeiter in diesem fundamental sozio-ontologischen Sinn ist nicht unbedingt einer, der in einer Fabrik arbeitet, sondern jeder, der Fähigkeiten welcher Art auch immer besitzt und sie gegen Geld, sei es Lohn oder Gehalt oder Honorar oder Servicegebühr etc., zur Verfügung stellt. Wir alle, die wir in einer Marktwirtschaft leben, spielen mit im Spiegelspiel der Werte, indem wir unsere Arbeitskraft in Geld honorieren lassen. Solche Wertanerkennung und Honorierung der Arbeitskraft umfaßt hier grundsätzlich auch defiziente Modi derselben, so daß selbst der Arbeitslose eine defiziente Wertanerkennung seiner Arbeitsfähigkeiten genießt oder vielmehr erleidet.

In erster Linie sind es unsere Fähigkeiten, die im Spiegelspiel des Werts eingeschätzt und monetär anerkannt werden, und nur in zweiter Linie unser gesellschaftlicher Status und Vermögensstand[, den wir durch unsere Fähigkeiten oder vielleicht durch die Fähigkeiten unserer Vorfahren im Erwerbsspiel erreicht haben]. Unser gesellschaftlicher Status als Blendwerk unseres [im etymologischen Sinn genommenen ]Prestiges(4) ist auch oft nur der Widerschein der Geldanerkennung unserer Fähigkeiten oder unseres akkumulierten Vermögens. Die Wertanerkennung unserer Fähigkeiten ist selbst ein Teilspiel des Spiegelspiels des Werts und läuft auf einen Kampf der Anerkennung hinaus. Es kommt darauf an, nicht nur Fähigkeiten genuin zu entwickeln und zu besitzen, sondern diese Fähigkeiten im Spiegelspiel des Marktes möglichst scheinen und so honorieren zu lassen. Die persönlichen Fähigkeiten müssen sich zeigen, sie müssen zur Selbstdarstellung gebracht werden, nur so kommen sie in den Genuß einer Reflexion im Wertspiegel des Geldes. Wer einer ist gesellschaftlich, ist eine Sache nicht nur der Fähigkeiten, die er ausgebildet hat und besitzt, sondern auch deren Widerspiegelung in Anerkennungsverhältnissen mit anderen. Die Achtung und Anerkennung durch andere, die man genießt oder nicht genießt, macht das Wersein mit aus, und insofern ist das Wersein ein gesellschaftliches Werverhältnis als Werspiegelspiel,(5) genauso wie das Wertsein ein gesellschaftliches Wertverhältnis als Wertspiegelspiel ist.

Die eigenen Fähigkeiten müssen nicht nur zum Scheinen gebracht werden[ in einer Selbstdarstellung, um einen Stand im Spiegelverhältnis der Anerkennung zu genießen], sondern sie müssen unausweichlich zu einem Mehrscheinen kommen gegenüber dem Scheinen der Fähigkeiten vergleichbarer Anderen, um überhaupt zu glänzen. Persönliche Fähigkeiten sind eine Art Macht, nämlich die Macht, eine Änderung, welcher Art auch immer, in der Welt hervorzubringen, wie z.B. ein Komiker die Macht besitzt, Menschen zum Lachen zu bringen. Das Bestreben, die eigenen Fähigkeiten zum Scheinen zu bringen, um in den Genuß der Anerkennung anderer und speziell in den Genuß der Geldwertanerkennung zu kommen, ist deshalb ein Machtspiel gegen andere, eine Rivalität, um die eigenen Vorzüge möglichst glänzen zu lassen. [Dieses Machtspiel wird teils anonym über den Markt und teils persönlich gegen bekannte Rivalen ausgespielt. Wie jedes Spiel einschließlich des Wertspiels ist das Machtspiel der persönlichen Fähigkeiten, um möglichst glänzend als Wer dazustehen, grundlos, sofern viele verschiedene Machtzentren gegen- und miteinander ins Spiel kommen. Selbst wo ein Ethos der Solidarität in einer Gruppe herrscht, hat diese Solidarität stets ihre Grenze in der Rivalität gegenüber einer anderen, konkurrierenden Gruppe. ]

