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im Blick zurück
Der bielefeld/ZG kollege IG blickt im juli 2011 zurück und hat MiR angesteckt …
IG in einem mail an seinen bielefelder diskussionskreis, aus dem ihm ein bericht, ausgelöst von der veranstaltung MARX IS MUSS juni 2011 berlin, geschickt wurde (auszug):
„ … Bei mir hat der Text zahlreiche Erinnerungen geweckt, z. T. persönlicher Natur. Auf seiner Grundlage sehe ich mich in der Lage, vielleicht etwas dazu sagen, wohin ich selbst gehöre, allgemein und speziell im Hinblick auf verschiedene Richtungen der wissenschaftlichen Befassung mit Marx in Deutschland der 70er Jahre des 20. Jhts. ...
...Auch in Erlangen hörte ich nicht damit auf, an der Universität dies und jenes zu treiben. Aber ich gewann dort Zugang zu einem festen Kreis von Personen und verstand einiges von dem, was sie bewegt. Es würde mich verlegen machen, wenn ich jetzt das Wissen ausbreiten müsste, das ich mir in Erlangen dabei aneignete (glücklicherweise erwartest Du das ganz sicher nicht von mir), dafür glaube ich in meinem Denken davon geprägt zu sein, eine Zeitlang einem bestimmten Kreis von philosophisch Denkenden Menschen angehört zu haben. Ich kann das insofern verallgemeinern, als ich für mein Leben sagen kann: für den geistigen Gewinn war stets der lebendige Zusammenhalt einer Gruppe oder eine Freundschaft oder am besten beides gleichzeitig unersetzlich. Das gilt insbesondere auch für meine Konstanzer Zeit.
1971 trat ich eine Stelle am Philosophischen Seminar der Universität Konstanz an. Es war eine Assistenz bei Jürgen Mittelstraß, der kurz zuvor als „Erlanger“ nach Konstanz berufen worden war. Zwei „Erlanger“ fand ich in Konstanz vor, nach und nach kamen auch noch andere hinzu, so dass wir schließlich insgesamt fünf waren, die am Philosophischen Seminar der Universität Konstanz ihre akademische Laufbahn begannen oder fortsetzten. Allerdings ging schon sehr bald ein Riss durch diese Gruppe, mit dem sich ein Prozess fortsetzte, der als Auswirkung der Studentenbewegung bereits in Erlangen begonnen hatte und sich in Konstanz freilich nicht auf die aus Erlangen Gekommenen beschränkte.
Der Hintergrund war: einige von uns, darunter zunehmend auch ich, gerieten unter den Einfluss der Studentenbewegung in der Weise, dass zum einen die marxistische Theorie, so wie sie im „Kapital“ sich darbot, Gegenstand unserer wissenschaftlichen Arbeit wurde und zum anderen wir Marxisten auch im Sinne unserer politischen Orientierung wurden, was heißen soll, dass wir unser Tun als einen direkten Beitrag zur Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse verstanden. In diesem breiteren Kontext wurden wir zu einem Teil jener wissenschaftlichen Strömung, die in dem Deiner Zusammenstellung zugrunde liegenden Text von Ingo Elbe als die „Neue Marx-Lektüre“ bezeichnet wird.1
Wenn man das an Personen und persönlichen Kontakten festmachen will, so kann ich die Namen beider Gründer nennen: Helmut Reichelt und Hans-Georg Backhaus. Reichelt (um zunächst auf ihn einzugehen, auf Backhaus gehe ich später ein) war unmittelbar vor seiner Berufung nach Bremen noch eine zeitlang in Konstanz. In dieser Zeit war einer der „Erlanger“, Volkbert M. Roth mit ihm in Berührung gekommen und wurde dann ... mehrere Jahrzehnte lang die zentrale Figur eines Konstanzer Kreises, in dem „Das Kapital“ im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Arbeit stand.
Als ich selbst nach Konstanz kam, war Reichelt bereits nach Bremen gegangen. Mit Roth war ich befreundet und das bin ich auch heute noch. Ich weiß nicht, wie ich meine anfängliche Konstanzer Zeit überstanden hätte, wenn ich mich persönlich nicht auf ihn gestützt hätte. Ich weiß ebenfalls nicht, wie ich – wenn ich mir damals auch einbildete, eine gewisse Kenntnis der Lehre von Marx zu besitzen – den Zugang zu einer ernsthaften Beschäftigung mit dem „Kapital“ gewonnen hätte, wenn ich mich bei meinen ersten (und auch zweiten und dritten) Schritten damals auch in dieser Hinsicht nicht auf ihn gestützt hätte.
Roth organisierte Forschungsprojekte und ob formell oder auch informell bildete sich um ihn herum immer wieder ein Kreis von Studenten und wissenschaftlichen Mitarbeitern der Universität, den ich hier als den „Konstanzer Kreis“ bezeichne. Einige Arbeiten aus einem ersten Projekt, an dem ich kaum teilnahm, wurden bereits Anfang der siebziger Jahre bei Suhrkamp publiziert (Autoren: Roth, Dirk von Holt, Ursula Pasero – vielleicht die wichtigste publizistische Spur des Kreises)2. Meine Mitwirkung in dem Kreis erreichte ihre größte Intensität wohl zwischen 1975 und 1978. Referate, die ich zu einzelnen Themen aus dem „Kapital“ oder zum „Kapital“ vor dem Kreis hielt, wurden zur Grundlage meiner Habilschrift „Warum Das Kapital ein Torso blieb“, mit der ich allerdings den in dem Kreis vorhandenen partiellen Konsens bereits verließ. Bald danach nahm ich an der Arbeit des Kreises nicht mehr teil.
Bevor ich versuche, zu meinem Thema auch inhaltliche Angaben zu machen, muss noch die Beziehung des Kreises zu Hans-Georg Backhaus kurz dargestellt werden: Den persönlichen Kontakt zwischen Roth und Backhaus hatte wohl Reichelt vermittelt, in der Folge davon stand auch ich mit Backhaus in Kontakt, den ich mehrfach in Frankfurt besuchte. Weil ich damals sehr schön wohnte – in der Schweiz auf dem Lande, dazu in einem „kleinen Patrizierhaus“, wie gerade Backhaus richtig bemerkte – war Backhaus bei einem kurzen Gastaufenthalt an der Konstanzer Universität bei mir untergebracht.
Auf Veranlassung von Roth erhielt nämlich Backhaus in den siebziger Jahren (ich tippe auf das WS 1974/75) einen Lehrauftrag in Konstanz, dessen Wahrnehmung sich allerdings auf eine einzige Kompaktsitzung beschränkte. ...