Selbst bei der Wertanerkennung auf dem Markt von Waren, die Gebrauchswerte sind, ist die Macht im Spiel, sofern ein Gebrauchswert eine Kraft, und in dem Sinn eine Macht besitzt, irgendeine nützliche Änderung hervorzubringen, wie z.B. Schuhcreme die Kraft besitzt, die Farbe von Schuhen zu ändern bzw. zu verbessern. Solche Waren müssen sich auch auf dem Markt gegen Konkurrenzprodukte darstellen als die Träger von nützlichen und nützlicheren Kräften, um überhaupt als solche anerkannt zu werden und damit einen Wert, einen Preis erzielen zu können. Es gibt also auch ein Machtspiel und eine Rivalität unter den Waren selbst, um möglichst viel Wertanerkennung im Geldspiegel zu erhalten. Ähnliches gilt auch für die Produktionsfaktoren. Insgesamt können wir deshalb sagen, daß das Spiegelspiel des Werts auf dem Markt überhaupt in seinen vielen verschiedenen Segmenten und Facetten ein Machtspiel ist[, in dem es darum geht, Kräfte und Fähigkeiten als möglichst wertvoll gegenüber anderen anerkennen zu lassen]. Gesellschaft überhaupt ist ein Machtphänomen und ein Machtspiel um die wertschätzenden Anerkennung.

5. Zivilgesellschaft als faires Kampfspiel um die Wertanerkennung
Ist es jedoch nicht beklagenswert, daß Macht und Rivalität zum Wesenskern von dem, was Gesellschaft heißt, gehören? Hat nicht schon Marx die Verdinglichung und Entfremdung in einer Gesellschaftsform, die durch Wertdinge — vor allem durch das Geld und das Kapital — vermittelt ist, angeklagt und eine Überwindung derselben gefordert? Soll nicht Gesellschaft höhere Werte haben als die Werte, die in einem kleinlichen Ringen um Anerkennung auf dem Markt unter Dingen und Menschen zustande kommen? Ist nicht die durch Geld vermittelte Gesellschaft eine egoistische Gesellschaft, die es gilt, in eine Gesellschaft der Solidarität und des Miteinanders aufzuheben? Soll nicht der Staat einschreiten, um diesem Machtspiel aller gegen alle Einhalt zu gebieten und das gesellschaftliche Miteinander in sozialere Bahnen zu lenken?

Es hat eine eigene Bewandtnis mit dem Sollen. Das Sollen ist ohnmächtig gegenüber dem, was in einem wesenhaften Sinn ist. Freilich ist das bloß Faktische niemals wesenthaft, niemals wahr, sondern höchstens richtig und kann deshalb von einem geforderten Sollen berichtigt werden, aber das Sollen muß dem Wesen entsprechen und darf nicht gegen es sprechen, wenn es nicht abprallen will. Insbesondere bringt der Ruf nach dem Staat, um etwa eine abgesichertere oder solidarischere Gesellschaft einzurichten, lediglich nur noch eine Macht mehr — nämlich die politische Macht — ins gesellschaftliche Machtspiel und schafft keineswegs das Machtspiel aller gegen alle ab, sondern verändert bloß das Medium — nämlich die Politik im weitesten Sinn —, in dem dieses Machtspiel ausgetragen und ausgefochten wird. Alle gesellschaftliche Macht einschließlich der politischen ist wesenhaft ein Spiegelspiel der Anerkennung. Insofern bringt die Forderung, das Spiegelspiel der Wertanerkennung im Marktgeschehen um der sogenannten 'sozialen Sicherheit' willen außer Gefecht zu setzen bzw. es durch politische Machtausübung zu lenken, lediglich eine weitere, letztendlich auch unkalkulierbare gesellschaftliche Macht ins Machtspiel. Und dieses Machtspiel ist genauso geprägt durch die Spannung zwischen Besonderheit und Allgemeinheit, Selbstinteresse und Allgemeinwohl.