II. Der Ansatz „Neue Marx-Lektüre“
Diese Schilderungen insgesamt indizieren einen inhaltlichen Zusammenhang. Die Arbeit von Roth und die des Kreises um ihn herum und schließlich auch meine eigene Arbeit entfalteten sich auf der Grundlage des Ansatzes „Neue Marx-Lektüre“, auch wenn sie uns und insbesondere mich zu Positionen geführt hat, von denen sich die sonstigen Vertreter der Richtung sicherlich energisch abgegrenzt hätten.
Um den Ansatz zu charakterisieren stütze ich mich auf den Text von Elbe und frage mich anschließend, ob ich ihn aufgrund von meinen eigenen Erfahrungen ergänzen kann. Was charakterisiert nach Elbe den Ansatz?
Die „Neue Marx-Lektüre“ war eine philosophische Lektüre von Marx. Dennoch stellte sie das Werk des reifen Marx, insbesondere „Das Kapital“ in den Mittelpunkt und räumte damit mit der Tradition der philosophischen Marx-Lektüre auf, die, in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen begründet, ihre Aufmerksamkeit vor allem dem jungen Marx geschenkt hatte.
Obgleich das zumindest vordergründig sich als ökonomietheoretisch darstellende Opus von Marx ihr Gegenstand ist, konzentrierte die „Neue Marx-Lektüre“ ihr Interesse nicht darauf, Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Ökonomie empirisch auszumachen. Sie orientierte sich auch nicht an den geschichtstheoretischen Erwartungen auf ein Ende der Epoche, das aus ihr heraus sich von selbst einstellen wird.
Positiv gewendet: die „Neue Marx-Lektüre“ stellte die Analyse der Formen, in denen sich, immanent gesprochen, die kapitalistische Vergesellschaftung vollzieht, in den Mittelpunkt. Sie bewahrte sich dabei die kritische Haltung gegenüber der Epoche und wollte zur Bewältigung der Aufgabe beitragen, den Zustand der „destruktiven gesellschaftlichen Naturwüchsigkeit“ (Elbe) zu beenden.
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Ich erinnere mich, dass Backhaus sich während eines meiner Aufenthalte in Frankfurt intensiv mit Geldtheorien befasste. Er las nicht nur Marx, er las verschiedene Autoren aus der Zeit, in der vom Grundsatz her auch die Positionen von Marx Gegenstand der Diskussion unter Wirtschaftswissenschaftlern waren. Im Gespräch mit mir referierte er, nahm Stellung, formulierte seine Zielvorstellungen. Aber für mich war schon damals sein Ansatz mit methodischen Grundmängeln behaftet. Auf der anderen Seite fehlte bei mir die Bereitschaft, mich mit ihm auf eine offene Diskussion einzulassen.
III. Wie ich mich von der „Neuen Marx-Lektüre“ absetzte
Ich versuche jetzt in mich hineinzuhören und mir die spezifischen Akzente unserer Arbeit von damals in Stichworten in Erinnerung zu rufen. Ja, in der Tat: Formanalyse, Wertform, Analyse der Wertform. Formen ableiten. D.h. sie in einen größeren Zusammenhang stellen bzw. aus ihm plausibel „herleiten“. Dabei die Totalität des gesellschaftlichen Zusammenhangs, die Entfaltung des gesellschaftlichen Gesamtsubjektes erfassen.
Auf der einen Seite haben derartige Aufgaben breit angelegte und sorgfältige Studien der einzelnen Partien des „Kapitals“ erfordert. Diese betrieben wir tatsächlich. Auf der anderen Seite war unter den Bedingungen der „Neuen Marx-Lektüre“ auch ein gewisser freier Umgang mit Elementen der Theorie möglich, ja sogar nötig. Wie stellt man, stets mit der besten Absicht die im Werk enthaltene Theorie zu begreifen, größere Zusammenhänge her, wie setzt man die Elemente zu größeren Einheiten zusammen? Was schließt sich aneinander an, was passt am besten wohin?
TREFFLICH !
Wenn ich jetzt aber sagen soll, wie der Zusammenhang begriffen wurde, was als Ausgangspunkt und was als Zielpunkt angesehen wurde, so fällt es mir schwer, irgendetwas Bestimmtes zu sagen. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemand aus Konstanz bzw. aus der Schule der „Neuen Marx-Lektüre“, methodischen Reflexionen von Marx und zugleich der Hegelschen Phänomenologie im Grundsatz folgend, Wendepunkte in die Theorie hineinkonstruiert hätte. So dass man den Ort bestimmt hätte: bis hier hat die Theorie einen vorläufigen Charakter. Sie sucht immer noch ihren endgültigen Anfangspunkt. Hier hat sie ihn gefunden. Von hier an wird das System der sicheren Erkenntnis aufgebaut.
Die Rezeption der Theorie durch die „Neue Marx-Lektüre“ rekonstruierte den Gedankengang des „Kapital“ vielmehr wie eine Einbahnstraße und nahm besonders ernst die am Anfang des ersten Buches stehenden Ausführungen. Die dort stehende Herleitung der Begriffe der Ware, des Wertes und des Mehrwerts war ein zentraler Punkt dieser Rezeption. Dass ich diese Begriffe als vorläufige Festlegungen auffasse, die als Zugriff auf den Punkt dienen, von dem aus die definitive Sicht der Dinge möglich wird, ist (soweit ich sehe) ein Moment, das meine Position von den innerhalb der „Neuen Marx-Lektüre“ eingenommenen Positionen unterscheidet.
Dazu sah ich mich gezwungen durch Joachim Nanninga. Auch er ein „Erlanger“, ein sehr scharfsinniger junger Mann, der die am Anfang des ersten Buches stehenden Ausführungen mit Mitteln der Erlanger Schule (Logik, Sprachphilosophie) zerpflückte. Das war der Inhalt seiner Dissertation und, in zusammengefasster Form, eines Vortrags in Konstanz3. Bei dieser Gelegenheit traf ich mich mit Nanninga zu einer Diskussion, die die meine folgende Überlegung zum Ergebnis hatte: Die am Anfang des ersten Buches stehenden Ausführungen können nicht als eine taugliche, strenge Herleitung von Begriffen angesehen werden. Sie können aber in einer anderen Weise aufgefasst werden und behalten dann ihren Sinn.
Also - um auf die oben gestellte Frage nochmals anzuknüpfen - was wird woraus hergeleitet? Formen aus Formen? Ich war damals schon so weit zu meinen, dass auf jeden Fall die Reihenfolge umzukehren ist. Bei der Gewinnung der gesicherten Erkenntnis wird nicht Kapital aus Ware und Wert, sondern Ware und Wert aus Kapital hergeleitet. Hergeleitet, indem die Funktionalität von Ware und Wert für die Funktionsweise des Kapitals aufgezeigt wird. Kapital als objektiver Geist. Und als Form zugleich. Aber wo es Form gibt, da muss es nach der urklassischen philosophischen Lehre auch eine Substanz geben. Wo bleibt sie, woraus besteht sie?
Die Antwort, die ich fand, formulierte ich wohl erst in Bielefeld im Jahre 1990. Den Anlass bot das Angebot meines Freundes Jürgen Buchmann, einen Vortrag in einer Veranstaltung zu halten, die er im WS 1990/91 am Oberstufenkolleg hielt. Meine Antwort wird dokumentiert in dem Vortragstext, der Euch zur Verfügung steht. Mit ihm schloss ich meine Beschäftigung mit Marx in substanzieller Hinsicht ab. Meine Antwort ist auf jeden Fall dem Verständnis seiner im „Kapital“ dargelegten Theorie als einer philosophischen Theorie angemessen. Denn sie betrifft seine grundlegende Position darüber, was den Menschen (Menschen als Gattungswesen) ausmacht: seine Fähigkeit in einem unbegrenzten Prozess seine produktiven Fähigkeiten zu entfalten. Die Formen, in denen sich der kapitalistische Produktions- und Zirkulationsprozess vollzieht, werden aus ihrer Funktionalität für diesen Prozess begriffen.
Natürlich ist das eine Lösung, die nur zu einem sehr teuren Preis erkauft werden kann. Zum Preis, dass man sich eingesteht, dass man zum Kernpunkt der Theorie von Marx etwas erklärt, was Marx gerade zum Gegenstand seiner Kritik an der klassischen politischen Ökonomie gemacht hat, die Überzeugung nämlich, wonach der Kapitalismus in einer vollendeten Weise die menschliche Produktivität fördert. Dass man also beansprucht, Marx dessen überführt zu haben, er habe selbst mit seiner Arbeit statt einer Kritik ungewollt eine weitere Bekräftigung der klassischen politischen Ökonomie geliefert. Er sei also mit seinem Vorhaben gescheitert, und dies nicht nur, indem er es nicht vollenden kann, sondern indem er darüber hinaus seinen Lesern genau das Gegenteil von dem zeigt, was er hat zeigen wollen. All das selbstverständlich hinter der Oberfläche des Werkes, in dem das Scheitern nicht eingestanden, sondern der Schein aufrechterhalten wird, das Werk halte das Versprechen, die Kritik vollende sich mit jedem Schritt, mit dem sie äußerlich voranschreite.
Bekanntlich wurde das Werk nicht vollendet oder zumindest: es wurde von Marx nicht vollständig publiziert. Dass der Verfasser möglicherweise sogar mit seiner Produktion gescheitert sei, dafür gibt es höchstens einmal so etwas wie ein Eingeständnis. Jemandem, der danach fragte, wann er die von ihm nicht herausgegebenen Partien von „Das Kapital“ publizieren werde, gab Marx in seinen späten Jahren zur Antwort, dafür müssten sie erst geschrieben werden.4
In welchem Maße das nicht publizierte Werk von Marx „geschrieben“ war, darüber kann man unterschiedlicher Auffassung sein. Ja, man kann es sogar unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachten und dann voneinander abweichende Antworten geben, die aber dennoch weitgehend zutreffend sind, wie das z. B. auf der einen Seite Maximilian Rubel und auf der anderen Franz Borkenau taten, beide noch bevor Marxsche Manuskripte veröffentlicht waren. Das ist nämlich erst in den letzten Jahren geschehen. Erst mit einigen nach 1990 veröffentlichten Bänden der MEGA 2 stehen uns in publizierter Form alle Handschriften von Marx zur Verfügung, die Engels bei seiner editorischer Arbeit an den Bänden 2 und 3 des Werkes nutzte5.
IV. Wie kam ich mit Manuskripten von Marx in Berührung
Mit der Erwähnung der beiden Männer kann ich z.T. wieder auf die biographische Ebene zurückkehren. Mit Rubel stand ich in den 80-er Jahren eine Zeitlang in Kontakt und besuchte ihn 1985 oder 1986 in Paris. Wer war Maximilian Rubel? Der Mann, der im Rahmen der Bibliotheque de la Pleiade (einer französischer Reihe mit Ausgabe der klassischen Werke vor allem der französischen Literatur, alle Bände in Leder gebunden) eine Übersetzung des „Kapitals“ ins Französische herausgegeben und mit einer sehr ausführlichen und wertvollen Einleitung versehen hat. Der Herausgeber einer Zeitschrift (Cahiers de ?), eines Forums für ernsthafte wissenschaftliche Auseinandersetzungen über Marx und Marxismus. Ein bedeutender Marx-Forscher selbst, der weitgehend seine Arbeit auf das eigene Studium der Manuskripte stützte. Die Pleiade-Übersetzung besorgte er z.T. selbst und zog dabei direkt das große Manuskript von Marx zum 3. Buch heran.
Marx-Manuskripte werden zum grössten Teil im Archiv des IISG in Amsterdam aufbewahrt. Zunächst befanden sie sich im Archiv der SPD und gerieten während der Zeit der NS-Herrschaft und des 2. Weltkriegs auf eine abenteuerliche Reise durch verschiedene Länder. Dem von Rjazanow in Moskau geleiteten Institut wurde in den zwanziger Jahren erlaubt, auf photomechanische Weise eine Parallelsammlung anzulegen, in der dann auch einige Originale landeten. Auf unlautere Weise wohl.
Zu solchen, in Moskau aufbewahrten Manuskripten gehört ein wichtiger Entwurf zum 2. Buch, das Manuskript II, das in russischer Übersetzung publiziert wurde noch lange bevor man innerhalb der MEGA die ersten zum „Kapital“ gehörenden Manuskripte zu veröffentlichen begann. So war im 20. Jh. ein erster Einblick in die Manuskripte von Marx zum 2. und 3. Buch und ein erster Vergleich damit, wie Engels sie bearbeitete, durch zwei Veröffentlichungen möglich, die beide nicht in deutscher Sprache erfolgten: durch die soeben erwähnte Moskauer Publikation und durch die Rubelsche Übersetzung des 3. Buches.
Ich reiste Ende der 70-er und Anfang der 80-er Jahre öfter nach Amsterdam, zunächst um mir im IISG einen eigenen Überblick über die Manuskripte von Marx zum 2. und 3. Buch zu verschaffen. Dabei ist für den Normalbenutzer des Archivs gleichgültig, ob das Archiv ein Manuskript im Original besitzt oder nur als Kopie des in Moskau aufbewahrten Originals. Denn in jedem Fall werden ihm im Lesesaal des Instituts nur Kopien der Manuskripte zur Verfügung gestellt. Das ist zwar verständlich, erschwert aber die Arbeit insofern, als die Handschrift von Marx ohnehin nur schwer zu entziffern ist. Im Nachhinein meine ich, es habe sich dennoch für mich gelohnt, selbst mit diesem Material in Berührung gekommen zu sein.