Das Spiegelspiel der Anerkennung als Werte unter den Dingen und den Menschen rührt daher, daß Gesellschaft als ein Miteinanderleben überhaupt ein Anerkennungsprozeß ist, und was in diesem Anerkennungsprozeß anerkannt wird, sind vor allem die nützlichen Kräfte der Dinge und die Fähigkeiten der Menschen. Dinge und Menschen taugen zu etwas, und diese Tauglichkeit wird von anderen im gesellschaftlichen Verkehr eingeschätzt, geschätzt, bewertet und anerkannt. Deshalb präsentieren sich die Waren und die Menschen auf dem Markt von ihrer besten Seite. Sie streben nach Anerkennung von anderen und bieten deshalb etwas an. Sie zeigen, was sie können. Auch wenn sie Geld dafür verlangen, der vereinbarte Tausch ist in der Regel gegenseitig gewollt und befriedigend. Beide Seiten haben etwas davon. Von einem 'puren Egoismus' im Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Marktgeschehen zu reden, ist deshalb insofern phänomenologisch unhaltbar, als der Andere in dieses Wertspiegelspiel wesentlich einbezogen ist und sein muß, so daß die Negation des Egoismus, nämlich der Altruismus, immer mit im Spiel ist. Die Gegenseitigkeit des Tauschspiels ist bereits die Aufhebung des bloßen einseitigen Egoismus oder des bloßen einseitigen Altruismus, und es könnte keine Gesellschaft bestehen, die rein auf dem Egoismus oder aber auf dem Altruismus beruhte. Sofern es die menschlichen Teilnehmer betrifft, bewegt sich die Wirtschaft durch das, was Menschen gegenseitig selbstinteressiert durch die Verwirklichung ihrer Fähigkeiten füreinander tun können. Insbesondere bedeutet dies, daß es keine ökonomische Wachstumgrenze gibt dafür, was Menschen kraft ihrer Fähigkeiten sich gegenseitig anzubieten haben.

Darüber hinaus ist das Gegeneinander auf dem Markt immer ergänzt durch ein Miteinander in der Produktion und sonstwo im Geschäftsleben, da keiner ohne die Kooperation mit Anderen irgendetwas zustande bringen könnte. Das Negative des Gegeneinander ist also notwendig durch das Positive des Miteinander ausgewogen und mit ihm verflochten. Aber noch mehr: das Negative des Gegeneinander ist selbst positiv, sofern es die Entwicklung und Verfestigung der eigenen Fähigkeiten fördert. Zudem liegt im Wertspiegelspiel untereinander auch die gegenseitige Anerkennung, Achtung und Ehrung der Person im allgemeinen sowie die Einschätzung und Schätzung ihrer individuellen Fähigkeiten im besonderen. Jeder kommt zu Stand, als wer er ist, nicht ohne sich selbst auch im Spiegel der Anerkennung durch Andere zu erkennen. Auch die Selbständigkeit ist eine Reflexionsbestimmung im Wechselspiel mit der Welt und vor allem mit Anderen in der Welt.

Außerdem übersieht die Klage über die Entfremdung und die Verdinglichung der gesellschaftlichen Verhältnisse in einer kapitalistischen Marktgesellschaft, daß es genau dieses abstrakte, dinglich vermittelte Miteinander ist, das die Menschen als Individuen freiläßt und sie so zum ersten Mal geschichtlich als Individuen entwirft, selbst wenn — oder vielmehr gerade weil — es sie mit Gleichgültigkeit in einen Freiraum entläßt. Abstrakte, dinglich vermittelte Vergesellschaftung eröffnet Menschen die Freiheit, sich als Individuen über vielfältige mögliche selbstgewählte Weisen ins Gesellschaftsgeschehen einbinden zu lassen.(6) Gerade die Abstraktheit, Einfachheit und Gleichgültigkeit des Geldes als Vermittlungsglied von Gesellschaft öffnen einen abstrakten Raum der Selbstgestaltung, lösen dadurch traditionelle Bindungen durch Autorität, Tradition, familiäre, geschlechtliche und stammesmäßige Machtstrukturen auf und setzen damit individuelle Frauen und Männer als Einzelne frei zur Selbstwerdung ohne die Vorbelastung ungeprüfter und so gedankenlos übernommener Bindungen. Die menschliche Freiheit ist nur als individuelle Freiheit, d.h. nicht ohne sie, gleichgültig ob der Mensch im Einzelfall sie verkraftet oder nicht. In den abstrakten Raum geldvermittelter Vergesellschaftung lassen sich in vielfältiger Weise Selbstentwurf und Selbstdefinition des Individuums einzeichnen.