Später machte ich mich an den Versuch, einen Text für die Publikation vorzubereiten. Es handelte sich dabei um das Manuskript VIII für das 2. Buch, ein später Entwurf für einen Teil des 2. Buches, der den Charakter einer eigenständigen Schrift hat. Engels hat es für seine Publikation des 2. (?) Abschnitts des 2. Buches fast vollständig verwertet, ist dabei aber sehr frei vorgegangen, d.h. er hat die Reihenfolge seiner Teile verändert und mit Teilen des Manuskriptes II kombiniert. In seinem Vorwort hat Engels sehr genau angegeben wie er vorgegangen ist, so dass schon auf der Grundlage seiner Edition und seiner Angaben eine Rekonstruktion des Originals in seinen Hauptzügen möglich ist.
Aber für die genaue Paginierung ist die Heranziehung des Manuskriptes erforderlich und dann kommt man in Verlegenheit: wie sonst auch und wie von ihm selbst beschrieben, hat Engels am Text, an der Sprache der Manuskripte stets sprachlich, stilistisch geändert. Daher ist es in vielen Fällen nicht mehr möglich in der Ausgabe von Engels die genaue Stelle, das Wort zu finden, mit dem die eine Seite des Manuskriptes endet und die andere beginnt. An solchen Stellen entschied ich mich, ganze Passagen aus dem Originalmanuskript zu übernehmen. Dabei musste ich auf die Grenze achten, unter der bei der Übernahme des Originals eine Veröffentlichung ohne besonders eingeforderte Zustimmung der Archivleitung möglich ist.
Als die weitere Zukunft des Unterfangens MEGA 2 Ende der 80-er Jahre ungewiss wurde, eröffnete sich für meine Arbeit am Manuskript VIII die Perspektive, im Falle einer Veröffentlichung als mittelfristiger Ersatz für die unmittelbare Publikation des Manuskriptes sinnvoll zu sein. Inzwischen ist das Schicksal des Gesamtunterfangens MEGA 2 geklärt und das Manuskript VIII in seinem Rahmen publiziert.
Übrigens, zum 100. Todesjahr von Marx veröffentlichte Rubel eine Überlegung zu einer neuen kritisch-wissenschaftlichen Ausgabe der Werke von Marx. Seine Argumentation weist Mängel der beiden MEGA-Ausgaben nach, von denen der erste in der Tat darin besteht, dass sie eine Ausgabe der Werke zweier Autoren ist – ein merkwürdiger Tatbestand, der anzeigt, dass hier die editorische Arbeit sich politischen Kriterien unterwirft und Legenden perpetuiert (Marx und Engels als Väter des wissenschaftlichen Sozialismus).
Auf die Frage, wie weit Marx „Das Kapital“ vollendete, können unterschiedliche Antworten gegeben werden, wie bereits gesagt. Ich hielt mich lange an die Darstellung von Rubel, wonach Marx eine ganze Menge von Manuskripten und Manuskriptfragmenten hinterließ, die von einem verzweifelten Bemühen, sein Werk voranzubringen, zeugen. Engels scheute sich, daraus ein Werk zu machen. Seine Interventionen in den Text betrafen nur die Oberfläche. Aber mit seiner Edition errichtete er schließlich eine Fassade, die den Anschein eines vom Autor vollendeten Werkes erzeugt. So weit Rubel.
Ganz anders ein Forscher, der sich wohl nicht eingehend mit Manuskripten selbst beschäftigt hatte: Franz Borkenau. Im Vorwort zu einer kleinen Ausgabe der Werke von Marx, als Fischer Taschenbuch in den sechziger (oder bereits fünfziger) Jahren des 20. Jahrhunderts erschienen, legte er Wert auf die Feststellung, dass Marx seine Arbeit am Kapital um das Jahr 1871 herum abbrach. Was Marx hinterließ, waren nicht nur Fragmente, sondern auch Entwürfe für ganze Bücher, die er aber für sich behielt, in den Schubladen seines Schreibtisches „schmoren“ ließ. Borkenau kann seine Darstellung vor allem auf die Tatsache stützen, dass Marx im Jahre 1865 einen zusammenhängenden Entwurf des 3. Buches niederschrieb. Genau dieser Entwurf wurde zur Grundlage der Ausgabe von Engels, dem es aber sehr viel Kopfzerbrechen bereitete und dessen Edition sich um 10 Jahre verzögerte. Warum wurde es von Marx selbst nach dem Erscheinen des 1. Buches im Jahr 1867 nicht überarbeitet und nicht publiziert?
Hier ist ratsam, in die Betrachtung Ereignisse einzubeziehen, die der Publikation des 1. Buches im Jahr 1867 unmittelbar vorausgingen. Von seinem Hamburger Verleger Meißner erwartete Marx, dass er das 1. Buch für sich veröffentlichen wird. Meißner wollte dagegen das ganze Manuskript haben, bevor er zu drucken beginnt. Marx setzte sich durch, versprach allerdings die schnelle Nachlieferung weiterer Manuskriptteile, ein Versprechen, dessen unrealistischen Charakter er selbst sehr gut kannte. Dieser Zusammenhang wurde von Rubel erforscht und zutreffend dargestellt.
Das erste Buch enthält historisches, illustrierendes Material im großen Umfang. Theoretische Partien, denen es zugeordnet ist, betreffen die Länge des Arbeitstages, die Mechanisierung der Produktion und die Vertreibung der Landbevölkerung am Anfang der Industrialisierung. Dieses historische Material entnahm Marx weitgehend amtlichen Berichten, den parlamentarischen Industrial Reports, speziellen parlamentarischen Berichten zur Kinderarbeit etc. Es waren all das Ergebnisse der Arbeit von parlamentarischen Kommissionen, die eingesetzt wurden, um Missstände zu bekämpfen. Auch wenn man die entsprechenden Partien des Werks von Marx nicht kennt, es ist leicht sich vorzustellen, dass es sich um ein düsteres, oft empörendes Bild handelt, die die Reports zeichnen.
Weil es so ist, kann auch die Theorie für sich den kritischen und revolutionären Charakter beanspruchen. Aber nur zum Schein. Das erweist sich schon darin, dass sich kaum historisches Material anbot, mit dem Marx seine Theorie der folgenden Bücher bzw. seine Theorie im Ganzen hätte mit dem gleichen Effekt illustrieren können: der Theorie den Anschein zu verleihen, kritisch und revolutionär zu sein. Wie aber in verbleibenden Partien aus einer ausgesprochen affirmativen Theorie eine kritische zu machen, das war die unlösbare Aufgabe vor der Marx nach der Publizierung des 1. Buches stand. Diese Frage rief bei ihm eine Verlegenheit hervor, die ihn zum Verstummen brachte.
Wie Borkenau richtig beobachtete, gab Marx sein Vorhaben Anfang der siebziger Jahre auf und bearbeitete seine Manuskripte nicht mehr - übrigens unabhängig davon, wie abgerundet oder fragmentarisch sie auch geraten waren. Dass das Ergebnis seiner Arbeit an der Kritik der politischen Ökonomie für Marx enttäuschend ausfiel, bedeutete freilich nicht, dass sich seine Haltung gegenüber dem Gegenstand selbst verändert hätte. Die Krisen des Kapitalismus, wie im Text von Haug im Kasten am Anfang Deiner Zusammenstellung in Anschluss an Marx gesagt wird, pauken „zumindest den Wacheren jeder Generation“ Dialektik ein.
Eine Aporie durchzieht das Denken von Marx. Auf der einen Seite hängt er dem Ideal einer menschlicheren Gesellschaft an, in der es kein Elend und keine Erschütterungen durch Krisen gibt. Auf der anderen Seite schreibt er dem Menschen die Bestimmung zu, seine Produktivkraft immer weiter zu entfalten. Und insgeheim muss er eine Gesellschaftsordnung feiern, in der Menschen unabhängig von den Intentionen, die sie in ihrem Handeln leiten, in unabdingbarer Weise ihre Bestimmung erfüllen. Von dieser Seite her setzt er eine Tradition des neuzeitlichen Denkens fort: Hegels objektiver Geist oder Hobbes Leviathan leben in seinem Denken fort. Das Ergebnis seiner Kritik ist also nicht ein bloßes Malheur seiner gedanklichen Bemühungen, in ihm kommt zum Vorschein ein ureigenes Element seines Denkens, … -es ist mit anderen Elementen unvereinbar.
Schließlich möchte ich noch sagen, dass Deine Zusammenstellung wertvolle Gedanken über die Frankfurter Schule enthält. Sie verfuhr eklektisch. Zur Lehre von Marx traten Elemente empirischer Sozialwissenschaft und der Psychoanalyse hinzu und es entstand eine heute für uns nur schwer verdaubare Mixtur. Aber sie hatte einen großen Vorzug: sie versuchte sich am Erfahrbaren zu orientieren und verwarf Fiktionen, vor allem die Fiktion des revolutionären Bewusstseins der Arbeiterklasse. Das erwähne ich, weil wir in unserer Sitzung bei der Einschätzung der Frankfurter Schule ins Grübeln kamen und keiner von uns etwas Erhellendes sagen konnte. ...“
Soweit IG 2011
nun zurück in die sixties & MiR
latein & griechisch, dialogische logik, 1968
… es wurmte mich schon früh, jenes mir (MiR) undurchschaubare „argumentieren“ (einiger lehrer) mit etymologien und antikisierender „bildungssprache“ - und so erwarb ich, um durchzublicken, in einer kleinen hochschule am rande eines großen waldes nördlich ffm mir grundkenntnisse in der muttersprache der ersten philosophen, so gerüstet kam ich an die Uni Erlangen zu kamlah/lorenzen mit ihren assistenten mittelstraß und lorenz. Kuno lorenz wurde mein mentor. er hatte die ddr verlassen müssen, um studieren zu können (wie backhaus). IG war schon vor ort und bald auch der philosophierende mitschüler WOP. in erinnerung ist mir ein seminar LOGIK & GRAMMATIK 1965, das mich zu meiner diss EINIGE LOGISCHE STRUKTUREN DEUTSCHER GEGENWARTSSPRACHE anregen sollte. (es blieb dies ein volkssprachbezogener seitenast der „erlanger schule“; ) mein gedanke dabei war, ob nicht die zugehörigkeit zur deutschen sprachgemeinschaft schon kenntnis (know how) logisch begründbaren vorgehens einschließt, was BEIM BERATEN in der öffentlichkeit wirksam werden kann. man sagte mir manchmal bescheid, wenn eine diskussionsleitung bei einer der studentischen versammlungen gebraucht wurde und da konnte ich, wenn die versammelten mich wählten, die gerade bei lorenzen gelernten unterscheidungen einsetzen: was nicht mit überzeugenden gründen verlangt oder verboten werden kann, ist freizustellen. dies motto verband sich gut mit dem bewegten und bewegenden zeitgeist von ´68 ! und dann gab es da noch veranstaltungen der „kritischen universität“ (altvater, 2 x neusüss, huisken, krause, sieveking, schnepel, ... die wop und mir anlass gaben zur mutigen frage: „und warum braucht der kapitalismus alle 7 jahre einen mörderischen raubkrieg?“ → Kapitalvernichtung /Überakkumulation<- ! „und warum geht das nur mit kriegsmaschinen, nicht auch mit kitzelmaschinen?“ (nach einem moment verblüffter stille, einige gluckser -) → Euch fehlt das Klassenbewusstsein: es geht auch um Macht!
Lässt sich MARX verstehen oder ist das alles murks?
später dann lasen wir in konstanz u.a. erlanger texte zur OBERFLÄCHE mit interesse und verglichen sie mit unseren ergebnissen... hinter der trinitarischen formel schien uns bei näherem zusehen eine >Troika mit Lenkendem< zu flitzen, …
1969: an der neu gegründeten kleinen feinen uni am bodensee gab es einen ableger der „ERLANGER SCHULE“ . friedrich kambartel (später ffm) war als junger mann von der uni münster dorthin auf den ersten philosophielehrstuhl berufen worden. dies machte die runde auf dem heidelberger philosophiekongress 1966 DAS PROBLEM DER SPRACHE; ich war 21 und wohl durch eine unerschrockene wortmeldung aufgefallen...1967 war ich in oxford und 1969 wurde ich in erlangen promoviert und trat ein in den konstanzer mittelbau. Als mitglied im personalausschuss setzte ich mich 1971 erfolgreich für die vergabe einer ass.-stelle an IG ein. seine stelle war mittelstraß zugeordnet, meine kambartel.
wir verfolgten aber eigenständig unsere pläne in forschung und lehre im kontakt mit „den jüngeren leuten“. damals wurde im konstanzer großen senat der uni die drittelparität eingeführt und ich war ein mittelbau senatsmitglied. vielleicht lernte ich so rudolf hickel kennen. An unserer reformuni gab es keine veranstaltungen zur KRITIK DER POLITISCHEN ÖKONOMIE : hickel regte an, die lücke zu schließen, kam aber selber nicht dazu – und so beantragten wir ein forschungsprojekt der universität und ich organisierte mit verschiedenen partnern, so auch IG, interdisziplinär gut besuchte lehrveranstaltungen, „lernklubs“ zum KAPITAL. Hickel wurde an die uni bremen berufen (wie später auch reichelt) und manche „unserer“ leute gingen auch dorthin. Ich blieb. Nico und Ulla pasero hatten kontakt zur familie reichelt, helmut studierte in ffm , wohin er jede woche für ein paar tage mit einem schnellen auto fuhr, weib und kind lebten in konstanz. „wertform“ wurde als stichwort von ulla in unsere anfangsdebatten eingeworfen und ich hörte ihr aufmerksam zu, so war es dann auch in den seltenen begegnungen mit helmut, dessen diotima schien ein h.g. backhaus zu sein, selber voller frankfurter schnurren steckend (adorno / krahl / …). und offenbar angefressen von der mikrolektüre verschiedener fassungen der marxschen gedanken zur wertform (der ware). backhaus war (damals) bedeutend älter als ich, aber typ „ewiger student“ mit einer bude im zweiten hinterhaus - wir mochten einander, als ich hingefahren war. und in meinen semesterferien fuhren wir zum philosophie – kollegen emilo agazzi nach pavia (mit emilio gab es jahre später eine zusammenarbeit während seiner wiederholten sommerreisen zum bodensee; er stöberte in den konstanzer buchhandlungen und übertrug auch ergebnisse des zweiten MARX-forschungsprojekts).