Das praktizierte Ethos einer derartigen Zivilgesellschaft von freigesetzten, sich selbst definierenden Individuen im Wertspiegelspiel miteinander ist deshalb die Zivilität: das Ethos des gegenseitigen Wortgebens und -haltens, des gegenseitigen Vertrauens, der Fairneß, der Höflichkeit, sogar der Freundlichkeit. Dieses Ethos oder diese Sittlichkeit gehört mit zum Wertspiegelspiel, in dem jeder Spieler auch gegen andere bestrebt ist, seine Fähigkeiten anerkennen zu lassen, sie zum Scheinen zu bringen nicht nur im Geldspiegel, sondern auch in den Augen Anderer. Die anderen Spieler werden abstrakt-allgemein und deshalb gleich-gültig als Personen anerkannt, indem jeder Spieler sich an die allgemein gültigen Spielregeln der Fairneß hält. Im konkreten Umgang miteinander muß zudem die gegenseitige Anerkennung auch konkreter werden, indem die besonderen Fähigkeiten des Anderen nach bestimmten Gebräuchen der Höflichkeit wertgeschätzt werden. Vor allem jedoch muß das Vertrauen untereinander genährt werden durch das gegenseitige Wortgeben und -halten, denn die Bewegung der Zivilgesellschaft würde ohne das Vertrauenselement ins Stocken geraten. Das englische Wort 'fairness' kommt von 'fair', was auch 'schön' heißt, wie man auch auf Deutsch sagt, eine Sache sei "schön und recht".(7) Dies deutet darauf hin, daß das Wertspiegelspiel, auch wenn es mitunter ein hartes Gegeneinander ist, gerade wegen aller Unberechenbarkeit auch schön sein kann. Denn das Lebenselement gesellschaftlicher Freiheit — als wesentlich vergesellschafteter individueller Freiheit — ist dieses Spiel, das wie jedes Spiel wesenhaft grundlos ist.(8)




Anmerkungen
1. Zuerst am 22. Januar 2007 im Philosophischen Café Wuppertal vorgetragen. Passagen in eckigen Klammern [ ] wurden beim Vortrag ausgelassen. Der Vortrag stellt dar, wie nach 25 Jahren durch ein erneutes Durchdenken der Wertform die Rekonstruktion der Kapitalanalyse wieder in einem anderen Licht — im Licht eines sozio-ontologischen Grundbegriffs des Spiegelspiels — erscheint. Vgl. den Anhang 'A Value-Form Analytic Reconstruction of Capital' von Michael Eldred, Marnie Hanlon, Lucia Kleiber & Mike Roth in M. Eldred Critique of Competitive Freedom and the Bourgeois-Democratic State Kurasje, Copenhagen 1984. Vgl. auch M. Eldred Kapital und Technik: Marx und Heidegger Verlag J.H. Röll, Dettelbach 2000.

2. "Im Vorbeigehen" bedeutet hier, daß Böhm-Bawerk in Zum Abschluß des Marxschen Systems en passant in Frage stellt, warum die (abstrakt-allgemeine) Arbeit die Wertsubstanz ausmachen sollte (etwa im Gegenentwurf zu einer Grenznutzenlehre), aber dann seine Kritik darauf fokussiert, das sogenannte Transformationsproblem zwischen 'Arbeitswertpreisen' und Produktionspreisen als Problem einer quantitativen Preistheorie ins Visier zu nehmen. Wenn jedoch es keine Wertsubstanz überhaupt gibt (weil der Wert ein Wertspiegelverhältnis ist), dann gibt es auch überhaupt kein Transformationsproblem. Vgl. meinen Aufsatz 'Exchange, Value, Justice – Aristotle, Adam Smith,Karl Marx'.