KERNSTRUKTUR UNSERER KAPITALISTISCHEN GESELLSCHAFT , Ffm 1972 ist ein schmales bändchen geschrieben an der adria, in dem ich festhalten und weitergeben wollte, was wir uns zu kapital bd. I (MEW 23) erarbeitet hatten. Ein beispiel dafür , was nun NEUE MARX – LEKTÜRE genannt wird.
Für mich war es ein zwischenschritt hin zur ausweitung der wertformanalyse auf den umfang der 3 systematischen bände DAS KAPITAL. 1974 bot sich die gelegenheit in der edition suhrkamp ein zwischenergebnis vorzulegen unter dem titel ZUR WERTFORMANALYSE (es 633); im von mir verfassten schlussteil versuchte ich eine erste fassung des inneren argumentativen bands der systematischen gesamtanalyse zu skizzieren. damit sollte eine durchgängig philosophische auffassung des hauptwerks von marx für mich gestalt annehmen – und dies sollte „das ganze“ in den blick nehmen / statt wie bei (vielleicht gründlicheren) anderen wertform-forschern über die anfangskapitel nicht hinauszukommen. dies mochte unbescheiden sein. unbestreitbar nötig ist es. und inzwischen standard. ich denke, dass hier auch eine gemeinsamkeit mit den arbeiten von IG zu den manuskripten (bd. I bis III) vorliegt.
Eben diese versprechung, das ganze des KAPITAL zum thema (formanalytischer) betrachtung zu machen, brachte 1976 die einladung an die sydney university. Hier beginnt eine freundschaft und intensive zusammenarbeit mit michael eldred und dann, nach der rückkehr im herbst 1976 der zweite KONSTANZER KREIS. ein weiterer sydney student betreut den druck von GUIDE to READING CAPITAL, London 1978: wir legten karl eins aufs grab. Damit fand das projekt LERNCLUB zunächst einmal seinen abschluss. inzwischen bieten elektronische medien neue möglichkeiten und ich nutze sie; with a little help from my friends ...
IG (1) und MiR (2)
kennen sich 2011 bereits 45 jahre, waren gemeinsam in der „erlanger schule“, dann mittelbaukollegen, wohnten zeitweise zusammen, machten gemeinsam reisen, so auch zu den marx-manuskripten nach amsterdam. 1 hatte von >MARXISMUS< schon kenntnis erhalten in titos jugoslawien. 2 war im gymnasium im rheinland ohne das durchgekommen und erst gegen ende der universitätsausbildung durch die (leicht verspätete) süddeutsche „studentenbewegung“ neugierig geworden, konzentrierte sich dann erst als junger dozent auf die mikrolektüre der 3 bände KAPITAL – in der annahme, dass sich hier der systematische kern „kritischer theorie“ zeigen müsste, wenn es einen solchen gab. es verstand sich, dass dieser weg weder von der älteren, noch von der jüngeren frankfurter schule beschritten worden war. 2 zog 1, unterstützt vom zeitgeist, in dieses unterfangen mit hinein. 1 aber sank nicht kopflos hin, er ging immer wieder auch eigenen einfällen nach. Einer davon wird dann für 2 zum leitfaden, das erarbeitete material neu zu organisieren: als dialog.
Die dialogische „Prozedur, welcher sich das natürliche Bewusstsein bei dem Eintritt in das spekulative Denken unterwirft“ (Glaser nimmt hier Hegel´sche Redeweise auf, die Entsprechungen sind im Folgenden in Klammern gesetzt) lässt sich kurz so summieren:
1. „Das spekulative (systematische) Denken mutet an keiner Stelle dem natürlichen Bewusstsein (Alltagsverständnis) zu, sich aufzugeben. Vielmehr baut es auf diesem in einer eigentümlichen Art auf und überführt es in etwas, was immer noch es selbst und zugleich nicht mehr es selbst ist.“
2. Das „natürliche Bewusstsein“ darf „auf seinen sämtlichen Erfahrungen beharren – unter der Voraussetzung, dass es die Geltendmachung seiner Erfahrungen dem Anspruch des spekulativen Denkens unterwirft, sich von diesem den systematischen Ort vorschreiben lässt, an dem es jeweils mit seinem Erfahrungen argumentiert. ... es muss bereit sein, Einwände zurückzustellen, bis die systematische Theorie die Stelle erreicht hat, wo sie erörtert werden sollen.“
3. In der „Artikulation seiner Einwände ist am Anfang des systematischen Vorgehens das natürliche Bewusstsein“ unbeschränkt. „Der mit der Systematisierung der Erfahrungen“ – des Alltags – „einhergehende kategoriale Fortschritt grenzt dann die Möglichkeiten ein, wie das natürliche Bewusstsein“ –im Dialog mit dem systematischen Denken – „seine Erfahrungen einbringen kann.“
4. „Die Analyse endet dort, wo das natürliche Bewusstsein die Herkunft der in ihm herrschenden Kategorien aus den durch die systematische Analyse aufgedeckten ... Verhältnissen erkannt hat ... Damit hat sich das natürliche Bewusstsein im systematischen spekulativen Denken aufgehoben ohne je seine Erfahrungen aufgegeben haben zu müssen.“ In der von Kuno Lorenz herausgegebenen Lorenzenfestschrift „Konstruktionen versus Positionen. Beiträge zur Diskussion um die konstruktivistische Wissenschaftstheorie“ (Berlin / N.Y. 1979) unter dem Titel „Das dialektische Denken und das natürliche Bewusstsein“ veröffentlicht. Vgl. auch: Volkbert M. Roth, Zum wissenschaftlichen Anspruch der Wertformanalyse: AUFGREIFEN aus dem Alltagsverständnis der Realität, HERLEITEN von Analyse-Kategorien, Begründung von DARSTELLUNGSVORAUSSETZUNGEN. Eine sozialphilosophische Studie, Habilitationsschrift Universität Konstanz 1976
Wie es MiR 2011 (heute) scheint, macht 1 die größeren sprünge, 2 scheint beharrlicher. das zeitweise enge, dann wieder lockerere verhältnis führt zu gegenseitiger anregung. in auseinandersetzung mit habermas (starnberg) auf einladung von welmer (konstanz) hatte 2 die meinung vertreten, es lohne sich nicht,
das rekonstruieren zu wollen, was der unwichtigere bestandteil in der mischung MARXISMUS sei. Er warf auf dem stuttgarter hegel-kongress 1975 „ist systematische philosophie möglich?“ die frage auf, ob nicht mit der starnberger rekonstruktion „des historischen materialismus“ ein weg eingeschlagen werde: MIT MARX AN MARX VORBEI? 1 konnte an die Unterscheidung von unvereinbaren bestandteilen anknüpfend zur these verschärfen: nur wegen der breitenwirkung des „schwächeren Teils“ habe sich der marxismus durchgesetzt. „Die große Autorität, die sich Marx und Engels in der Arbeiterbewegung erworben haben, beruht nicht darauf, dass sich Marx und Engels mit ihren eigentlichen wissenschaftlichen Werken durchgesetzt haben.“ Warum der Plural? „Sie haben sich vielmehr Autorität erworben, indem sie (mehr oder weniger willkürlich) Kompromisse mit dem herrschenden Bewusstsein dieser Bewegung eingegangen sind“ Ivan Glaser, Die historische Dimension der dialektischen Theorie. In: Mittelstraß/Riedel (Hg.), Vernünftiges Denken. Studien zur praktischen Philosophie und Wissenschaftstheorie. Wilhelm Kamlah zum Gedächtnis, Berlin-New York 1978, S. 300
Es spricht einiges für diese these. Was aber ist mit dem stärkeren teil? lorenzens wiederaufnahme des griechischen ΆΓΩΝ (wettkampf) in der konzeption einer dialogischen logik und hegels eintreten für eine versöhnung von spekulativem denken und natürlichem bewusstsein wird von 1 so formuliert, dass 2 darin die möglichkeit eines dialogischen selbstverständnisses für die formanalytische rekonstruktion des stoffs der systematischen kapitalanalyse sehen kann. Rückblickend betrachtet lag das nahe, denn das schon von wittgenstein praktizierte verfahren der spracheinführung ausgehend vom alltagshandeln hatte 2 während der erlanger zeit schätzen gelernt. Darüberhinaus erinnern die von 1 umrissenen „SPIELREGELN“ an die zusammenarbeit von proponent und opponent in dialogen , in denen die gültigkeit von aussagen, die logische funktoren enthalten, geprüft wird.
1 schreibt „torso“ und 2 „systemfragment“ - sie sehen beide den fragmentarischen charakter. Was bedeutet die rede vom systemfragment in der anwendung auf die marx-engels texte?
1 untersucht die marx-manuskripte, mit deren bearbeitung engels den anschein einer mit KAPITAL bd III abgeschlossenen marx-engelsschen kapitalanalyse herstellen konnte: warum hörte MARX nur wenige jahre nach der erstveröffentlichung von KAPITAL bd. I mit der arbeit zum abschließen seines hauptwerks auf? 2 meint, das könne ja verschiedene gründe haben … wobei es schon nachdenklich stimmt!
Bei 1 jedoch verfestigen sich einzelfeststellungen schließlich zu diesem bild: „Das erste Buch enthält historisches, illustrierendes Material im großen Umfang. Theoretische Partien, denen es zugeordnet ist, betreffen die Länge des Arbeitstages, die Mechanisierung der Produktion und die Vertreibung der Landbevölkerung am Anfang der Industrialisierung. Dieses historische Material entnahm Marx weitgehend amtlichen Berichten, den parlamentarischen Industrial Reports, speziellen parlamentarischen Berichten zur Kinderarbeit etc. Es waren all das Ergebnisse der Arbeit von parlamentarischen Kommissionen, die eingesetzt wurden, um Missstände zu bekämpfen. Auch wenn man die entsprechenden Partien des Werks von Marx nicht kennt, es ist leicht sich vorzustellen, dass es sich um ein düsteres, oft empörendes Bild handelt, das die Reports zeichnen.
Weil es so ist, kann auch die Theorie für sich den kritischen und revolutionären Charakter beanspruchen. Aber nur zum Schein. Das erweist sich schon darin, dass sich kaum historisches Material anbot, mit dem Marx seine Theorie der folgenden Bücher bzw. seine Theorie im Ganzen hätte mit dem gleichen Effekt illustrieren können: der Theorie den Anschein zu verleihen, kritisch und revolutionär zu sein. Wie aber in verbleibenden Partien aus einer ausgesprochen affirmativen Theorie eine kritische zu machen, das war die unlösbare Aufgabe vor der Marx nach der Publizierung des 1. Buches stand. Diese Frage rief bei ihm eine Verlegenheit hervor, die ihn zum Verstummen brachte.
Wie Borkenau richtig beobachtete, gab Marx sein Vorhaben Anfang der siebziger Jahre auf und bearbeitete seine Manuskripte nicht mehr - übrigens unabhängig davon, wie abgerundet oder fragmentarisch sie auch geraten waren. Dass das Ergebnis seiner Arbeit an der Kritik der politischen Ökonomie für Marx enttäuschend ausfiel, bedeutete freilich nicht, dass sich seine Haltung gegenüber dem Gegenstand selbst verändert hätte. Die Krisen des Kapitalismus ... pauken „zumindest den Wacheren jeder Generation“ Dialektik ein.
Eine Aporie durchzieht das Denken von Marx. Auf der einen Seite hängt er dem Ideal einer menschlicheren Gesellschaft an, in der es kein Elend und keine Erschütterungen durch Krisen gibt. Auf der anderen Seite schreibt er dem Menschen die Bestimmung zu, seine Produktivkraft immer weiter zu entfalten. Und insgeheim muss er eine Gesellschaftsordnung feiern, in der Menschen unabhängig von Intentionen, die sie in ihrem Handeln leiten, in unabdingbarer Weise ihre Bestimmung erfüllen. Von dieser Seite her setzt er eine Tradition des neuzeitlichen Denkens fort: Hegels objektiver Geist oder Hobbes Leviathan leben in seinem Denken fort. Das Ergebnis seiner Kritik ist also nicht ein bloßes Malheur seiner gedanklichen Bemühungen“ (mail an die bielfelder freunde 2011)
Für 2 ist dies zu starker tobak. 1 mischt hier verschiedene Behauptungen zusammen. Was zeigt sich, wenn wir sie eine nach der anderen prüfen?
01: Die positive Bemerkung vorweg: Die Krisen des Kapitalismus ... pauken „zumindest den Wacheren jeder Generation“ Dialektik ein. (So auch 1 und 2 und vielen mehr.)