3. "Es ist mit solchen Reflexionsbestimmungen überhaupt ein eigenes Ding. Dieser Mensch ist z.B. nur König, weil sich andre Menschen als Untertanen zu ihm verhalten. Sie glauben umgekehrt Untertanenen zu sein, weil er König ist." Das Kapital Bd. I Marx-Engels Werke Dietz Verlag, Berlin 1962/75 Bd. 23 p. 72 = MEW23:72 Fußnote 21.

4. OED: ad. L. præstigium a delusion, illusion, usually in pl. præstigiæ, illusions, juggler's tricks, for *præstrigium f. præstringere to bind fast (præstringere oculos to blindfold, hence, to dazzle the eyes.

5. Zum Wersein vgl. M. Eldred Phänomenologie der Männlichkeit als Wersein: kaum ständig noch Verlag Dr. Josef H. Röll, Dettelbach 1999.

6. "Wenn also die ökonomische Form, der Austausch, nach allen Seiten hin die Gleichheit der Subjekte setzt, so der Inhalt, der Stoff, individueller sowohl wie sachlicher, der zum Austausch treibt, die Freiheit. Gleichheit und Freiheit sind also nicht nur respektiert im Austausch, der auf Tauschwerten beruht, sondern der Austrausch von Tauschwerten ist die produktive, reale Basis aller Gleichheit und Freiheit. Als reine Ideen sind sie bloß idealisierte Ausdrücke desselben; als entwickelt in juristischen, politischen, sozialen Beziehungen sind sie nur diese Basis in einer andren Potenz." Karl Marx Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie Dietz, Berlin 1974 S. 156.

7. "...daß sich etwas schöne und recht verhält" G.W.F. Hegel Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I Werke Band 18, Suhrkamp, Frankfurt/M. 1971 VGPI:385.

8. [Ausblick: Das Ethos der Fairneß, wenn auch kongeniales sittliches Lebenselement der wertspielvermittelten Gesellschaft, reicht freilich nicht aus, um das Spiegelspiel des Werts innerhalb der Bahnen eines fairen Spiels zu halten. Wegen des Moments des Gegeneinanders wird ein faires, schönes Spiel zuweilen unfair, häßlich. Es entsteht ein Streit darüber, wer eigentlich Recht hat. Dies kann daran liegen, daß Regeln des fairen Spiels gebrochen werden oder aber daran, daß die Spielregeln selbst unfair sind oder beides. So sind ein Schiedsrichter und ein Richter vonnöten. Der Schiedsrichter richtet über eine umstrittene Auslegung der Spielregeln — im zivilen Recht —, während der Richter die Spielregeln wieder herrichtet, wenn sie mißachtet werden, und dies ist das Strafrecht. Beide Funktionen übernimmt der Staat als die überlegene — und als solche in einem Reflexionsverhältnis anerkannte — gesellschaftliche Macht. Zudem können die Spielregeln selbst unfair sein, und dies ist die naturrechtliche Grundfrage der Gerechtigkeit. Durch Gesetz und Vorschrift ist der Staat gefordert, die Spielregeln so zu setzen, daß sie der Idee eines fairen Spiels entsprechen. So begriffen greift der Staat bei all den genannten Funktionen nicht ins Spielgeschehen ein, um bestimmte Ergebnisse zu erzwingen, sondern beschränkt sich darauf, das Spiel fair und schön zu halten, selbst wenn es hart wird und nie gegen Risiko abgesichert werden kann, es sei denn, daß die Bürger ihre individuelle Freiheit gern gegen Sicherheit unter staatlicher Herrschaft eintauschen und in dem Maße aufhören, freie Spieler zu sein. ]








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