02: „Das erste Buch enthält historisches, illustrierendes Material im großen Umfang. Theoretische Partien, denen es zugeordnet ist, betreffen die Länge des Arbeitstages, die Mechanisierung der Produktion und die Vertreibung der Landbevölkerung am Anfang der Industrialisierung. Dieses historische Material entnahm Marx weitgehend amtlichen Berichten, den parlamentarischen Industrial Reports, speziellen parlamentarischen Berichten zur Kinderarbeit etc. Es waren all das Ergebnisse der Arbeit von parlamentarischen Kommissionen, die eingesetzt wurden, um Missstände zu bekämpfen.“ - und die wurden ja auch abgeschafft. die kapitalistische form der gesellschaft blieb.
03: durch die illustrationen mit (inzwischen abgeschafften) empörenden verhältnissen in einer phase des kapitalismus habe marx dem in KAPITAL I formulierten theoriestück einen „kritischen und revolutionären Charakter“ geben können -
„zum schein“ . IG lässt zunächst offen , inwieweit der autor von KAPITAL bd 1 selber diesem schein aufsaß – zunächst (1867-71 ?).
04: entsprechende illustrationen für die theoriestücke der bände 2 und 3 aber habe marx nicht gefunden. IG belegt die gewagte These nicht, „dass sich kaum historisches Material anbot, mit dem Marx seine Theorie der folgenden Bücher bzw. seine Theorie im Ganzen hätte mit dem gleichen Effekt illustrieren können: der Theorie den Anschein zu verleihen, kritisch und revolutionär zu sein.“ schon sein hinweis auf die krisenanfälligkeit wiederspricht dem. gerade wieder aktuelle einzelpunkte dabei sind die verschlungene globale kapitalzirkulation, abgeleitete kapitalformen durch „kapitalisierung“ von erträgen, spekulation. weitere illustrationsquellen liefert heute die sich verschärfende ökologische lage im zusammenhang mit der marxschen formanalyse der „grundrente“ und des privateigentums an stücken der oberfläche des planeten... Gegenthese:
damit schwankt auch IGs kühne metakritik
05: „Dass das Ergebnis seiner Arbeit an der Kritik der politischen Ökonomie für Marx enttäuschend ausfiel“ - wissen wir schlicht nicht, meint 2.
können wir zufrieden sein mit unserer verstehensbemühung?
Fakt ist, marx lenkt sich mit gelegenheitsarbeiten ab von der (in unseren augen) hauptsache. Als autor der (wenig gelesenen, aber hochgehaltenen bibel der internationalen arbeiterbewegung) wird er zur vielbeschäftigten autorität bzw. festigt diese autorität. Eine schwache fortsetzung des KAPITAL könnte schlimmere folgen haben als die aufgeschobene fortsetzung …
mit marx an marx vorbei ?
für jürgen habermas war nach der debatte um REKONSTRUKTION ( http://marx101.blogspot.com/2009/05/iii-kapitalistisches-produzieren.html ) die marx-rekonstruktion bald kein thema mehr. Seine bedeutung für eine NEUE MARX-Lektüre: er sagte mir einmal, er habe die ersten KAPITAL-lesekreise an einer westdeutschen uni initiiert. verglichen damit setzten unsere konstanzer marx-arbeiten relativ spät ein, (wo sie andernorts schon aufgehört hatten). 1976 wird die arbeit ZUM WISSSENSCHFTLICHEN ANSPRUCH DER WERTFORMANALYSE als habilschrift eingereicht und sie wird dann ausgangspunkt für das konstanz/SYDNEY MARX-projekt, dessen ergebnisse nach diskussion mit emilio agazzi in einer von ihm besorgten übersetzung 1982 im druck erscheinen als Eldred/Hanlon/Kleiber/Roth: La Forma
Valore – mit einem untertitel, in dem unverdrossen von rekonstruktion und ausbau des marxschen systemfragments die rede ist. überarbeitete deutsche vorlagen finden sich unter: marx101.blogspot.com seit
bei projekten der marx-rekonstruktion ist ja:
1. ausgangspunkt: MEW 23 – 25 ist noch nicht die fertige form der systematischen darstellung
2. zu klären: welche position hat die rekonstruierte kapitalanalyse in einem anvisierten größeren ganzen?
3. darzustellen der schlüssige gedankengang (erfolgreiche dialog) kapitalanalyse
4. die frage: inwiefern ist gelingende darstellung kritik ?
der erste marx-rekonstrukteur ist sein freund engels und alle weitere rekonstruktionsbemühung erscheint als re-vision. wir sind revisoren. und es gibt keine re-vision ohne meinungsstreit. dabei ist neben revisionismus der komplementäre befund des dogmatismus in solchem streiten naheliegend. Und wir fragen uns selbst und gegenseitig: ist dies ein weg zum kern oder (mit oder gegen marx) an noch fortdauernd gültiger, rekonstruierbarer einsicht vorbei? manchmal helfen debatten weiter. manchmal archive. manchmal gibt es entdeckungen in der einsamkeit und freiheit des selberdenkens – ausgehend von bekanntem. ich beiße zum beispiel (1976 fern der heimat) zum wiederholten mal in die formulierung in der ganz gewöhnlichen kapitalausgabe mew 23: der wert der ware arbeitskraft löst sich auf … und erschrecke plötzlich vor dem sich auftuenden abgrund … war ich etwa gerade dabei aufzudecken, was bisher nicht aufgefallen war?
Es führte mich zu „stufen“ im begriff der ware. kapitalistisch erzeugte industriewaren (der verschiedensten zweige) sind die ausgangswaren, waren erster ordnung, mit ihnen, soweit sie eingehen in die reproduktion der arbeitskraft / der arbeiterfamilien lässt sich das produktionselement AK (arbeitskraft) verstehen als ware zweiter ordnung. Und nun ließe sich mit IG die diskussion aufnehmen über : „Ich war damals schon so weit zu meinen, dass auf jeden Fall die Reihenfolge umzukehren ist. Bei der Gewinnung der gesicherten Erkenntnis wird nicht Kapital aus Ware und Wert, sondern Ware und Wert werden aus Kapital hergeleitet. Hergeleitet, indem die Funktionalität von Ware und Wert für die Funktionsweise des Kapitals aufgezeigt wird. Kapital als objektiver Geist. Und als Form zugleich.“ entsprechend der von IG explizierten spielregel geht es beim aufbau eines sozialphilosophischen denksystems um ein ineinander von aufgreifen aus dem allen zeitgenossen zugänglichen alltagswissen und einem herleiten von analysekategorien (fachausdrücken des spezifischen systematischen denkens). beispiele für aufgreifen gibt es viele. das erstemal geschieht aufgreifen im text des marxschen KAPITAL im ersten satz. hergeleitet wird „wertform“ , … die ware zweiter ordnung AK und damit macht sich die analyse auf den weg zum „sich selbst verwertenden wert“, zeigt dabei die >Funktionalität von Ware und Wert für die Funktionsweise des Kapitals<, ohne in die Falle angeblich „einfacher Warenproduktion“ zu tappen.
ABER HEBEN WIR UNS DAS AUF FÜR EIN ANDERMAL !